Senna Quince 2 | Kapitel 27

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Ich hätte ihn töten sollen. 

Der Gedanke kam mir zum ersten Mal als ich in Finnicks Gästezimmer lag und an die Decke starrte. 

Tarek war den ganzen Tag bei mir geblieben und war gut eine Stunde vorher eingeschlafen. Am Ende hatte bei ihm die Erschöpfung gesiegt und er konnte ein wenig schlafen während ich seinen gleichmäßigen Atem und dem Meer gelauscht hatte. 

Dabei war es mir klar geworden. 

Ich hatte entschieden, dass Civer leben sollte. Hätte ich damals einfach anders entschieden, meinem Instinkt vertraut, würde mein Vater noch leben. 

"Wir sollten los Senna.", durchbrach Annies Stimme meine finsteren Gedanken, in denen ich nun schon seit Tagen fest hing. 

Ich blickte zu ihr auf umd nickte, bewegte mich aber keinen Zentimeter, sondern blieb einfach auf meinem Bett sitzen. 

Seit zwei Tagen war ich wieder in meinem Haus wobei alle spuren von Civer vernichtet waren. Das Kapitol kümmerte sich schließlich um seine Sieger. 

Zumindest hatte das der Brief des Präsidenten behauptet, als er vor drei Tagen bei Finnick für mich abgegeben wurde. Natürlich hatte er sein Mitleid bekundet, doch ich war mir sicher, dass der Präsident nicht einmal wusste was dies war. 

Kurzzeitig war ich mir sicher, dass er Civer benutzt hatte aber es passte nicht zusammen. Der Präsident wollte mich lebend und leidend sehen. 

Noch zumindest. 

Dazu war aus Distrikt Zwei bestätigt wurden, dass er immer wieder Verhaltensstörungen aufgewiesen hatte und deswegen aus dem Programm geworfen wurden war. Anstatt dies aber mitzuteilen hatten sie ihn einfach zurück nach Distrikt Vier geschickt. 

Ein Teil von mir wollte darüber wütend sein aber nicht einmal das schaffte ich mehr. Ich wollte mich nur wieder in mein Bett verkriechen und darauf hoffen, dass die Welt solange stehen blieb, bis ich bereit wäre.

Dummerweise tat sie mir den Gefallen nicht, sondern ließ Tarek zu uns ins Zimmer kommen. 

Kurz nickte er Annie zu, woraufhin sie den Raum verließ, ehe er sich vor mich kniete und meine Hände in seine nahm. 

"Ich will da nicht hin.", gestand ich ihm leise woraufhin er meine Finger noch etwas stärker umgriff. 

Nur am Rande bekam ich mit, dass ihm der Anzug von Finnick gut stand, als er mich mit seinen blauen Augen musterte. 

"Ich weiß Senna.", meinte er ebenfalls leise, "Aber später würdest du es bereuen nicht dabei zu sein." 

"Aber das Kamerateam! Wie kann das Kapitol es wagen an meiner Trauer teilzunehmen? Dies ist keine Show! Das ist mein Leben!" 

"Und sie wollen Teil daran haben.", erinnerte mich Tarek und ich nickte traurig. 

"Der Preis ein Sieger zu sein.", murmelte ich und schloss die Augen. 

Gleichmäßig atmend versuchte ich Energie zu sammeln für das was kam. 

Die Beerdigung meines Vaters live im Kapitol. Wäre er noch hier hätte er wahrscheinlich darüber gelacht.

"Du bist nicht allein. Unten warten die Andere und keiner von uns wird von deiner Seite weichen." 

Noch einmal nickte ich dankbar ehe ich auf stand. Finnick und Annie hatten schließlich lange genug gewartet. Vielleicht hatte ich nur noch die Drei an meiner Seite aber immerhin war ich nicht allein. 

Deswegen streckte ich auch den Rücken durch als ich die Treppe nach unten ging, gefolgt von Tarek. 

Unten erwarteten mich jedoch nicht nur Finnick und Annie, sondern auch die Zwillinge, die sofort zu mir sahen, als sie mich hörten. 

Ihr Anblick ließ erneut Tränen in meine Augen treten und ich tat etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte.

Ich warf mich beiden Jungs regelrecht in die Arme und ließ den Tränen freien Lauf. 

Vier starke Arme zogen mich fast synchron in die Sicherheit einer Umarmung. 

"Denkst du wir lassen dich das allein durchstehen? Nach alldem was wir zusammen durchgemacht haben?", erklärte Oleander und auch Nerium gab seinen Senf dazu. 

"Wir sind vielleicht kein Schwiegersohnmaterial wie unser Finnick hier aber unsere Freunde lassen wir nicht im Stich wenn sie uns brauchen."

"Seit wann habt ihr Freunde?", fragte Tarek und selbst ich konnte das leichte schmunzeln dabei hören. Deswegen war es auch einfach den Zwillingen ein leichtes Lächeln zu schenken und ihnen zu versichern:

"Seit jetzt." 

Oleander und Nerium grinsten Beide gleich breit, ehe sie wieder ernster drein blickten. 

Mit nun fünf Menschen, denen ich wichtig war und die wohl so etwas wie meine eigene, kleine, zerbrochene Familie darstellten, trat ich nach draußen. 

Kameras warteten bereits hier auf uns, doch ich würdigte sie keines Blickes. Wenn sie unbedingt dabei sein wollten, bitte, aber ich würde ihnen sicherlich keine Show bieten. 

Gemeinsam gingen wir zum Strand hinunter, wo ein Teil des Distriktes bereits wartete. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Menschen kommen würden und zu wissen, dass wir nicht allen egal waren, rührte mich.

Nur halbherzig bekam ich die Zeremonie mit. Tarek und Finnick standen an meiner Seite, wobei Finnick sich liebevoll um die weinende Annie kümmerte. Auch für sie war mein Vater so etwas wie eine Bezugsperson gewesen. Erst er hatte sie in mein und damit auch Finnicks Leben gebracht.

Oleander und Nerium hinter mir, wodurch ich von ihnen regelrecht umrandet war, als mir die Urne, mit der Asche meines Vaters, übergeben wurde. 

Seine Einäschung war ohne irgendjemanden durchgeführt worden. Selbst ich war nicht dabei gewesen, weil ich nicht sehen wollte, wie er entgültig verschwand. Wenn dieser Teil nicht wichtig für jeden Menschen in Distrikt Vier wäre, würde ich ihn auch nicht übernehmen. Doch ich wusste, dass ich es tun musste, auch als Teil des Abschiedes. 

Als ich ihn so hielt, erinnerte ich mich an den Abend, an dem ich ihn und Tarek auf meinen Bett sitzen sah. Mein Vater hatte Tarek etwas gesagt, was ich bis jetzt nicht wusste. 

„Was hat er gesagt?", fragte ich ihn deswegen leise. 

Verwirrt blickte Tarek mich an, weswegen ich etwas deutlicher wurde. 

„Am Abend ehe er... was hat er zu dir gesagt?" 

Tarek schien noch einen Moment zu brauchen, ehe er seufzte und mich traurig lächelnd anblickte. 

„Pass auf sie auf, wenn ich nicht mehr da bin." 

Seine Worte sanken in mich. 

Er hat es geahnt. Irgendwie hatte er es gewusst und dennoch nur an mich gedacht. 

Mit diesem Gedanken atmete ich ein letztes mal tief durch, ehe ich soweit ins Meer trat, bis es unter meinen Knien umher schwabte. 

Vorsichtig öffnete ich die Urne, auch wenn meine Hände dabei zitterten und Tränen meinen Blick verschleierten. 

Ich war bis jetzt nur bei der Beerdigung meiner Mutter gewesen und konnte mich nicht wirklich daran erinnern. Um so genauer bekam ich nun alles mit. 

Das Wasser, welches um meine Beine schwabte, der Wind, der durch mein Haar wehte. Alles war wie verstärkt und doch spürte ich keinen der anwesenden Menschen um mich herum. 

Nur der Staub meines Vaters zählte, als er durch meine Hände fiel und von den Wellen ins offene Meer getragen wurden. Mit jedem Hauch, der von ihm ging, ließ auch ich ihn ein wenig mehr gehen. 

Als die letzten Reste nach unten fielen, flüsterte ich deswegen so leise ich konnte, damit nur er es hören konnte. 

„Leb wohl Daddy."

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