Kapitel 30 ~ Von einem Familienmenschen und einer schweigsamen Gefährtin

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FILOU  P.O.V.
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Ein beklommenes Gefühl tat sich in meiner Bauchgegend auf. Unruhig stierte ich in alle Winkel der gemütlichen Gaststube.
Tief atmete ich die Gerüche von Branntwein und des abgewetzten Fußbodens aus Buchendielen ein. Auch nahm ich die Aromen von versetztem Gewürzwein wahr. Eine Duftwolke vom Kohleintopf schwebte von der Küche herüber. Ich prägte mir all diese Eindrücke ein, sammelte sie auf für meine Zeit weit weg von Zuhause.

Für ein letztes abschließendes Mal ließ ich einen konzentrierten Blick über mein Gepäck schweifen. Die zusammengerollte Bettdecke, den kleinsten Feuerkessel aus der Küche, einige Vorräte, Wechselwäsche, getrockneter Baldrian für Aufgüsse, eine Ringelblumensalbe für meine Gelenke, das Jagdmesser und der Mantel aus Schafspelz meines Vaters. Die Ausrüstung war komplett. Erwartungsvoll drehte ich mich zu meiner Familie um.

Zuneigung, Vertrauen und doch Unsicherheit, Liebe und Trauer las ich in den Gesichtszügen Marthas. Liebevoll strich ich ihr sanft über die Wangen. Eine einzelne glasklare Perle floss aus ihrem Auge und verlief sich in meiner aufgehaltenen Handfläche. Ein tiefes inniges Band war die Verbindung zwischen unseren Seelen, unseren Körpern.
Mit zittrigen Fingern strich ich ihr eine verwahrloste graue Haarsträhne über ihr rechtes Ohr zurück. Sie war nicht mehr die Jüngste, und doch war sie so schön wie an dem ersten Tag unserer wilden Jugendzeit.
Es war damals, vor zehn Jahren, eine riesengroße Überraschung als sie schwanger wurde. Welch eine Freude war es, in unserem Alter noch ein Kind zu bekommen, einen Sohn!
Ich nahm meine Hand von der Taille meiner Frau und ging in die Hocke. Ebenso liebevoll wuschelte ich seine bronzefarbenen Haare durcheinander.

Óre, mein kleiner Junge... Was wirst du nur ohne deinen Vater machen?

"Du gehst, Vater?", fragte er mich aus seinen gelben Augen.
Melancholie erhaschte Besitz über meine Gefühle. Sanft zog ich ihn zu mir und küsste mit glitzernden Augen seine Stirn.
"Gib acht auf deine Mutter, Óre. Sie braucht einen starken Sohn.", flüsterte ich ihm zwinkernd zu.
Dann erhob ich mich, strich meine Kleidung zurecht und hinterließ Martha den letzten Abschiedskuss für eine lange Zeit.

Seufzend warf ich mir meine sieben Sachen über den Rücken und schritt davon. Treffpunkt war wie beim letzten Mal die eodhsche Garnison. Bald schon erreichte ich das Areal. Zwei kräftige Rappen waren vor einem hölzernen Weinkarren gespannt. Davor standen bereits der Hauptmann und meine künftige Reisegefährtin, Larah.

"Sei gegrüßt, Filou!", sprach Arim mit freudiger Stimme. Ein schwaches Lächeln umspielte die Züge der Frau.
"Kae Thim, Filou! Ich bin Larah.", stellte sie sich mir vor. "Ich grüße euch. Ich bin Filou", stellte ich mich ebenfalls vor.

Kae Thim. Das bedeutete wohl den Gruß auf kharisch.

Zusammen besprachen wir ein letztes Mal die Aufgaben des Auftrags. Unser erstes Ziel war eine Ortschaft namens Ileam, nahe der Handelsstadt Dóhran im Süden von Thule. In drei Tagen sollten wir dort angekommen sein und unseren Wagen mit den Weinfässern beladen.

Knapp verabschiedeten sich Larah und ich vom Hauptmann und sprangen auf den Sitzbock des Gefährtes. Ich nahm die Zügel in die Hand und augenblicklich kam Bewegung in die Pferde. Es waren muskulöse und ausdauernde Zugtiere, deshalb wie geschaffen für diese Reise.
In kurzer Zeit verließen wir auch schon das idyllische Eodh und folgten der Straße entlang des Flusses Radh.
Die Straße war in einem moderatem Zustand und so kamen wir ohne besondere Zwischenfälle schnell vorwärts. Nur wenige Reisende kreuzten unseren Weg, was uns lieb und Recht war.
Die Midhmark war keines der Fürstentümern, welches von Handel geprägt war. Der Großteil dieses Verwaltungslandes war bewaldet oder bergig. An den fruchtbaren Äckern wurde Korn gesät und Gemüse gepflanzt, und die Menschen lebten von den Rohstoffen die sie hier erzeugten. Auf saftig grünen Weiden wurden im Sommer Kühe und Kälber getrieben und so manche begabte Sennerin rollte dann ihren Frischkäse in feinen Kräutern.

Fröhlich lies ich meine Zunge schnalzen und pfiff fröhlich vor mich hin. Larah hüllte sich in Schweigen. Es kam mir so vor, als ob sie nur geradeaus din Straße entlang starrte und die friedliche Welt rund um sich gar nicht wahr nahm.

Ich versuchte deshalb sie in eine Gespräch zu wickeln.
"Larah?", fragte ich.
"Tho? Was gibt es?", wollte sie wissen.
"Was bedeutet Tho?", hakte ich nach.
"Ja. Tho heißt Ja.", antwortete sie lächelnd.
"Und was heißt Kae Thim?", fragte ich weiter.
Sie sah mir tief in die Augen, bevor ihr Mund die Antwort frei lies.
Kae Thim ist bei uns die Form der Begrüßung und der Dankbarkeit gegenüber einer Respektsperson."
Ich nickte verständnissvoll. Hatte ich doch richtig gelegen in meiner Vermutung.
"Wie ist Euer Sippenname, wenn ich fragen darf?", begehrte ich neugierig zu erfahren.
"Laskhan.", kam die kurze monotome Antwort. Dann versiegte das Gespräch wieder.

Welch eine seltsame junge Frau...

Ich war kein Mensch der sich anderen aufdrängte, deshalb behielt ich meine weiteren Fragen und Worte für mich und schwieg stattdessen.
Wegeslänge um Wegeslänge legten wir zurück und so begann es mit der Zeit zu dämmern. Rosafarben und Orange glühte ein halber Feuerball am Horizont. Eine kleine Schar Zugvögel durchkreuzte die Lüfte und leise Ambossklänge wurden vom Wind zu uns getragen. Bald darauf trabbten wir um eine Waldböschung und erkannten das Glühen der Kohlen in der Esse einer Hufschmiede. Neben dem verußten Gebäude stand ein wohnlichereres Steinhaus. Eine Herberge, wir an einem Aushängeschild lesen konnten. Diese kam uns wie gerufen.
Wir stiegen vom Wagen und gaben unseren Pferden Hafer von einem Unterstand an der Hauswand. Dann traten wir ein. Wie überall war die Theke besetzt mit Betrunkenen und Stammgästen.
Ohne Umschweife setzten wir uns an einen der leeren Tische und bestellten uns eine warme Mahlzeit mit einem Humpen Dünnbier. Eine gräulich-braune und klumpige Einmachsuppe mit Hühnerflügel war das bescheidene Nachtmahl. Nachdem wir unsere Humpen geleert hatten, nahmen wir uns zwei Zimmer und gingen zu Bett. Müde richtete ich mein Schlaflager aus, bevor ich darin gähnend darauf wartete, bis der Schlaf mich übermannte.

Der erste Tag war überstanden.



Wächter der Nacht - Die GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt