✔ Kapitel 1 ~ Von einem seltsamen Gast und Fieberträumen

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Ich blinzelte verwirrt in die tiefe Finsternis hinein. Schemenhaft konnte ich die Umrisse der Möbel in meinem Zimmer erkennen.
Warum war ich bloß wach? Der Morgen würde noch eine Weile auf sich warten lassen. Da jedoch alles ruhig blieb und mein müder Kopf gefühlte zwanzig Brunnensteine wog, driftete ich bald in einen trägen Ruhezustand ab.

Überrascht schlug ich die Augen auf. Ich hatte doch soeben jemanden fluchen gehört. Da erklangen plötzlich aufgeregte Schrei von der Straße herüber.

Schlagartig setzte ich mich auf und rutschte zur Bettkannte hin, um durchs Fenster einen Blick nach draußen erhaschen zu können. Dummerweise schlug ich dabei unsanft mit der kleinen Zehe am Sessel an - auf welchen das Gewand für den kommenden Tag hing - und ein enormer Schmerz durchzuckte meinen Fuß. Meine eigene Dummheit verfluchend, humpelte ich zum Fenster.

Ein kleines Licht, welches wohl von einer Fackel herrührte, bahnte sich seinen Weg durch das dichte Scheegestöber. Es waren Barn und Slolan, unsere beiden Knechte, welche nach meinen Vater riefen.
Warum zum Henker waren die beiden mitten in der Nacht da draußen?
Ich kniff die Augen zu einem Schlitz zusammen, um besser sehen zu können. Barn schien ein Reisigbündel in den Armen zu halten.

Gerade noch konnte ich einen Aufschrei unterdrücken. Es war kein Geäst, welches er da trug, das war ein Mensch.

Nun kam mein Vater hinzu, welcher direkt aus dem Schlaf gerissen worden war, wie ich an Pantoffeln und Nachthemd erkannte. Der Zimpel seiner Schlafmütze drehte dabei wild seine Runden über Vaters dichte Mähne.

Rasch half er den beiden Männern die Person über den Hof zu tragen, ehe sie an der Tür meiner Sicht entwischten. Von Neugierde gepackt schickte ich mich an das Geschehen vom Treppenaufgang zu beobachten.

Vorher tätschelte ich jedoch blindlinks in die am Boden stehende Waschschüssel. Mit einem Klirren übergoss sich das Wasser über den Fuß und versickerte im Dielenboden. Einen Aufschrei mühsam ünterdrückend, presste ich mir die flache Hand auf den Mund und hielt die Luft an.
Innerlich hoffte ich, dass den Lärm niemand gehört hatte.

Ungehalten streifte ich das eiskalte Nass von der Haut und begab mich mit fröstelnden Zehenspitzen zur Tür. Wenigstens versprach dem angestauchten Zeh die Kälte eine milde Linderung.

Um Vorsicht bemüht, schlich ich mit sanften Schritten Stufe um Stufe hinab, bis ich an der Mitte der Holztreppe hielt. Anhand der Schlitze im Brettergeländer konnte ich mir einen sehr guten Überblick über die Stube verschaffen.

Mein Vater und Barn hievten soeben den unfreiwilligen Gast auf eines der Fellbetten im hinteren Abteil des Raumes, welcher stets für übernächtigende Besuche hergerichtet war. Dann tuschelten die Drei noch eine Weile, ehe mein Vater nach dem greisen Garth schickte, welcher oben auf den Hügeln seine Hütte bewohnte. Es musste dem Fremden sehr schlecht gehen, wenn Garth mithelfen musste.

Dieser war mehr ein selbstständiger Schafhirte, denn ein Knecht. Jedoch hütete er neben seinen eigenen Schafen auch die Unsrigen und an Erntetagen, wenn Not am Mann war, da packte er des öfteren mit an. Dafür bekam er einen angemessenen Lohn und Brennholz aus unserem Wald.
Außerdem galt der alte Mann meines Ermessens nach als Ersatz eines Großvater für mich.

Von meiner Familie hatte ich nur mehr meinen Vater und eine Tante mit zwei Kindern irgendwo im Süden. Meine Mutter war im Kindbettfieber bei meiner Geburt gestorben. Es war ein ähnlich starker Winter wie dieser, hatte mir Vater am Tag meines sechzehnten Geburtstages erzählt. Der war jetzt sicher schon zwei Monde her.
An Großeltern mütterlicherseits konnte ich mich nur vage erinnern, väterlichereits gab es keine Erinnerung mehr.

Einen kurzen Moment war ich in meinen Gedanken abgedriftet und hätte es beinahe riskiert entdeckt zu werden, als sich mein Vater zur Stiege aufmachte. Wahrscheinlich um Alina zu wecken.
Darum huschte ich geschickt zurück und lehnte die Zimmertür nur an. So konnte kein verräterisches Klicken meine nächtliche Spionage aufdecken.

Wächter der Nacht - Die GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt