Kapitel 3

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Yve Winter

Die schrillen , ersten Töne von 'Paradise by the Dashbord light' tönen laut aus meinem Handy. Ich denke kurz darüber nach, ob das mein Wecker ist. Doch keine Sekunde später fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Das ist mein Klingelton! Ich werde einfach so selten angerufen, dass ich das für kurze Zeit vergessen habe.
„I remember everything little thing, as if it happened only yesterday" tönt es weiter aus meinem Handy. Ich bin kurz davor mitzusingen, bis mir schließlich einfällt, dass ich Mal ran gehen könnte. Ein kurzer Blick aufs Handy, lässt mich direkt etwas zusammenzucken. „Annalena Baerbock ruft an..." steht dort in Großbuchstaben geschrieben.
Ohne weiter darüber nachzudenken schiebe ich den Regler auf meinem Handy auf „Anruf annehmen". Ich richte mich rasch etwas auf und versuche nochmal leise meine Stimme zu richten und führe schließlich das Handy an mein Ohr. „Winter, hallo?!"

Ihre warme, sanfte Stimme dringt zu mir hindurch „Hallo Frau Winter, Annalena Baerbock hier. Ich wollte mich direkt nochmal bei ihnen melden um Ihnen mitzuteilen, dass sie in der engeren Auswahl sind und direkt fragen, wann sie Zeit hätten für einen Probetag."

Verdutzt reibe ich meine noch schläfrigen Augen. Ich hätte einfach nicht gedacht, dass sich so schnell jemand bei mir meldet und dann ist es auch noch sie. Obwohl sie zur Zeit sicher einiges zu tun hat, legt sie wahrscheinlich viel Wert darauf diese Angelegenheit selbst zu klären.

Ohne noch einmal drüber nachzudenken sage ich schließlich: „Wann immer Sie wollen. Ich kann auch schon ab Morgen vorbeikommen."
„Super, dass Sie so spontan sind. Dann würde ich sie bitten morgen pünktlich um 8 Uhr an unserem Gebäude zu erscheinen. Denken sie diesmal am Besten an ihren Regenschirm." sagt sie mit einem Hauch Sarkasmus in ihrer Stimme. Ich reiße meine, bis eben noch kleinen, schläfrigen Augen auf. Ich spüre, dass meine Wangen plötzlich ganz warm werden. Natürlich hatte sie gesehen wie durchnässt ich zum Vorstellungsgespräch erschienen bin. Ich habe gehofft, dass es nicht ganz so aufgefallen ist. Falsch gedacht. Mit etwas zögernder, leisen Stimme antworte ich schließlich: „Das wird gemacht. Danke für den Tipp. Dann bis morgen früh."

Ich lass das Handy neben mir auf das weiche Bett fallen, ziehe mir die kuschelige Decke über den Kopf und lasse einen kleinen Schrei heraus. Dabei weiß ich nichtmal ob es ein Schrei aus Freude über das Probearbeiten, oder ein Schrei aus Scham über meinen doch etwas chaotischen ersten Eindruck beim Gespräch, ist. Eins ist aber sicher, den Regenschirm vergesse ich ganz sicher kein zweites Mal.

Annalena:

„Mittwoch, 06. Oktober, 8 Uhr morgens, Frau Winter" trage ich schließlich in meinen viel zu vollen Terminkalender ein. Ich quetsche es einfach noch zwischen Sondierungs- und sonstige Besprechungstermine, auf eine der linierten Seiten in meinem braunen Lederbuch.
Erschöpft lehne ich mich in meinen grauen, großen Bürostuhl zurück und schließe für einen Moment meine Augen. Doch selbst in der Dunkelheit sehe ich Wörter wie „Aufbruch! Sondierungen. Klimaschutz. 1,5 Grad Pfad. Koalition... Regierung... Verantwortung" an mir vorbei rauschen. Aber das bin ich vor allem seit dem Wahlkampf gewohnt. Es gibt selten Momente in denen ich zu 100% abschalten kann. Selbst in der Zeit mit meiner Familie, bleibt selten Zeit dafür Mal nicht an den ganzen Stress zu denken. Aber ich wollte es so. Und ich bin stolz auf Alles was ich bisher erreicht habe.

„Annalena", drang leise zu mir hindurch. Am liebsten würde ich die Augen einfach weiter zulassen und die bekannte Stimme meines Kollegen ignorieren. Aber schließlich öffne ich sie doch und schaue Robert erwartungsvoll an. „Müssen wir schon los?" Der gewohnt lässig gekleidete Robert nickt mit einem kleinen Lächeln im Gesicht: „Ja unser Bus ist gerade vorgefahren. Die Sondierungsgespräche beginnen in einer halben Stunde."

Ich werfe einen flüchtigen Blick nach draußen und natürlich hat sich das Wetter seit gestern kaum geändert. Der Regen prasselt heftig gegen das Fenster meines Büros. Mit einem Ruck schnelle ich aus meinem gemütlichen Bürostuhl heraus, schnappe mir meinen kuschligen, dunkelgrünen, knielangen Mantel und werfe diesen schnell um meinen zierlichen Oberkörper.

Auf dem Weg nach draußen verabschiede ich mich noch von sämtlichen Kollegen: „Wir sehen uns morgen früh. Bis dann."
Gentlemanlike hält Robert mir die große, weiße Eingangstür der Geschäftsstelle auf und wartet bis ich mit großen Schritten aus dem Büro schreite. Im Flur des gelben Gebäudes angekommen, hallt das Klacken meiner Absatzschuhe bis ins Erdgeschoss. Auf dem Weg nach unten halte ich mich etwas am Geländer der Treppe fest. Einen Sturz wie damals beim Trampolin springen kann ich nun wirklich nicht gebrauchen. Ich bin damals bei der Landung nach einem Sprung mit einem Fuß an der Seite des Trampolins aufgekommen und habe mir kurz vor den Meisterschaften den Fuß gebrochen. Darauf kann ich getrost verzichten.

Bevor ich durch die schwere, große Eingangstür nach draußen trete, werfe ich einen flüchtigen Blick durch das Fenster um zu sehen wo der Bus genau steht. Da Robert noch in der oberen Etage des Gebäudes ist, öffne ich die Tür selber und laufe schnellen Schrittes in Richtung Bus, durch den kalten Herbstregen. Ein Glück war der Weg so kurz, dass mich nicht das gleiche Schicksal ereilt wie Frau Winter am Vortag. Kurze Zeit später steigt auch mein Kollege in den schwarzen Bus ein und schließt die Schiebetür mit einem großen Knall.

Falling slowly Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt