Kapitel 8

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Yve Winter:

Es ist bereits die nächste Woche Montag. Mein erster richtiger Arbeitstag bei Annalena beginnt heute. Ich kann es auch nach den paar freien Tagen immer noch nicht glauben. Zum einen, dass ich den Job wirklich bekommen habe und zum anderen diese Umarmung. Sie geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Der Duft, die Wärme, dieses Gefühl währenddessen, kann ich seitdem nicht mehr vergessen.

Ich sitze bereits im Nebenbüro von Annalena und warte bis die Teamsitzung beginnt. Ich blicke auf die Wahlplakate an der Wand und erinnere mich an mein Vorstellungsgespräch und den ersten Moment in dem ich in diese tiefblauen Augen geschaut habe.
Die Morgensonne strahlt schon so stark, dass das Zimmer hellrötlich beleuchtet ist. Die Pflanzen werfen verspielte Schatten an die Wände und durch das gekippte Fenster strömt frische Luft in den hellen Raum. Ich stelle mich dicht an das Fenster und atme tief ein und aus. Mit geschlossenen Augen genieße ich die Sonne in meinem Gesicht. Da höre ich wie im Nebenraum jemand aufsteht und zu meiner Tür gelaufen kommt. Robert Habeck betritt den Raum, lächelt mich an und beglückwünscht mich mit einem Händedruck zu meinem neuen Job.
Gemeinsam gehen wir in den großen Konferenzraum, in dem Annalena bereits am Kopfende des Tisches sitzt. Sie blickt von ihrem kleinen Lederbuch nach oben und grinst mich freundlich an. Auch der Rest des Tisches ist schon voll besetzt mit allerlei Mitarbeitern und Mitgliedern der Grünen Partei.

Ehe ich mir Alle genau angucken kann, tauscht Annalena mit Robert den Platz. Keine Sekunde später spüre ich ihre warme Hand auf meinem Rücken. „So liebe Freundinnen und Freunde, ich darf ihnen Yve Winter vorstellen. Einige von euch haben sie ja schon bei Ihrem erfolgreichen Probetag letzte Woche kennenlernen dürfen." sagt die Parteichefin zu ihren Kolleg*innen.
Ich kann nicht anders als mich voll und ganz auf ihre Hand zu konzentrieren und spüre wie ich allein durch diese kleine Berührung Gänsehaut am ganzen Körper bekomme.
Kurz verliere ich mich in dem Gefühl, bis eine Stimme in meinen Kopf zu mir sagt: „Nicht schon wieder Yve und erst recht nicht hier und nicht jetzt! Konzentriere dich auf deine Arbeit!"

Schnell komme ich auf den Boden der Tatsachen zurück und stelle mich rasch bei Allen vor. Ich folge Annalena auf den einzigen freien Platz, direkt neben ihr. „Wie soll ich mich da nur konzentrieren? Es hilft ja nichts, ich muss!" flüstere ich leise vor mir hin.
Etwas nervös spiele ich am Deckel meines Stiftes rum und lausche interessiert den Besprechungen und Gesprächen. Vor mir steht eine Tasse mit heißem Kaffee. Der warme Dampf steigt langsam aus der grünen Tasse empor und tanzt sanft darüber, bis er sich schließlich in Nichts auflöst. Ich greife nach der warmen Tasse und umschließe sie mit beiden Händen. Ich schaue in die schwarze, wohlduftende Flüssigkeit um mich vom Gedanken an die Frau neben mir abzulenken. Aber selbst bei Kaffee muss ich an sie denken. An den Morgen, an dem wir kurzzeitig alleine im Büro waren und sie mir Kaffee gemacht hat.
Der erste Tag beginnt schon wunderbar. Ich muss mich regelrecht dazu zwingen auch Mal an die Arbeit zu denken und nicht nur an sie. „Naja vielleicht muss ich auch erstmal richtig reinkommen und wenn ich dann mehr Arbeit habe, habe ich auch keine Zeit mehr für solche Gedanken." rede ich mir ein und versuche anschließend weiter den Besprechungen zu folgen.

Und Genau das ist in den nächsten Wochen eingetreten. Vor lauter Terminen, Verhandlungen und Pressekonferenzen komme ich gar nicht dazu weiter darüber nachzudenken. Und das ist auch gut so. Die Arbeit und die Bildung der neuen Regierung hat die Aufmerksamkeit der ganzen Partei auf sich gezogen. Alle arbeiten wirklich hart für das was im Moment wichtig für Deutschland und ganz Europa ist. Es bleibt kaum Zeit durchzuatmen oder seine Gedanken irgendwie abschweifen zu lassen.
Das geht auch an Annalena nicht spurlos vorbei. Sie ist natürlich stets freundlich zu uns Kollegen, aber man merkt deutlich, dass sie gestresst ist. Manchmal kommt sogar ihre etwas unfreundliche Art aus dem Vorstellungsgespräch wieder zum Vorschein. Sicherlich scheint auch das mittlerweile wieder regnerische Wetter aufs Gemüt zu drücken.
Sie fängt sich aber meistens schnell wieder und lässt ihre Wut und Passion eher in ihren Bundestagsreden raus.

Annalena Baerbock:

Es ist mittlerweile Anfang November. In Berlin ist die Sonne bereits am Horizont verschwunden, doch ich sitze noch im Büro an einigen Reden und Terminplanungen. Nach und nach checken alle Kolleg*innen aus dem Büro aus, da klopft es an meiner Tür. Leicht genervt beantworte ich das Klopfen mit einem „Herein!" Ich mache aber keine Anstalten mich umzudrehen, um zu sehen wer da ist.

Meine Hand schreibt wie ferngesteuert auf dem schon viel zu vollen Zettel rum und ich versuche einen vernünftigen Satz zu formulieren. „Wenn hier ständig jemand rein und rausgeht komme ich nie dazu diese Rede fertig zu stellen!" raune ich unfreundlich vor mir hin.
Da höre ich Schritte auf mich zukommen und eine sanfte Stimme sagt: „Frau Baerbock, diese Rede war vorhin schon perfekt, als sie sie im Konferenzraum vorgetragen haben. Machen sie Mal eine Pause."
„Mit ständigen Pausen kommen wir hier auch nicht weiter, Frau Winter!" entgegne ich. Da spüre ich, dass die junge Frau schon dicht hinter mir steht und mir über die Schulter schaut.
Immer noch mit ruhiger Stimme sagt sie: „Es bringt auch nichts, wenn sie vor ihrer Rede vor lauter Erschöpfung zusammenbrechen! Deutschland... wir... ich brauchen Sie! Für wen soll ich denn sonst Pressesprecherin werden?"

Ich spüre wie meine Mundwinkel nach oben gehen und ich nicht anders kann als wieder etwas zu lächeln. Mein Blick ist jedoch immer noch auf meine Rede gerichtet. „Sie haben ja recht", gestehe ich ein „Dieser Wahlkampf und die ganzen Termine haben mir in den letzten Tagen einfach den Rest gegeben. Ich muss echt Mal wieder was anderes sehen!"
„Nun ich weiß ja nicht ob das so üblich bei Ihnen in der Partei ist. Aber in der Firma in der ich davor gearbeitet habe, habe wir manchmal Ausflüge auf den Rummel oder den Weihnachtsmarkt gemacht. Einfach Mal um was anderes sehen und rauszukommen. Danach kann man meistens wieder viel besser arbeiten." erzählt sie mir.

In meinem Kopf formen sich Bilder aus bunten Lichtern, Glühwein und ausgelassenen Gesprächen. Mit einem großen Schwung bringe ich meinen Bürostuhl zum drehen, damit ich die 27-Jährige ansehen kann. „Das ist eine wunderbare Idee!" sage ich mit leuchtenden Augen. Bei der Vorstellung kommt regelrecht das Kind in mir hervor.
„Es freut mich sie wieder so strahlen zu sehen Frau Baerbock!"
„Annalena, bitte nenn mich Annalena." sage ich während ich mit einem Satz aufstehe und sie umarme. Ich drücke die junge Frau fest an meinen kleinen Körper. Mein Kopf auf ihrer Schulter und ein Strahlen quer durch mein Gesicht.
Währen der Umarmung rede ich weiter: „In den letzten Tagen hieß es immer nur: Annalena mach Mal dies, Annalena mach Mal das, Annalena wir müssen noch das machen. Ich brauch echt eine Pause."
Langsam löse ich meinen festen Griff und als ich meinen Kopf von ihrer Schulter nehme, kann ich nicht anders als einen kleinen Kuss in ihre Frisur zu hauchen. Wie man das halt unter Freunden und Kollegen macht, rede ich mir ein.

Ich merke, dass meine Kollegin plötzlich wie angewurzelt da steht. In ihrer linken Hand hält sie eine Weinflasche fest. Nachdem sie sich wieder gefangen hat streckt sie genau diese nach oben und sagt: „Eigentlich bin ich herkommen um zu fragen ob sie noch ein Glas Wein trinken wollen nach dem stressigen Tag?"
„Oh ja! Nichts lieber als das!" antworte ich direkt ohne drüber nachzudenken, verpacke die Zettel meiner Rede in meine dunkelgrüne Tasche, hole aus dem Schrank zwei Weingläser und gehe mit meiner neuen Kollegin rüber aufs Sofa. Ich nehme mir das Taschenmesser, welches in der Schublade des Tisches liegt und öffne mit dem Korkenzieher die Weinflasche. Ich fülle das wohlduftende Getränk in unsere Gläser und gebe Yve eines davon in die Hand.
„Auf dich und diese brilliante Idee mit dem Weihnachtsmarkt!" Ich hebe mein Glas und stoße es an das von Yve.
„Auf sie, ehm dich! Du bist echt eine Powerfrau und du hast auch Mal wieder ein bisschen Zeit für was Anderes und vor allem für dich verdient!"

Meine Gedanken kreisen in meinem Kopf: „Zeit für mich, wann hatte ich das letzte Mal Zeit für....." mitten in diesem Gedanken fällt es mir wieder ganz genau ein, wann ich das letzte Mal Zeit für mich hatte. Ich kann nicht anders als auf Yves Hände zu starren und an diese Nacht und den Traum zu denken. Meine Hand führt das Glas schnell zu meinem Mund und ich nehme einen großen Schluck, sodass ich ihr nicht mehr auf die langen Finger starren kann.
„So, es ist wirklich schon spät. Ich werde mir jetzt Mal ein Taxi rufen, denn die Bahn fährt nur noch unregelmäßig.", im gleichen Moment in dem ich das ausspreche fällt mir ein, dass Yve auch in Potsdam wohnt. Eigentlich wollte ich das nicht sagen, aber es kommt einfach unaufhaltsam aus mir raus: „Wollen wir uns das Taxi teilen?"
„Wenn es keine Umstände macht, wäre das natürlich super. Und auch viel besser für die Umwelt, wenn ich nicht mit meinem eigenen Taxi fahre." antwortet Yve.
Genau. Wir tun das nur, um was für die Umwelt zu tun. Wo sie recht hat, hat sie recht. Ich greife nach dem Hörer auf dem Tisch und bestelle uns ein Taxi.

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