Interlog: Traum und Elend

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FARN
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Nebelschwaden zierten die Umgebung. Dunkle Wolken verdeckten die Sonne und tränkten das Himmelszelt in ein abstoßendes Grau mit violetten Flecken.
Der Wind heulte in verzerrten Klängen und von meiner nähern Umgebung vernahm ich das Rascheln von Blättern und das Knirschen von Wagenrädern auf den steinigen Weg.

Ich spürte, dass ich auf etwas Weichem umd Nassem saß.
Neugierig blickte ich abwärts und ein gellender Schrei durchbrach meine spröden Lippen und das Gefühl des Ekels ergriff meinen Magen.
Ich fuhr auf einem Karren mit den aufgedunsenen Leichen verstümmelter Menschen!

Ich saß auf Toten!

Mit zittrigen Fingern versuchte ich die Seitenplanke des Gefährts zu erfassen, spürte wie sich meine Nägel in das verunreinigte Holz bohrten, bevor ich mich auf die Straße übergab.
Blankes Entsetzen wiederspiegelte sich in meinen Augen. Ungläubig starrte ich ein weiteres Mal auf das Chaos des Todes.

Verflucht! Was zum Henker ging hier vor?!
Bin ich dem Wahn verfallen?

Nein! Ich hielt dem Anblick nicht mehr stand. Der Wind strich meine wirren Haare zur Seite und ich roch zum ersten Mal die Verwesung, welche mit den Leichen mitschwang. Der penetrante Geruch nach Blut, Exkrementen und meinem Angstschweiß ließ mich ein weiteres Mal erbrechen.

Tränen flossen meine Wangen hinunter und verschleierten meine Sicht. Zweifel erfasste mich als ich aufstand und von der Fahrt durchgerüttelt wurde. Meinen schwerfälligen Beinen verdankte ich es, dass ich auch noch beinahe ausrutschte.
Doch ich schaffte es zur Ladefläche und ließ mich auf den schlammigen Weg fallen.
Für einen Augeblick gedachte ich wieder reine Luft zu atmen. Dieses Gefühl versiegte jedoch aprupt, sobald ich einen kontrollierenden Blick zurück warf und feststellte, dass der Wagen sich ohne Zugtier und ohne Knechte vorwärts bewegte.

Das musste Hexerei sein!

Der Schock dauerte selbst dann noch an, als die Dunstschwaden allmahlich das Gefährt verschlangen; Das Grauen jedoch blieb.
Dann wimmerte ich aus inbrünstiger Verzweiflung. Furcht packte mich und drückte mich vorwärts, doch ich konnte nicht, ich wollte nicht mehr.

Wer tat mir das an?
Was sollte all das Elend, all dieser Zorn?!

Ich vergrub meinen Kopf schützend in meine Arme, während ich auf dem kalten Boden hockte und auf das Ende dieses Albtraumes wartete. Oder einfach auf den Tod...

Es mussten Stunden vergangen sein, seit ich hier am Boden hockte. Währenddessen hatte es zu Regnen begonnen, so wie es bei meinem ersten Traum geschehen war. Allerdings wollte dieser einfach nicht aufhören.

Nach langem Zögern ermutigte ich mich schließlich dazu, dass ich weitergehen sollte.
Ächzend hob ich mich wieder auf die Beine und setzte die Füße unsicher Schritt vor Schritt den Wege entlang. Dabei spuckte der Boden ein schmatzendes Schlürfen aus, sobald ich die Stiefel aus dem Dreck hob.

Die Gegend um mich herum war beängstigend. Nebel und dunkle Schemen von Bäumen erstreckten sich über ein nahezu flaches Grasland. Weit und breit war kein Lebenszeichen eines Weidetieres zu sehen, ja nicht einmal das Zwitschern von Vögeln oder das Summen von Insekten war zu hören.

Nichts, das Land war wie ausgestorben. Es war tot...

Dies war die zweite Gemeinsamkeit mit dem Traum auf dem Schlachtfeld.

Auf einmal gabelte sich der Weg. Ein verwittertes Wegkreuz zeigte mir die Orte an, wohin es lang ging. Da ich die Wörter jedoch nicht entziffern konnte, schlug ich kurzfristig den linken Weg ein.
Plötzlich glotzen mich zwei weiße Augen an. Daraufhin Schritt ich eiliger voran und ich bemerkte Flügelschlagen hinter meinem Rücken, bevor das hässliche Federvieh mir einen warnenden Krächzen über mich hinwegzischte.

Was hatte dieser Rabe hier zu suchen? Barg sein Erscheinen vielleicht einen Hinweis, an Zufall glaubte ich nicht.

Es dauerte nicht lange und die Straße - wenn man diese überhaupt noch so nennen wollte - wurde von Mal zu Mal unwegsamer. So kam es, ehe ich es mir versah, dass ich in Sekundenschnelle bis zu den Knien im Morast stand.
Ich konnte weder vor noch zurück, so sehr ich mich auch anstrengt. In diesem Moment bereute ich zutiefst meine Entscheidung dem falschen Weg gefolgt zu sein.

Immer schneller schluckte die nasse Erde meinen Körper. Panik kam hoch. Flehend schrie ich nach Hilfe, doch wer sollte schon in dieser göttervergessenen Gegend meine Rufe erhören.
Als ich bis zu den Schultern im einer Hülle aus Matsch gefangen war, wusste ich dass es nun zu spät war.
Einen letzten verzweifelten Ruf entrang ich meiner Kehle, bevor sich mein Leben unter gurgelnden Geräuschen im Supf verirrte.

Nichts zeugte mehr von meinem aussichtslosen Kampf gegen Mutter Natur...

Wächter der Nacht - Die GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt