Senna Quince 2 | Kapitel 6

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Der Schrei hatte andere Menschen ebenfalls aus ihren Häusern geblockt, als wir auf der Promenade, die an den Strand angrenzte, ankamen. Ich konnte weder Oleander, noch Nerium sehen, war aber nichts zu bedeuten hatte. Alle schienen geschockt, aber von meinem Platz aus, konnte ich nicht wirkich sehen, was los war, weswegen ich begann mich durch die Menschen zu drücken. 
Wirklich voran kam ich aber nicht. Zumindest nicht bis Tarek eingriff und die Leute einfach zur Seite schob, wodurch wir nun um einiges schneller voran kamen, bis wir durch die Reihen gebrochen waren. 
Was ich sah war jedoch nicht wirklich schön. 
Ein Junge, den ich als einen der Waisen von Mania erkannte, war an einen Pfosten gefesselt. 
Seine toten Augen weit offen, seine Kehle aufgeschitzt und das Blut über seinen Oberkörper verteilt.
Nein, dass war gar nicht gut. 
Der Junge war so gestorben, wie ich hätte sterben sollen. 
Ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren und wieder in die Arena zurück versetzt zu werden.
Die Schmerzen in meinem Hals. Das Gefühl, am eigenen Blut zu ertrinken und egal wie sehr man es versuchte Luft zu bekommen, keine transportieren zu können. Die Angst davor zu sterben und gleichzeitig die Hoffnung, dass es endlich vorbei war. 
Die Hand von Maze in meiner... 
„Senna?“
Tareks Stimme und seine Hand auf meiner Schulter riss mich aus meiner Erstarrung. 
Erschrocken zuckte ich zusammen und meine Finger wanderten wie von selber zu meinem Hals, andem ich die feine Narbe meiner Verletzung verspürte. 
Keuchend holte ich Luft und nickte schnell, auch wenn es wohl oder übel nicht sehr überzeugend war. 
„Alles okay?“, fragte Tarek vorsichtig und schaute mich besorgt an. 
„Geht schon. Ich war nur etwas geschockt.“, gestand ich. 
„Die Siegerin der 66. Hungerspiele kann keine Leichen sehen?“, hörte ich auf einmal wieder Neriums Stimme, was Tarek zum Knurren brachte, während er über mich blickte. Anscheinend waren die Zwillinge wieder da. „Jetzt bin ich aber enttäuscht.“
„Ich hab Kampfleichen gesehen aber das... das war eine Hinrichtung.“, warf ich zurück und schaute nun zu Nerium hinter dem natürlich, wie immer Oleander stand. 
„Wo wart ihr eigentlich?“, wollte nun auch Tarek wissen. „Ihr seit nur wenige Sekunden vor uns hier her gerannt.“
„Vielleicht sind wir gut schneller als ihr Beiden.“, behauptete Nerium angriffslustig. 
Ich wollte ebenfalls etwas erwidern, doch da wurde auch schon mein Name gerufen. 
Annie. 
Ehe ich sie aufhalten konnte, war sie durch die Menschen gebrochen und sah den Leichnam. 
Einen Momant starrte sie ihn an, ehe Tränen in ihre Augen traten und sie aufschrie. 
Fluchend lief ich zu ihr und ich merkte nur halb, wie Tarek dabei immer noch an meiner Seite blieb. 
„Annie schau nicht hin.“, verlangte ich und zog das jüngere Mädchen an mich, während ich sie von dem Jungen wegdrehte. 
„Das ist Ben. Das ist Ben.“, wiederholte sie immer wieder, „Ich hab doch gestern noch mit ihm geredet. Er hat niemanden was getan!“
„Beruhige dich Annie. Ich weiß nicht, was passiert ist.“, versuchte ich sie zu beruhigen, doch es half nicht wirklich. 
Zwar weinte sie nicht mehr, dafür zitterte ihr ganzer Körper um so schlimmer. 
Als auch noch Friedenswächter sich einen Weg bahnten, verspannte sie sich und krallte ihre Finger so fest um meine Taille, dass es fast schmerzte. 
Die Männer begutachteten die Szene, begannen dann aber die Menschen nach Hause zu scheuchen, weswegen ich Annie ebenfalls von dem Tatort weg ziehen wollte. 
Jedoch stemmte sie sich dagegen und begann wieder zu weinen, weswegen ich einmal wieder mein kaputtes Knie verfluchte. 
Als Arme nach Annie griffen, wollte ich schon einen Friedenswächter anfahren und erklären, dass sie den Jungen gekannt hatte und er ihr doch ein paar Minuten geben sollte. 
Doch da blickte ich in Tareks hellblaue Augen und erstarrte. 
Kurz nickte er nur, ehe er Annie einfach hochhob und los ging. 
Mein Blick fiel nur kurz auf die Friedenswächter, die uns zwar kurz musterten, aber sonst nicht wirklich darauf achteten. 
Deswegen wand ich mich auch wieder zu Tarek und versuchte wieder zu ihm aufzuholen. 
Ich schaffte es, doch dabei war er schon kurz vor dem Siegerviertel. 
Er schaute mich kurz an, doch als ich keine anstalten machte anzuhalten, ging auch er einfach weiter. 
Dieser Moment wiederholte sich schweigend an der Haustür. Auch diese öffnete ich einfach und ließ ihn herein. 
„Am Besten wir bringen sie gleich hoch in ihr Bett.“, schlug ich vor und Tarek nickte. 
Ich ging vor und öffnete die Tür wo Tarek das Mädchen vorsichtig ablegte. 
Sofort krabbelte sie unter ihre Decke und begann erneut zu zittern. Ich wünschte, dass Finnick da wäre, da er sich eindeutig besser mit so etwas auskennen würde. Jemanden zu beruhigen oder aufzumuntern war nicht wirklich einer meiner Stärken. 
„Soll ich gehen?“, fragte Tarek leise und ich schaute zu ihm. 
Wollte ich das er ging? Eigentlich fand ich seine Gegenwart sehr angenehm und auch Maze, der hinter ihm stand, schüttelte energisch den Kopf. 
„Kannst du unten auf mich warten?“ , stellte ich unsicher die Gegenfrage. 
Sein Lächeln war Antwort genug, als er nickte und sich wieder umdrehte, um aus dem Zimmer zu gehen 
Ich selber ging noch einmal zu Annie, die starr gerade aussah. 
„Versuch an etwas anderes zu denken.“, schlug ich ihr vor und sie nickte. 
„Warum wurde er umgebracht?“, wollte sie wissen, doch ich konnte nur den Kopf schütteln. 
„Ich weiß es nicht Annie aber ich hoffe, dass es herausgefunden wird und der Täter bestraft wird.“ 
Erneut nickte Annie, ehe sie sich umdrehte und mir damit zeigte, dass sie alleine sein wollte. 
Deswegen ging ich ebenfalls aus dem Zimmer, ließ sicherheitshalber aber das Licht an, da mir nur zu bewusst war, wie traumatisch dieser Anblick für das Mädchen gewesen sein musste. 
Gleichzeitig wollte ich selber nicht darüber nachdenken. Schließlich wusste ich nur zu genau, was der Junge durchgemacht hatte. 
„Senna?“, hörte ich wieder einmal Tareks Stimme und ich schaute zu ihm. 
Er hatte sich auf das Sofa gesetzt und sah in meine Richtung. 
„Entschuldige. Ich war nur etwas … durcheinander.“, erklärte ich. 
„Du sahst eher aus, als hättest du einen Geist vorhin gesehen.“, meinte Tarek nun, weswegen ich mich seufzend neben ihn fallen ließ. 
„Es hat mich nur an die Arena erinnert. Passiert manchmal.“, gestand ich leise und er nickte. 
„Dachte ich mir schon.“, murmelte auch Tarek und lehnte sich wieder zurück, „Aber die Art wie er umgebracht wurde.“, kurz unterbrach er und schien selber zu erschaudern, als wenn er sich ebenfalls an etwas zurück erinnern.
„Hey, Tarek.“, war es deswegen dieses mal ich, der ihn aus seinen Gedanken riss. 
Jedoch reagierte er erst, als ich meine Hand auf seine Wange legte, wodurch er mich verwirrt anschaute. 
Entschuldigend lächelte er im nächsten Moment. 
„Scheint als wären wir heute Abends alle etwas abwesend.“, gestand er. 
„Scheint so.“, stimmte ich zu, „Den Mord nimmt wohl keiner leicht hin.“ 
„Außer Nerium.“, murmelte Tarek und ich stutze. 
„Du meinst doch nicht etwa, dass die Beiden es waren.“, sprach ich seine Vermutung laut aus. 
Tarek musterte mich einen Moment, ehe er mit den Schultern zuckte. 
„Ich weiß nur, das sie circa aus der Richtung kamen, in der der Mord stattgefunden hat. Und Nerium hat genug Wut im Bauch, um dumme Dinge zu tun.“ 
Seine Aussage war sicher nicht falsch. Nerium war eine tickende Zeitbombe, die nur noch nicht explodiert war, weil sein Bruder bei ihm war. 
Aber könnte er auch einen Unschuldigen, kaltblütig ermorden?

Senna Quince 2 | Leben danach...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt