Kapitel 22

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Annalena Baerbock:

Langsam schlage ich die nächste Seite des großen Fotoalbums um.
Ich sitze an einem verschneiten Tag in meinem Wohnzimmer und schwelge in Erinnerungen. Mit meinen Fingerspitzen streiche ich über ein Familienfoto und versuche mich zu erinnern, wie schön diese Zeit war. Ich versuche mich zu erinnern, wann ich zuletzt so richtig glücklich mit meinem Familienleben war. Doch es fällt mir schwer einen bestimmten Zeitpunkt auszumachen. Und doch kann ich meine Familie nicht einfach so aufgeben. Aber ich bin auch über dem Punkt hinaus, an dem ich Yve einfach gehen lassen konnte.
Dieser Gedanke scheint zwar unvernünftig und auch total unfair zu sein, aber am liebsten will ich das Beides läuft. Ich weiß tief in mir, dass man nicht Alles haben kann, aber ich hab auch nicht die Kraft eines davon im Moment aufzugeben.

Ich blättere eine weitere Seite um und sehe ein Bild von mir an meinem 31sten Geburtstag, auf dem ich ausgelassen lache. Etwas wehmütig erinner ich mich an die Zeit zurück. Morgen ist es wieder soweit; mein Geburtstag steht vor der Tür.
Ein Blick auf meine Uhr reißt mich aus den Gedanken.
A: „Yve! Mist."
Mein Treffen mit Yve ist in weniger als einer Stunde. Ich springe aufgeregt von meinem Sofa und gehe auf direktem Weg ins Bad und überlege wie ich mich schminken soll. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Warum mache ich mir darüber überhaupt Gedanken. Wir sehen uns doch jeden Tag auf der Arbeit; ob ungeschminkt oder geschminkt. Aber heute will ich besonders schön für sie aussehen.

Mit dem dunkelroten Lippenstift fahre ich vorsichtig über meine Lippen und verteile ihn, indem ich meine Lippen aneinander reibe. Nach etwas Puder und Wimperntusche nehme ich meine Bürste und fahre durch meine schulterlangen Haare.
Mit einem letzten Blick in den kleinen Wandspiegel, verlasse ich das Bad und gehe in mein Ankleidezimmer. Meine, nach Farben sortierten, Outfits hängen ordentlich an Holzbügeln an meinen großen Kleiderstangen. Unter den jeweiligen Kleidern sind farblich passende Schuhe aufgestellt. Mein Blick wandert durch den vielen Stoff und ich überlege was ich heute anziehen soll.
Lieber was schlichtes schwarzes oder doch ein bisschen mehr Farbe? Für den Spaziergang muss es auf jeden Fall was warmes sein. Ich schnappe mir rasch eine dunkle Jeans und einen hellbraunen Pullover und aus meiner Kommode hole ich ein passendes Schal- und Mützenset. Ich hab keine Ahnung was Yve nach dem Spaziergang machen will. Ich soll mich überraschen lassen, sagte sie zu mir.

Aufgeregt wechsle ich meine Kleidung und packe mich warm ein. So war zumindest Ansage von Yve. Auf dem Weg zur Eingangstür werfe ich noch einen letzten Blick auf das Fotoalbum, welches noch immer auf dem Sofa liegt. Meine Augen schließen sich und als ich die Tür öffne, atme ich ich direkt tief ein, um einen großen Schwall kalter Luft in mir aufzunehmen.

****

Ein alter blauer VW Bus fährt vor mein Mehrfamilienhaus und die langhaarige Schönheit kurbelt ihr Fenster runter.
Y: „Darf ich dich mitnehmen?"
Ihre sanfte Stimme ertönt aus dem Bus und sie winkt mich zu ihr rüber. Bevor ich mich in Bewegung setze schaue ich mich um, ob irgendwelche meiner Nachbarn auf der Straße sind. Doch die Luft ist rein und ich begebe mich zur Beifahrerseite. Mit Schwung öffne ich die quietschende Tür und steige in den charmanten Bus.
Zur Begrüßung grinsen wir uns nur verlegen an und sie greift nach meiner linken Hand. Sie zieht sie etwas zu sich und gibt mir einen Kuss auf den Handrücken und legt meine Hand anschließend auf den Schaltknüppel. Vorsichtig legt sie ihre Hand darüber und beginnt zu schalten und das Auto anzufahren.

Eine Zeit lang genießen wir einfach nur die Stille und die Wärme die durch unsere Hände strömt. Doch schließlich wurde meine Neugier zu groß.
A: „Wohin fahren wir denn nun? Und woher hast du den VW Bus?"
Y: „Shh, lass dich einfach überraschen."
Mit ihren Fingern gleitet sie zwischen meine Finger auf dem Schaltknüppel und wir fahren Händchen-haltend weiter.
Ich kann nicht anders als zu ihr rüber zu sehen und sie eine Weile bei der Fahrt zu beobachten. Draußen wird es schon langsam dunkel, aber ein paar Sonnenstrahlen umrahmen noch ihr schönes Gesicht.

Falling slowly Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt