Kapitel 6 ~ Von Kampf und Erschöpfung

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FARN  P.O.V.
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Ohne Vorwarnung sprang das Tier auf mich zu. Ich duckte mich zwar so gut es ging an Azurs Hals, doch konnte ich nicht verhindern, dass wir stürzten. Dazu kam noch, dass sich mein linker Fuß im Steigbügel verhedert hatte und er unsanft eigeklemt wurde.
Dabei hatten mich die scharfen Krallen am rechten Oberarm erwischt. Eine Fleischwunde wie ich glücklicherweise erkannte. Doch sie war tief. Warm quoll das Blut aus der Wunde. Der Schock stand tief, wodurch ich keine Schmerzen spürte. Noch nicht. Etwas benebelt riss ich einige unförmige Stoffstreifen von meiner Kleidung ab, um die Wunde notdürftig zu stillen. Was mir allerdings aufgrund meiner zitternden Fingern nicht wirklich gelang. Das Ergebins waren blutbefleckte Fingern die ich mir an meiner Hose notdürftig abwischte. Zu meinen Füßen rappelte sich mein Pferd gerade wieder auf. Es schien unverletzt geblieben zu sein. Ebenso jenes von Garren. Garren!
Dieser rang verzweifelt mit dem Wolfstier. Woher er das Schwert hatte war mir ein Rätsel. Mit dieser Waffe ausgerüstet parrierte er die brutalen Angriffe so gut es ging. Ein weiterer Schlag der Bestie. Kratzer zeichneten sich an seinen Armen und am Oberkörper ab. Benommen taumelte er zu Boden. Noch bevor Garren wieder stand setzte ihm der Wolf nach.
Doch er hatte anscheinend damit gerechnet. Mein Reisegefährte parrierte und startete eine verzweifelte Konter. Das Schwert mit beiden Händen fest umklammert, stach er zu. Nein, es war ein Täuschungsmanöver. Blitzschnell wechselte das Schwert vollenendes in die linke Hand über, bevor der Stahl in die Schulter eindrang. Knochen splitterten und eine gewaltige Blutfontäne spritze hoch. Schmerzerfüllt brüllte das Tier auf, dass es einem durch Mark und Bein ging! Doch Garren ließ seine Chance nicht ungenutzt. Kurzerhand wurde auch der Vorderpranke ein großer Schnitt zugefügt. Da strauchelte der Wolf. Dies nutzte der Wächter aus, um ihm den entscheidenden Treffer zu versetzten. Nur kam es dazu nicht mehr...
Innerhalb weniger Sekunden sauste die unverletzte Pranke hervor und schleuderte Garren mit voller Kraft gegen einen der unzähligen Bäume. Ich hörte noch wie Knochen brachen, bevor ich mich übergab. Mit schmerzverzehrten Gesicht blieb der Wächter liegen. Das Biest gab einen befriedigenden Grunzer von sich. Dann wandte sich das Tier mir zu. Seine Zähne bleckend, näherte es sich. Panisch robbte ich nach hinten weg. Wohlwissend dass es zwecklos sein würde. Gierig troff der Geifer auf meine Hose. Dann schnappte es zu.
Es versank alles in Trance. Im Zeitlupentempo realisierte ich, dass ich mit dem Wolf verbunden war. Auf einer seltsamen geistigen Ebene, wie in einer eigenen Welt. In Gedanken brüllte ich ihn an! Gab ihm Befehle. Das machte den Wolf stutzig. Er war sich nicht mehr einig. Sollte er seinem Trieb der Mordlust nachgehen, oder gaben ihm meine Befehle zu verstehen? Ich fühlte den Kampf den das Tier in seinem Inneren austrug.
Angespannt starrte ich in seine Augen, bis sich etwas seltsames Menschliches in ihnen ausbreitete. Letztendlich gab er ein ohrenbetäubendes Heulen von sich, bevor er im Schatten des Waldes verschwand. Es war mir unheimlich.

Während ich mich umblickte, um mir ein Blid von der Situation zu machen, suchte ich angestrengt nach einer Erklärung dafür. Wie konnnte das sein? Was hab ich da bloß gemacht? Wer... Wer war ich wirklich?

Aus dem Chaos erhob sich ein trostloser Anblick. Die Straße glich einem Gemetzel. Zerwühlter blutverschmierter Schnee bedeckte die Straße. Vereinzelt lagen Fellbüschel und zerissene Stofffetzen umher.
Neugierig stubste mich mein Pferd an. Mit einem schwachen Lächeln sah ich zu ihm auf. "Azur... Ich..." Mein Gesicht nahm einen sorgenvollen Ausdruck an. "Garren!", hallte es durch meinen Kopf. Dieser beobachtete mich misstrauisch. Mit zusammengepressten Lippen, versuchte er seine Schmerzen zu verbergen oder zu unterdrücken. Ächzend rappelte ich mich auf, und eilte hinkend zu ihm hin. Beim Sturz hatte ich mir wohl auch noch einige blaue Flecken zugezogen.

"Farn... Was zum Teufel hast du gemacht?" "Keine Ahnung... Ich kann es mir selbst nicht erklären." Stille...
"Hmm... Schon gut. Wir müssen so schnell es geht nach Ealdh! Und jetzt hilf mir erstmal auf die Beine. Ich fühle mich, als ob all meine Knochen zerschmettert worden sind." Mit einer schier endlosen Geduldsprobe, gelang es mir ihn auf die wackeligen Beine zu stellen. Glücklicherweise schienen sie bis auf ein paar Aufschürfungen heil geblieben zu sein. Ein schmerzhaftes Stöhnen entwich seinen Lippen. Der linke Arm, sowie einige Rippen waren gebrochen, soweit ich das beurteilen konnte. Wie schwer seine Organe beschädigt worden sind, könnte nur ein erfahrener Medicus feststellen.
Mit einem schmerzhaften aber gleichzeitig erleichterten Seufzer lehnte er sich gegen den Baum. Sein gesunder Arm ruhte auf meiner Schulter. Ich pfiff nach seinem Pferd, welches nach kurzer Zeit aus der Straßenböschung hervortrabte.
So gut es ging ignorierte ich den pochenden Schmerz in meinem Arm. "Du musst jetzt stark sein, Farn. Die Verantwortung liegt nun bei dir!", versuchte ich mir Mut zu machen. Mit Müh und Not, brachte ich es zustande, dass Garren wohlbehalten im Sattel landete. Abgesehen von den Schmerzen die er schon hatte. Hinter dem Sattel bemerkte ich eine schlicht zusammengeschlagene Wolldecke, in der wahrscheinlich das Schwert eingewickelt gewesen war. Nach kurzem Suchen entdeckte ich es im Schnee. Ich wickelte es wieder ein und schnürrte es an meinen eigenen Sattel. Mit ungelenken Bewegungen saß auch ich auf. Danach ritten wir davon. Nicht zu schnell, damit unsere Wunden einigermaßen 'ruhen' konnten. Vor allem Knochenbrüche konnten schnell zum Verhängnis werden, wenn man ihnen nicht etwas Ruhe gönnte oder sie gar überanstrengte.

Je später es wurde, desto besorgter wurde ich. Was wenn wir es nicht mehr schaffen, vor Einbruch der Dunkelheit in Ealdh zu sein? Was wenn die Stadttore schon geschlossen hatten? Bald nach der Dämmerung hatte der Wald schlussendlich ein Ende.
Vor uns erstreckte sich die größte Stadt, die ich bisher gesehen hatte. Ein tiefer breiter Wassergraben umringte die masive Stadtmauer, welche aus grob behauenen Steinen gemauert war. An den Zinnen konnte man vereinzelt Wachen im Fackelschein patrouillieren sehen. Auch in der Stadt strahlten hunderte Lichter in die Dunkelheit hinaus. Inmitten der von Wohlstand protzenden Fachwerkhäuser erhob sich die mächtige Trutzburg des Fürsten O'ona.
Doch Etwas gab es hier, das mich irritierte und mir leichte Sorgenfalten auf die Stirn zeichnete...

Wächter der Nacht - Die GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt