Müde schloss ich meine Wohnungstür auf und ließ meine Tasche sofort auf den Boden sinken. Ich wollte nur noch in mein Bett. Heute war einer der Tage, wo ich Zähne putzen als überflüssig im Angesicht meiner Müdigkeit empfand und legte mich direkt in mein Bett und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen fiel mein Blick auf meine Handtasche, die noch immer auf dem Boden lag. Aus ihr ragte eine weiße Ecke eines Papiers heraus. Stirnrunzelns hob ich meine Tasche auf. Hatte ich irgendwelche Papiere in meiner Tasche mitgehabt? Nicht das ich wüsste.
Neugierig zog ich an der Ecke und zum Vorschein kam ein weißer Briefumschlag. Es war keine Anschrift oder Briefmarke geschweige denn Poststempel drauf. Dort waren nur drei handschriftlich geschriebene Wörter: „An die Geheimnisvolle". Was sollte das denn heißen?Nachdenklich nahm ich den Brief und ließ mich in meinen Ohrensessel fallen. Ich drehte und wendete ihn und überlegte, was ich machen sollte. Der Brief war ganz sicher nicht an mich gerichtet. Aber es war auch kein Absender von außen ersichtlich, sodass ich ihn zurück geben könnte. Nach einigem Hin und Her, entschloss ich mich ihn zu öffnen. Vielleicht hätte ich dann mehr Informationen und könnte den Brief seinem Besitzer oder der eigentlichen Empfängerin geben. Vorsichtig öffnete ich den Umschlag und zog das Papier heraus. Mein Gewissen meldete sich mit der Info, dass ich soeben das Briefgeheimnis verletzt hatte. Aber dann erinnerte ich mich daran, dass ich das alles aus einem guten Grund tat, während meine Augen über die geschriebenen Zeilen flogen:
Liebe Geheimnisvolle,
Ich kann es noch nicht so recht glauben, dass ich tatsächlich diesen Brief schreibe. Eigentlich bin ich eher der direkte Typ, aber bei dir werde ich unsicher. Immer wieder nehme ich mir vor dich morgens in der Bahn anzusprechen, aber sobald ich dich sehe ist mein Mut nicht mehr da. Bei diesem Brief kann ich mir vorher genau die Worte überlegen, ehe ich sie aufschreibe.
Ich möchte dich gerne näher kennenlernen. Deswegen würde ich dich gerne auf einen Kaffee einladen. Am Mittwoch, den 8. Dezember um 15 Uhr im Café Schneeperle. Damit ich weiß, ob du kommst, kannst du deine Antwort in einen Brief an mich schreiben und ihn auf dem Weihnachtsmarkt unter die Bank direkt neben dem Schmalzgebäckstand am östlichen Eingang kleben. Ich hoffe, dass du kommst.
Da Weihnachten ist und ich meinen richtigen Namen dir noch nicht verraten möchte, bin ich einfach dein Weihnachtself. Die Rolle von Santa Claus möchte ich mir nicht anmaßen.Bis hoffentlich bald,
Dein Weihnachtself
Ich las den Brief noch zwei weitere Male durch. Es ließ sich kein Hinweis auf den Absender finden. Ein Weihnachtself? Ernsthaft? Noch kitschiger ging es wohl nicht. Aber er hatte den Weihnachtsmarkt als Übergabeort gewählt. Allerdings hatte er nicht erwähnt welchen genau. Dann fiel es mir wieder ein. Als Ally und ich uns gestern umarmt hatte, wurden wir von einem Jungen anrempelt. War das wirklich unbeabsichtigt gewesen? Ally fuhr jeden Morgen mit der Bahn und kann auf einige Menschen ziemlich unnahbar wirken. Der Brief war für sie bestimmt! Der Überbringer musste aus Versehen meine Tasche erwischt haben. Fieberhaft versuchte ich mich an das Aussehen des Jungen zu erinnern. Aber keine Chance. Gesichter konnte ich mir einfach nicht gut merken, Namen dafür umso besser. Hinzu kam, dass ich gestern auch viel zu sehr mit meinen Gedanken bei Joshua und dem idiotischen Verhalten der männlichen Art gewesen bin.
Ich schnappte mir mein Handy und wählte Allys Nummer.
„Jetzt sag nicht, dass ich schon wieder ein Treffen verpasst habe?", meldete sie sich. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
„Das nicht. Magst du trotzdem zu mir kommen? Ich habe etwas für dich", erwiderte ich.
„Jetzt schon? Nikolaus ist doch erst morgen. Außerdem... hatten wir nicht gesagt, dass wir uns nichts schenken?", fragte sie.
„Ally, stell nicht so viele Fragen. Hast du Zeit?", sagte ich lächelnd.
„Bin schon unterwegs." Mit den Worten legte Ally auf.
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A Letter for Christmas
Short StoryWeihnachten - die Zeit der Liebe, Freude und Magie. Nicht für Lizzy. Seit einem Vorfall letztes Jahr hasst sie diese Zeit. Für sie ist es die reinste Heuchelei und nichts weiter als Kommerz. Nach einem Besuch mit ihrer besten Freundin auf dem Weihna...