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Ich nippte an meinem Kaffee und verzog angeekelt das Gesicht. Dieser war inzwischen kalt, doch bevor ich mich weiter darüber ärgern konnte, vernahm ich Louis Schreien aus der Wiege im Wohnzimmer. Schon wieder. Seufzend wechselte ich mit wenigen Schritten den Raum und hob meinen Sohn auf meine Arme. Sanft streichelte ich seinen Rücken, küsste vorsichtig seinen Kopf. So ging das einige Minuten. Doch statt sich zu beruhigen, schien Louis sich immer mehr hineinzusteigern und auch mein beruhigendes Summen zeigte einfach keine Wirkung. Die Tränen liefen nur so über seine kleinen Wangen und auch Kiwi ließ sein Geschrei nicht kalt. Sichtlich aufgewühlt lief sie um meine Beine herum, schaute mich an. Ich weiß nicht, ob ich es mir einbildete, doch ihr Blick wirkte vorwurfsvoll. „Ich weiß doch auch nicht, was ihm fehlt.“, murmelte ich und blickte mich hilflos um.

Inzwischen tigerte ich durch die Wohnung, doch auch die Bewegung zeigte nicht die gewünschte Wirkung. Louis schrie und inzwischen machte ich mir wirklich Sorgen. Ich spürte diese Unruhe in mir und immer wieder auch, wie ich die Geduld verlor. Louis war satt, hatte eine frische Windel, er war wohlbehütet in meinen Armen…Was fehlte ihm bloß?

Vor fünf Tagen dachte ich noch, wir wären angekommen. Angekommen als Familie, angekommen in unserer Elternrolle. Doch inzwischen hegte ich starke Zweifel daran. Seit zwei Tagen war von unserem entspannten Kind nicht mehr viel übrig. Er weinte ständig, war unruhig, unzufrieden. Sissi hatte uns erklärt, dass es der erste Schub war und Louis einfach unheimlich viele Eindrücke verarbeiten musste, was zu dieser Unruhe führte. Doch meiner Müdigkeit, die man mir inzwischen deutlich ansah, half diese Erklärung auch nicht. Ich war unausgeglichen und leider auch schnell gereizt.

So wie jetzt gerade. Und natürlich blieben die Zweifel auch nicht lange aus. Was war ich für eine Mutter, die ihr Kind nicht beruhigen konnte? Er war doch ein kleines Baby, mein Baby, und auf mich angewiesen. Er war darauf angewiesen, dass er von mir all das bekam, was er benötigte. Doch leider hatte ich keine Ahnung, was genau das aktuell war. Seufzend warf ich einen Blick auf die Uhr. Mark müsste im Laufe der nächsten halben Stunde nach Hause kommen. Vielleicht könnte er Louis helfen und der kleine würde sich beruhigen. Sofort fühlte ich mich bei dem Gedanken noch schlechter. Ich war seine Mutter, ich musste das doch auch irgendwie schaffen.

Seufzend setzte ich mich mit ihm auf das Sofa, schob mein Shirt nach oben und versuchte, ihn zu stillen. Doch statt zu trinken schrie er weiterhin und wehrte sich förmlich mit Bissen gegen das Anlegen. Zu dem seelischen Schmerz, der durch sein dauerhaftes Schreien ausgelöst wurde, gesellte sich nun körperlicher und ich spürte die ersten Tränen in mir aufsteigen. Heiß brannten meine Augen, als ich den Schlüssel im Schloss hörte. Langsam erhob ich mich von der Couch und kaum eine Minute später betrat Mark das Wohnzimmer.

„Hey.“, murmelte er mit mitleidigem Blick. Er kannte Louis Geschrei von den letzten Tagen und konnte sich wohl vorstellen, was hier vor sich ging. „Du kommst jetzt mal her.“, sagte er und hob Louis auf seinen rechten Arm. „Und du auch.“, fügte er kurz darauf hinzu und zog mich an seine linke Schulter. Dorthin ließ ich meinen Kopf sinken und als ich Marks Duft einatmete, wurde ich tatsächlich etwas ruhiger. Louis Geschrei war zwar nicht verstummt, aber ich war mir sicher, dass er sich wieder beruhigen würde. Wir würden ihm all die Liebe und Sicherheit schenken, die er benötigte, um wieder zur Ruhe zu kommen.

Plötzlich kam Kiwi an und tänzelte unruhig um unsere Beine. „Was hältst du davon, wenn ihr zwei Süßen jetzt mal die Sonnenstrahlen genießt und ich versuche unseren kleinen Schreihals zu beruhigen.“ Vorsichtig lächelnd löste ich mich von ihm. „Das klingt ganz gut, denke ich.“, murmelte ich. Gleichzeitig hatte ich ein schlechtes Gewissen, mein Baby alleine zu lassen und im nächsten Moment ärgerte ich mich genau über diese Gedanken. Er war nicht alleine. Er war bei seinem Vater. Den allerbesten, den ich mir für Louis hätte wünschen können. Als könnte Mark Gedanken lesen, küsste er kurz meine Stirn. „Mach dir nicht zu viele Gedanken.“, flüsterte er noch.

Ich lächelte sanft, zog mir dann meine Schuhe an und griff nach einem Hoodie, bevor ich Kiwi an die Leine nahm und wir die Wohnung verließen. Tatsächlich waren wir fast eine Stunde unterwegs und das tat so unheimlich gut. Auch Kiwi genoss die ungeteilte Aufmerksamkeit und voller Leichtigkeit kehrte ich zurück in die Wohnung. Zu meiner großen Freude vernahm ich kein Geschrei von Louis, als wir den Flur betraten. Schnell schälte ich mich aus Hoodie und zog die Schuhe aus, bevor ich Kiwis Wassernapf auffüllte und anschließend das Wohnzimmer betrat.

Dort lag Mark auf dem Rücken, Louis auf seiner Brust. Schnell legte mein Mann den Finger auf die Lippen und so schlich ich mich leise zu den beiden. „Er schläft seit fünf Minuten.“, flüsterte er. Ich setzte mich neben Mark und strich sanft über Louis Kopf. Seine Wangen waren noch immer deutlich gerötet. „Hoffentlich kann er jetzt etwas länger schlafen.“, murmelte ich, bevor ich meine Beine ebenso auf das Sofa schwang und mich neben Mark legte. „Er ist einfach das niedlichste Baby überhaupt und ich liebe ihn so sehr. Ganz egal, wie viel Schlaf und Nerven er raubt.“, hörte ich plötzlich Marks Stimme leise neben meinem Ohr und sofort legte sich sine Gänsehaut auf meinen ganzen Körper. Lächelnd hob ich den Kopf und blickte in Marks Augen, in denen so viel Liebe lag, dass ich ihn einfach küssen musste. Er war einfach der beste.

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