Prolog ~ Buch Zwei

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Rolav
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Eine sengende Hitze lagerte über den rotgefärbten Zelten. In weiter Ferne flimmerte eine unförmige Erhebung im Sonnenlicht und symbolisierte den unerreichbaren Horizont. In den verschiedensten Gelb und Orangetönen der Wüstenlandschaft mussten den Geiern die Zelte wie ein großer Bluttropfen erscheinen. Welch eine Ironie, wenn man bedachte, dass genau so das Blut der Soldaten in den Gefechten versickerte.

Eine milde Brise frischte mein von Schweiß glänzendes Gesicht auf. Die ersehnte Kühlung hielt nur wenige Augenblicke an, bevor sich alsbald wieder der heiße Stern mit seinen grellen Strahlen an meinem Antlitz ergötzte.
Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, wie verschwitzt die zwei Legionäre in meinem Rücken unter ihren Helmen waren. Man mochte denken, dass man sich über die Jahre hindurch an das Klima hier gewöhnen würde, jedoch war dem nicht so. Wir Elosener waren Eindringlinge, selbst noch nach achtzehn Jahren. Einzig unsere tiefgebräunte und von den Sandstürmen gegerbte Haut hatte sich der Gegend angepasst.

Eine einzelne Träne entkam und flüchtete über die Wange. Hier lag er nun, mein Vater. Ermordet vom Volk der Regentänzer, sein Leichnahm abgenagt vom Federvieh der Lüfte und seine Knochen begraben vom Sand.
Eine Lanze, senkrecht gegen das Himmelszelt gestreckt, markierte sein Grab am Hügel.

Ich musste Hylam ohne Umschweife von Vaters Tod unterrichten, besann ich mich. Wo er im Moment wohl verweilte?
Diente er noch dem Feind, war er bei der Palastwache in Arleen geblieben?
Oder irrte er wirklich als Söldner umher, um den Herren mit dem meisten Gold im Kampfe zu dienen?

Zweifel umspielten mein Gewissen.
Wäre es falsch dem Kontakt erneut zu verknüpfen, um alte Wunden aufzubrechen, neuen Zwist zu erregen?
Die Entscheidung wäre so einfach, könnte ich den Rat meines Vaters nicht missen.
Vater... Er hatte mir eine große Verantwortung hinterlassen und ich musste mich ihr stellen.

Seine Zeit als Heerführer war zu Ende gegangen, die meine ist gekommen. Stärke, Disziplin, Verantwortung! Das waren seine Worte und es werden auch die meinen sein, nur in umgekehrter Reihenfolge.
Verantwortung, Disziplin, Stärke!

In diesem Moment wusste ich was ich zu tun hatte. Meinem Bruder musste die traurige Nachricht überbracht werden. Es war Zeit zur Versöhnung, denn Versöhnung war es, was ich mir all die Zeit tief in meinem Herzen gewünscht hatte.

Pferdegetrampel ließ mich aus den Überlegungen aufschrecken.

"Haroan, General! Ein Bote unseres allmächtigen Kaisers ist eingetroffen. Er wartet im Zelt der Gastfreundschaft.", klangen die Wortfetzen eines außer Atem geratenen Legionärs herüber.

"Haroan!", grüßte ich zurück. "Richtet dem Gast aus, er möge sich gedulden, bis ich zurückkehre.", sprach ich und legte alle Überzeugung in diese Worte. Denn es glich nicht dem hoheitlichen Respekt einen Boten Kaisers Ionmyr Cyjalons warten zu lassen.

Scharfsinnig wie meine Augen waren, entging mir nicht der Anflug einer plichtbewussten Zurechtweisung auf der Mimik des Uniformierten, jedoch fügte er sich dem Befehl, schwang sich wieder aufs Pferd und preschte davon.
Hoffentlich würde der Gesandte meine Reaktion verstehen.

Die erste Säule ist für den Kaiser, dann diene der zweiten Säule, der Nation und erst danach kommt die Säule der Familie zum pflichtbewussten Soldaten.

Zur Verdammnis mit dem Schwur der Legion, Familie ist Familie! Auch wenn ich früher anders gedacht, anders gehandelt hatte. Ich hatte genug Buße für das Ende der Vergangenheit getan. Es war Vaters Tod der meine Augen in ihrer Sicht klärte, die Verblendung war der der Realität gewichen.

"Herr General, ..."

"Noch einen Augenblick. Sattelt derweil die Pferde."

Schritte entfernten sich, Hufe klackerten auf dem felsigen Grund, es war Zeit dass wir zurückkehrten.
Welche Nachricht der Bote wohl überbrachte?

Wächter der Nacht - Die GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt