Kapitel 36 ~ Von Vergangenheit und den Leiden des Krieges

564 90 38
                                    

FARN
~~~

"Ein trauriges Lied...", stellte ich fest und durchbrach damit die Stille.
Überrascht wandte sich die Fürstentochter um.
"Ja, das ist es.", antwortete sie karg.

Schwang dabei ein Hauch Trauer in ihrer Stimme mit?

"Farnilon, richtig?"
Ich nickte bestätigend.
"Gestattet Ihr mir, dass ich mich neben dich, ...neben Euch setze?", fragte ich.
"Natürlich, nimm Platz."

Dankend nahm ich ihr Angebot an und gesellte mich an ihre Seite.

"Ich denke wir können uns ohne weiteres duzen. Wir sind jung und ich bin auch nur ein einfacher Mensch.", meinte die junge Dame.
Erleichtert begrüßte ich ihren Vorschlag.
"Nenne mich doch Farn, so wie alle in meinem Dorf."
"Wenn es dein Wunsch ist, Farn. Dann solltest du mich aber auch mit Nai anreden.", fügte sie keck hinzu und ein Schmunzeln huschte flüchtig über meine Mundwinkel.

Nai...

Ich kostete diesen Namen auf meiner Zunge aus. Er war elegant und doch kurz und somit sehr einprägsam, unvergesslich.

"Kennst du die Geschichte zu dem Lied?", fragte mich Nailėn.
Ich schüttelte den Kof, denn diese Melodie, dieser Text war mit unbekannt.

Ihr Blick richtete sich wieder hinaus in die weite Welt, bevor sie in traurigen, aber zugleich lebhaften Eindrücken schilderte welcher Faden dieses Lied gewebt hatte.

"Es ist das Lied unserer Vorfahren, als sie noch mit ihren Langbooten die Küstengebiete entlang des Nordhmeeres plünderten. In diesen Zeiten fiel oft so mancher aarnischer Seemann in Gefechten und Scharmützeln. Wenn ein Kamerad gefallen war, wurde die ganze Rückfahrt über, dieses Lied gesummt. Erst wenn das Schiff in den Hafen eingelaufen war, und die Frauen das Summen vernahmen, stimmten sie respektzollend mit an und die Traurigkeit der Töne ihrer Stimmen erweckten den Text dieses Liedes zum Leben.", erklärte sie.

Mein Schweigen daraufhin drückte mein Verständnis gegenüber diesem Brauchtum aus.

Dann begann sie erneut zu sprechen: "Ich hasse den Krieg, und doch liebt meine Familie den Krieg. Ganz Aarn sehnt sich nach Krieg, nach dem Kräftemessen und nach Ruhm... Und dabei ist er so schrecklich. Wie viele Männer werden ihr Leben am Schlachtfeld lassen? Und wie viele danach in den Feldlazaretten? Noch schlimmer ist, dass zahllose unschuldige Menschen im Krieg untergehen werden. Alte, Frauen, ...Kinder. Sie verlieren ihre Heimat und ihren Besitz. Die meisten sogar ihre Familie oder gar ihr eigenes zerbrechliches Leben. Sippe um Sippe wird im eigenen Blut mit Feuer und Schwert ausgelöscht. Abgemagerte Buben werden in den Kriegsdienst gezwungen, verängstigte Mädchen von dreckigen Söldnern vergewaltigt. All das Grauen für ein Wort, welches die Dynastien der Herrscher in den Wahnsinn treibt und die Gelder der Schatzkammern auffrisst, wie ein Schwein einen reifen Apfel."

Eine einzelne Träne rann im Schatten ihrer himmelblauen Augen das Gesicht hinunter. Sanft gleitete meine Hand zu ihrem Gesicht und ich wischte sie vorsichtig mit dem Daumen hinfort. Peinlich berührt streckte ich meine Hand zu ihrer hinüber und drückte sie tröstend. Ich beantwortete ihre Fragen nicht. Dabei wäre die Antwort so einfach gewesen, ein einziges Wort hätte genügt und doch wussten wir beide ohne es dem Anderen mitzuteilen: Macht. Es ging um Macht...

Eine zeitlang saßen wir beide Hand in Hand auf der Mauer. Eine sanfte Brise umspielte unsere baumelnden Füße und kräuselte so manche ihrer Strähnen neckisch im Wind.

"Weißt du...", begann ich zu reden, "...vor einigen Wochen noch, dachte ich, dass mich nichts und niemand aus dem Frieden in der Heimat lösen könnte. Mein Vater bewirtschaftet einen kleinen Hof nahe der Ortschaft Nedh, im Bezirk Milidh. Die Dörfer bei uns sind ganz anders als hier. Sie bestehen oft aus kaum mehr als einer Handvoll Häusern, umgeben von einer hüfthohen Geröllmauer. Rund herum sind die anderen Familien und Sippen angesiedelt. Meistens sind das fleißige Bauern oder einfache Handwerker. Äcker und Hügel säumen das Landschaftsbild und an größeren Bächen mahlt eine Mühle das Korn unsere Felder. Schafe und Ziegen grasen an saftigen Weideplätzen und die Schweine suhlen sich vergnügt im Schlamm.
Manchmal plagte mich deshalb das Heimweh; der vertraute Duft unserer Stube, das Wiehern der Pferde, und Garths allabendliches Aufsetzen von Grog."

Melancholisch träumte ich vor mich hin, schenkte Nai Eindrücke aus meiner friedlichen Kindheit.

"Wer ist Garth?", begehrte sie zu wissen.

Augenblicklich versetzte mir diese Frage einen Stich im Herzen. Ich wollte schon antworten, er sei ein Schafhirte und wie ein Großvater für mich, doch dem war nicht so. Mastar Garth war ein ehemaliger Wächter der Nacht.
Nailėn schien meinen Krampf mit den Gefühlen bemerkt zu haben, den sie flüsterte mit ein sanftes "Entschuldigung" zu.
"Ach passt schon. Es ist nur... Bis vor wenigen Tagen noch, hatte ich gedacht, dass meine Familie nichts mit den Wächtern zu tun habe. Aber ich hatte mich getäuscht; der Name Eladh ist mit den Wächtern schon länger in Berührung, als meines Vaters Leben Winter zählt. Ich hatte immer gedacht, Garth wäre ein einfacher Knecht - ein Schafhirte - der in mir einen Enkel sieht. Bis ich erfuhr, dass er wie mein leiblicher Großvater und wie mein Onkel der Bruderschaft gedient hatte."

Meine Stimme versiegte just in diesem Augenblick. Noch nie hatte ich eine solche Enttäuschung, eine solche Leere gespürt.

Die Fürstentochter drückt meine Hand fester.

"Vielleicht sah er auch genau deshalb einen Enkel in dir."
Ich schüttelte den Kopf. Das konnte ich nicht glauben. Nicht mehr glauben...

Schweigend blickten wir nun auf die Stadt zu unseren Füßen. Wenige Dutzend Fackeln oder Lagerfeuer erhellten die Schemen der Mauern und Gassen. Stille herrschte in diesen Augenblicken.

"Ja wen haben wir denn da?", ertönte plötzlich eine bekannte Stimme aus dem Hintergrund.
Erschrocken löste ich die Hand von Nailėn. Wie von einer Tarantel gestochen stand ich auf und drehte mich um. Da stand tatsächlich der Hochfürst in Begleitung der zwei Wächter. Ein ernster Blick hatte sich auf Armandhs Gesicht gesenkt. Ilandils Mimik bot den gleichen Ausdruck. Nur Garren lächelte wissend und seine Augen glitzerten schelmisch im Mondlicht.

"Ich entschuldige mich zutiefst, Hochfürst Armandh. Nai und ich wollten nur...", versuchte ich zu erklären, doch der Mann schnitt mir prompt das Wort ab.
"Soso... Nai und du... was wolltet ihr tun?", hinterfragte er und mir war so, als ob ein spöttelnder Unterton in seiner Stimme mitschwang.

Doch ich ging nicht darauf ein, denn dieser Regent hatte Macht, und vor dieser Macht hatte ich einen gehörigen Respekt.

"Farn... Farnilon hat mir von seiner Heimat erzählt, Vater.", rechtfertigte sich nun auch seine Tochter.
"Ich weis, mein Kind, ich weis.", sprach der Fürst nun mit einer milderen, väterlichen Stimme.
Er musste seine Tochter wohl sehr lieben.

Nun trat Ilandil einen Schritt vor.
"Ich denke es ist Zeit, dass wir uns zur Nachtruhe begeben. Die Nacht ist bereits weit vorgerückt und der morgige Tag wird nicht kürzer, wenn wir den Schlaf hinauszögern.", meinte er.
Armandh war der selben Meinung und nickte ihm zu.
"Ruht euch aus in den Mauern von Aarnsmundh. Mögen die Götter euch geruhsame Träume senden.", wünschte uns Nais Vater und ging sodann Seite an Seite mit seiner Tochter zum Burgfried zurück.

"Garren, Farnilon, kommt bitte mit mir. Ich zeige euch eure Unterkunft. Bei unserer Ankunft habe ich eine Magd angewiesen, dass sie euch ein gemütliches Nachtlager im Gästehaus vorbereiten soll.", bestimmte der jüngste Sohn und schritt in die entgegengesetzte Richtung.

Wie sich herausstellte lag das Gästehaus zwischen Küche und Burgfried und war zu meiner Überraschung sehr thulenisch eingerichtet. Das hieß; keine Trophäen von Wild und kein Grünton an den Wänden. Es war verhältnismäßig nur sehr schlicht eingerichtet, doch die Möbel, welche aus nobler sacianischer Schnitzkunst gefertigt waren, werteten die Ausstattung wieder auf.

Auf unserem Zimmer flackerte bei unserem Eintreten ein kleines wärmendes Feuer im Kamin und im Nebenraum waren sogar zwei Bottiche mit heißem Wasser für ein spätabendliches Bad bereit gestellt worden.
Schließlich verabschiedete sich Ilandil von uns und wünschte uns eine angenehme Nachtruhe.

Und angenehm war diese auf jeden Fall; geprägt von einem wohltuendem Bad und gefolgt von einem erholsamen Schlaf in weichen Betten, bis die Sonne im Osten erschien und sanft ihre hellen Strahlen über das Land ergoss.


Wächter der Nacht - Die GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt