Senna Quince 2 | Kapitel 22

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Der erste, der mir am Ende der Leiter begegnete, war Tway. 
Argwöhnisch blickte er mich an. Ihm schien die Situation genau so wenig zu gefallen wie mir, doch immerhin hielt er den Mund. Es reichte schließlich schon, dass er überhaupt da war und mich damit ablenkte, obwohl ich all meine Konzentration brauchte, um im halbdunkel überhaupt etwas zu erkennen.
Der Gang war eng und knickte nach nicht einmal einen Meter nach rechts ab. 
Ich vermutete die anderen Drei dort, doch ich wollte auf Tarek warten, der in dem Moment unten ankam. 
Jeder Muskel seines Körpers war angespannt und seine Atmung ging stoßweise. Darüber konnte auch das Lächeln, welches er mir schenkte, nicht hinweg täuschen. 
„Du musst nicht mitkommen.“, erinnere ich ihn deswegen leise. 
Tarek erwiderte jedoch nichts, sondern nahm einfach meine Hand in Seine, ehe er sich an mir vorbei drückte und weiter ging, wodurch ich ihn folgen musste. Trotzdem spürte ich, wie ihm die Berühung anscheined genau so Kraft gab, wie mir, da er zwar immer noch angespannt wirkte, aber gleichzeitig um einiges ruhiger. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass ich der Grund war, auch wenn es mir Angst machte. Was wenn Snow sich doch noch dazu entschied, mich beiseite zu schaffen und ich nicht mehr an Tareks Seite sein konnte? Würde er es überstehen können?
Ich durfte nicht länger darüber nachdenken und konzentrierte mich auf das graue Halbdunkel vor uns. 
Um die Ecke wartete wirklich Finnick mit den Zwillingen, die genau so begeistert wirkten, wie ich. 
„Warten wir auf was Bestimmtes?“, erschreckte uns wieder mal mein Vater, was ihm nicht nur von mir einen bösen Blick bescherte. 
Der einzige der grinste war Tway.
„Ich versuch mir gerade euren kleinen Trupp in der Arena vorzustellen.“, erklärte er mir und ich verkniff mir ihn daran zu erinnern, dass immerhin zwei Gewinner unter uns waren. 
Da es alle, bis auf Tarek, verwirren würde, wenn ich anfing mit der Luft zu reden, beließ ich es bei einem seufzen, was auch meinem Vater hätte gellten können.
Finnick nahm das als ausreichendes Kommentar und setzte sich wieder schweigend in Bewegung, wobei wir immer hintereinander gehen mussten, damit genug Platz war, um gerade laufen zu können. 
Tarek ging vor mir und hielt immer noch meine Hand, während mein Vater genau hinter mir war. Da ich den Bogen hier drinnen sowieso nicht benutzen konnte, war es mir sogar regelrecht egal. 
Ich versuchte langsam und gleichmäßig zu atmen, Ruhe auszustrahlen, damit es auch Tarek in der Enge leichter fühlte. 
Trotzdem konnte er ein erleichtertes aufseufzen nicht verbergen, als der Gang breiter wurde. 
Verwirren tat es mich trotzdem, wobei mein Vater sofort hilfreich erklärte. 
„Das war klassisch für Rebellengänge. Am Anfang eng, damit die Leute aus dem Kapitol nur einzelnd folgen konnten. Dort, wo die Gänge, wie hier, breiter wurden, warteten die Rebellen und konnten die Leute abfangen.
Nicht nur die Zwillinge schauten ihn mit hochgezogener Augenbrauen an, doch es war Finnick, der wohl all unsere Gedanken aussprach. 
„Wenn du dich schon so gut mit der Rebellengeschichte auskennst, wie wäre uns, dass du uns verräst, ob es noch irgendwelche Dinge gibt, mit denen wir hier unten rechnen müssen.“
Mein Vater schüttelte nur den Kopf. 
„Die Gänge waren mehr zur Flucht gedacht. Mehr nicht. Jedoch kann ich nicht versprechen, dass unser Gegner nicht etwas eingebaut hatte. Seid also vorsichtig und schaut euch genau um, ehe ihr einen Schritt macht.“ 
Selbst mir selber wurde etwas mulmig bei dem Gedanken und Tareks Finger schlossen sich fast schmerzhaft um meine Hand. 
Ich nutze den Moment, in dem wir warten mussten, bis die anderen drei losgingen, um mich kurz an seinen Rücken zu schmiegen. 
Er atmete ein paar mal ein und aus und entspannte sich wieder ein wenig, ehe wir weiter gehen mussten und ich wieder hinter ihm lief, ohne die Hand los zu lassen. 
Schweigend gingen wir hinter einander her und schauten uns nach irgendwelchen Fallen um, als der Gang erneut abknickte. 
Ein ungutes Gefühl kam in mir hoch, was ich nicht erklären konnte, als ich auch schon um die Ecke schauen konnte, wo kein Gang mehr vor uns war, sondern ein riesiger Aufenthaltsraum. 
Am anderen Ende des Raumes hockten zwei Gestalten, die ich nicht erkennen konnte. 
„Annie!“, schrie Finnick da jedoch auch schon auf und rannte los, was auch unseren Gegner dazubrachte, aufzuspringen. 
Zu spät erkannte ich die leichte Vertiefung im Boden vor Finnicks Fuß. 
„Finnick warte!“, versuchte ich ihn aufzuhalten, doch da war er auch schon darauf getreten und weiter gelaufen. 
Es war sein Glück, da er dadurch aus dem Weg der nun anfliegenden Speeren war. 
Wir waren es jedoch nicht. 
Da ich mich auf Finnick konzentriert hatte, konnte ich dem Speer, der genau auf mich zuraste, nur anstarren.
Wie in Zeitlupe schien er immer näher zu kommen und doch konnte ich einfach nicht reagieren, auch wenn ich meinen Körper innerlich darum anflehte. 
In letzter Sekunde riss Tarek mich zur Seite und nach unten, wodurch wir zwar beide auf dem Boden aufschlugen, jedoch der Speer haarscharf über uns hinwegflog. 
Ich konnte Tarek nur anstarren, während ich in seinen Augen Angst lesen konnte. 
Angst um mich. Die Angst, dass er mich fast verloren hätte. 
Es war der Moment, in dem ich mir sicher war. 
„Ich liebe dich.“, brachte ich hervor, auch wenn es wohl der denkbar schlechteste Moment war, den ich dafür wählen konnte, doch das Lächeln, welches sich auf Tareks Gesicht ausbreitete, war die wundervollste Reaktion, da in seinen Gesicht, die gleiche Liebe stand. 
„Senna!“, wurde ich von Finnick aus dem Moment gerissen und schaute auf. 
Er kniete mittlerweile neben der geknebelten Annie, die lautlose Tränen weinte und deutete in den Gang, der auf der Seite gerade weiter ging. 
Unser Gegner versuchte zu flüchten. 
Ich war sicher gewesen, dieser Teil meiner selbst in der Arena verloren zu haben, doch die Kämpferin, die Karriero übernahm sofort. 
Trotz Schmerzen im Knie sprang ich auf und zog in einer fließenden Bewegung einen Pfeil, während meine Atmung sich wie von selbst beruhigte, während ich anlegte. 
Ohne zu überlegen zielte ich, zuckte doch noch in letzter Sekunde nach unten, ehe ich den Pfeil fliegen ließ. 
Gezielt traf er unseren Gegner in der Kniekehle, der sofort nach vorne geschleudert wurde und hart auf dem Boden aufschlug. 
Fliehen war nun nicht mehr. 
Wir hatten ihn gefangen. Lebend. 
Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als auch alle anderen sich hochrappelten. 
Gemeinsam durchquerten wir den Raum, wobei mein Vater und auch Tarek zu Annie gingen, während die Zwillinge und ich den Weg zu dem Mörder zurück legten. 
Ich wollte wissen, wer all diese Jugendlichen getötet hatte, um mich zu quälen. 
Wer war es? Warum tat er es? Was hatte ich ihn getan? 
Immer noch konnte ich mir niemanden vorstellen, was den Moment, in dem ich meinen Gegner umdrehte und er mich mit schmerzverzerrten Gesicht anstarrte, um so schlimmer machte, weswegen ich nur aufkeuchen konnte. 
„Civer?“

Senna Quince 2 | Leben danach...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt