Kapitel 19

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Annalena Baerbock:

Ein wildes Pochen an der Tür weckt mich auf. Fest davon ausgehend, dass es meine Kinder sind, tippe ich neben mir im Bett auf meinen Mann. Ich öffne meine Augen einen Spalt weit und ein Schauer läuft mir eiskalt den Rücken hinunter. Das ist nicht mein Mann neben mir und wir sind auch nicht in meinem Schlafzimmer.
Yve und ich liegen noch immer eng umschlungen und vor allen Dingen nackt auf der Bürocouch. An der Tür ein immer lauter werdendes Pochen und Roberts Stimme dringt durch sie hindurch: „Hallo, hallo? Warum ist hier abgeschlossen? Annalena bist du da drin?"
Ich reiße meine Augen weit auf und schnelle hoch. Davon erschrocken wird auch Yve endlich wach und scheint zu realisieren was hier gerade passiert.
Ich renne zum Tisch von Yve, wo alles begann, um meine Kleidung einzusammeln. Mit Schwung werfe ich auch ihre Kleidung rüber zur Couch, auf der sie noch immer nackt und verdutzt sitzt.
„Yve. Schnell! Wir müssen uns anziehen.", flüstere ich ihr leise zu, sodass der Mann auf der anderen Seite der Tür, das nicht hört.

Hastig steige ich in meinen Rock und ziehe ihn über meinen nackten Po. Ich frage mich wo mein Slip hingekommen ist, da sehe ich die junge Frau auf der Couch schon damit winken. Schnellen Schrittes gehe ich zu ihr und greife nach der Hand, in der der Slip ist. Ich kann nicht anders als der schönen Frau einen erneuten Kuss auf die Lippen zu hauchen, so verzaubert mich ihr Anblick am frühen Morgen. Etwas verwirrt erwidert sie den Kuss und unsere Zungen treffen sich. Sie tanzen kurz umeinander, bis ich wieder einen Schritt zurückgehe und meinen Zeigefinger auf ihre Lippen lege. Tonlos ziehe ich mir den Slip unter den Rock und knöpfe meine Bluse zu.
Auf dem Weg zur Tür schlüpfe ich noch schnell in meine High Heels und überlege mir eine plausible Ausrede für meinen Kollegen. Ein kurzer Blick zu Yve zeigt mir, dass sie auch fertig ist, also lege ich meine Finger erneut um den goldenen Schlüssel und drehe ihn langsam um.
Damit Robert nicht direkt ins Büro stürmt und uns Beide darin sieht, empfange ich ihn direkt mit einer Umarmung und dränge ihn zurück in den Flur. Zielstrebig laufen wir gemeinsam auf die Kaffeeküche zu und er schaut mich nur verwirrt an.
R: „Was machst du denn schon hier und warum sperrst du ab?"
Ich versuche ruhig zu bleiben, doch die Bilder in meinem Kopf lassen mich fast verrückt werden. Mit einem Auge schaue ich an Robert vorbei, der mit dem Rücken zur Tür steht.
A: „Ich war einfach schon früher da und wollte nicht, dass irgendein anderer Kollege bei meinen Anrufen stört."
Sein Blick ruht noch immer sehr skeptisch auf mir.
R: „War dein Abend gestern doch nicht so erfolgreich?"
Die Bilder des letzten Abends schießen mir unaufhaltsam in meinen Kopf. Oh doch, mein Abend war sehr erfolgreich. Erfolgreicher und wunderschöner als jeder Abend zuvor. Im gleichen Moment sehe ich wie Yve durch den Flur, direkt zur Eingangstür schleicht und diese vorsichtig öffnet. Kurzerhand verschwindet sie tonlos aus den Büroräumen. Erleichtert atme ich aus und gehe mit meinem Kollegen wieder Richtung Büro.

A: „Doch, gestern war sehr erfolgreich. Ich hatte einen schönen Abend."
Ich grinse ihn vorsichtig von der Seite an und hoffe einfach, dass er nicht weiter nachfragt. Er wirft mir einen frechen Blick zu und sagt: „Bevor die Anderen kommen solltest du vielleicht nochmal ins Bad gehen und deinen Lippenstift richten."
Erschrocken greife ich in mein Gesicht und mache mich ohne zu überlegen auf den Weg ins Bad.
Blind greife ich nach dem Schalter an der Wand und nachdem ich diesen betätige wird der kleine Raum in in grellem Licht geflutet. Meine Augen pressen sich automatisch zusammen, doch ich sehe auch schon durch die kleinen Schlitze das Elend in meinem Gesicht. Mein Schminke ist dort nämlich kreuz und quer verteilt und erinnert mich an die schönen Stunden die ich hatte.
Notdürftig richte ich mein Make-up und fahre mir durch die zerzausten Haare, damit diese wieder ordentlich auf meinem Kopf liegen.

Auf dem Weg zurück ins Büro, höre ich wie hinter mir die Eingangstür aufgeht. Ich drehe mich direkt um und da steht sie wieder. Genauso schön wie ich sie von heute Morgen in Erinnerung habe. Ich werfe ihr ein sanftes Lächeln zu, bevor ich mich wieder umdrehe und zielstrebig zu meiner Bürotür gehe.
A: „Danke Dir Robert. Das war wohl heute Morgen doch einfach zu früh. Da habe ich mein Make-up ganz vergessen."
Ich lächle ihn vorsichtig an und wende mich meinem Schreibtisch zu, in der Hoffnung, dass er nicht weiter nachfragt.

Wenige Minuten später betritt Yve unseren Raum und geht mit einem leisen „Guten Morgen" direkt auf ihren Tisch zu. Ich lasse mein Blick vorsichtig über meinen Laptop wandern, sodass ich sie direkt ansehen kann. Ich schaue ihr direkt in die Augen und spüre immer noch diese starke Spannung zwischen uns. Wir schauen uns einige Minuten einfach an und machen nebenbei unsere Arbeit blind weiter. Meine Hand malt mit einem Kugelschreiber wilde Kreise auf einen Notizzettel. Genau solche wilden Kreise, wie die, die sie mit ihrer Zunge auf meinem ganzen Körper gezogen hat.

R: „Na wird das ein Bild für dein Schatz, oder doch eine geheime Nachricht?"
Ich spüre wie Robert plötzlich nah an mir dran steht und mir direkt über die Schulter, auf meinen vollgekritzelten Zettel, starrt. Ich lehne mich rasch in seine Richtung, um ihn etwas von mir wegzuschieben und schüttle tonlos den Kopf. Ich muss mich auf die Arbeit konzentrieren. Dringend! Ich rutsche in meinem Stuhl etwas nach unten, sodass ich nicht mehr über meinen Laptop blicken kann und mache weiter mit meiner Arbeit.

****

Es ist Nachmittag und ich stehe vor einer großen Menschenmenge.
Die geplante Pressekonferenz findet natürlich genau heute statt, an dem Tag an dem ich total fertig und zerzaust aussehe. Aber es hilft nichts. Ich musste mir ja die Nacht mit meiner Pressesprecherin um die Ohren schlagen. Ich versuche mich auf die pochenden Fragen, der anwesenden Journalisten zu konzentrieren, doch der Fakt dass Yve genau in meinem Blickfeld steht macht die Sache nicht gerade einfacher. Ihr weiche Stimme ertönt und sagt: „Frau Siemens;  ihre Frage bitte."
Die Journalistin aus der zweiten Reihe lässt sich das nicht zweimal sagen und stellt ihre Frage an mich: „Frau Baerbock, was sagen sie dazu, dass schon an Nikolaus ein neuer Kanzler gewählt werden soll? Sind sie sich sicher, dass die Koalitionsverhandlungen bis dahin durch sind?"
Ich räuspere meine Stimme noch einmal leise neben dem Mikrofon und beginne mit meiner Antwort: „Wir geben natürlich Alle unser Bestes, dass diese Verhandlungen so schnell wie möglich durch sind. Es bleibt nämlich keine Zeit mehr. Wir müssen jetzt gemeinsam handeln und versuchen all unsere Interessen bestmöglich unter einen Hut zu bekommen. Natürlich können wir nicht versprechen, dass das bis Anfang Dezember klappt, aber die Weichen dafür sind gestellt und wir konzentrieren uns voll auf die Sache, damit wir unseren Aufbruch endlich gemeinsam starten können."

Mit einem schallenden Lachen in meinem Kopf, trete ich vom Mikrofon zurück. Habe ich gerade wirklich gesagt, dass wir voll und ganz auf diese Sache konzentriert sind? Leider schweben mir zur Zeit sehr viele andere Dinge in meinem Kopf rum und die haben rein gar nichts mit der neuen Regierung zu tun. Es ist wirklich lange her, seitdem ich Mal an was anderes als an meine Arbeit gedacht habe, doch in letzter Zeit ist da einfach noch so viel mehr. Aber ich darf mich nicht weiter davon ablenken lassen. Nicht jetzt wo ich wirklich was verändern kann.
Warum ist es denn so schwer das Ganze einfach wieder zu beenden? Warum kann ich denn nicht einmal vernünftig sein und normal mit Yve reden, ohne sie erneut in leidenschaftliche Küsse zu verwickeln?

So fokussiert wie möglich bringe ich die Pressekonferenz hinter mich und mache mich anschließend mit den Kolleg*innen zurück ins Büro.
Im Bus beginnt mein Handy wild zu vibrieren. Mein Mann ruft an. Das ist auch kein Wunder, denn ich habe mich seit gestern Mittag nicht bei ihm gemeldet. Er weiß, dass ich manchmal über Nacht in Berlin bleibe, aber dann melde ich mich wenigstens bei ihm.
Mit schlechtem Gewissen gehe ich ran und versuche so leise wie möglich zu reden, damit keiner im Auto, vor allem Yve, allzu viel von dem Gespräch mitbekommt.

A: „Hallo Dan.... Ehm Schatz."
Ich war kurz davor ihn beim Vornamen zu nennen und das tat ich eigentlich nur wenn ich sauer mit ihm bin. Doch der Einzige der hier sauer sein darf ist er!
D: „Hey Engel, du hast dich gar nicht mehr gemeldet. Geht es dir gut?"
A: „Ja es tut mir Leid. Ich hatte einfach so viel zu tun. Lass uns reden wenn ich heute Abend zu Hause bin."
D: „Okay. Ich freue mich auf dich."
A: „Ja, bis später."
Rasch lege ich wieder auf und stelle mir die Frage, ob das mein Ernst war. Er freut sich auf mich und ich sage nur „Ja, bis später" ?! Plötzlich erkenne ich mich selbst nicht mehr. Aber ich kann ihn doch auch nicht anlügen und sagen, dass ich mich auch freue. Aber ich kann ihn anlügen und mit Yve schlafen?

Überfordert, von den ganzen Gedanken in meinem Kopf, schaue ich hilfesuchend in Yves Richtung, die mich verständnisvoll anlächelt. In meinem Bauch kribbelt es sofort, als sich unsere Blicke treffen und das erste Mal seit einigen Stunden forme ich ein ehrliches, kleines Lächeln mit meinen Mundwinkeln. Ich weiß ganz genau, dass diese Frau einerseits das Schönste, aber gleichzeitig auch das Komplizierteste ist, was mir seit langem passiert ist. Selbst der vergangene Wahlkampf erscheint mir plötzlich wie ein Kinderspiel.

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