Türchen Nummer 11: Ruhe

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Cullingfield war wunderschön. Dieser Ort strahlte so viel Geborgenheit, Wärme und Ruhe aus. Das alles brauchte ich jetzt. Die Leute hier waren offenherzig und lieb, wie ich es aus Städten nur selten kannte.

Ich setzte mich in eines der kleinen Cafés, bestellte mir einen Karamell Latte Macchiato und genoss die Atmosphäre dieses Ortes. Ich beobachtete das Treiben auf der Straße und hing einfach meinen Gedanken und Erinnerungen an früher nach. Es tat gut hier zu sein und keine Angst haben zu müssen einer gewissen Person über den Weg laufen zu müssen.

Nach einer Weile schlenderte ich weiter und kam an einer kleinen Buchhandlung vorbei. Die hatte ich gar nicht in Erinnerung. Sie musste eröffnet haben, nachdem ich hier gewesen war. Neugierig kam ich näher und betrat schließlich das Geschäft.
„Guten Tag. Kann ich Ihnen behilflich sein?", begrüßte mich ein Mann Ende Dreizig.
„Nein, danke. Ich schaue mich nur etwas um", erwiderte ich.
Ich stöberte durch die vielen Bücher und fand sofort mehrere Geschichten, die ich lesen wollte. Die Auswahl hier war wie für mich gemacht. Nach einiger Zeit grenzte ich mich meine Wahl auf drei Bücher ein und ging zur Kasse.
„Diese drei bitte", sagte ich.
„Gerne."
Da es schon dunkel wurde, machte ich mich mit meinen neuen Errungenschaften auf den Rückweg. Heute Abend würde ich mir einen gemütlichen Leseabend im Bett mit einer Tasse Tee machen.

„Und, ist Cullingfield noch genauso, wie du es in Erinnerung hattest?", sagte Irma, als ich die Pension betrat.
„Ja, es ist noch immer wunderschön hier. Der Ort strahlt so viel Ruhe aus", erwiderte ich und kam zu ihr an die Rezeption.
„Stimmt. Das ist eine Besonderheit von Cullingfield und auch der Grund, warum ich hierher gezogen bin", sagte sie.
„Wie meinst du das?", fragte ich sie.
„Ich wohne noch gar nicht so lange hier. Vor fünf Jahren bin ich hierher gezogen, weil das Großstadtleben mich krank gemacht hat. Mein ganzes Leben lang habe ich gearbeitet, um mir die Miete, Urlaub und das Leben dort leisten zu können, nur, um dann festzustellen, dass nichts davon mir gut tut. Nach meinem Burnout wusste ich, dass sich etwas ändern musste. Deswegen habe ich mein Leben in der Stadt aufgegeben und bin nach Cullingfield gezogen. Hier bin ich endlich zur Ruhe gekommen", erzählte sie.

Aufmerksam hörte ich ihr zu.
„Das kann ich gut verstehen", stimmte ich ihr zu.
„Du siehst mir auch danach aus, als wenn du etwas Ruhe vertragen könntest", meinte Irma.
„Ja...", murmelte ich.
„Möchtest du mir erzählen, was los ist? Manchmal hilft es darüber zu reden", schlug die ältere Dame vor.
„Das ist kompliziert", fing ich an. Ich redete nicht gerne über den Verrat von Joshua und wie schwer es mir seitdem fiel eine ernsthafte und tiefe Beziehung zu jemandem aufzubauen. Aber Irma strahlte etwas Vertrautes aus und lächelte mich so warmherzig an, dass ich anfing ihr die ganze Geschichte zu erzählen.

„Seitdem habe ich kein Wort mehr geschrieben und leide an einer Schreibblockade. Deswegen hatte meine beste Freundin Ally vorgeschlagen diesem Briefeschreiber zu antworten", erzählte ich.
„Briefeschreiber?" Verwundert sah Irma mich an.
„Ja. Ally und ich waren auf dem Weihnachtsmarkt. Nach unserem Besuch dort, habe ich einen Brief in meiner Tasche gefunden, der an „Die Geheimnisvolle" adressiert war. Ich bin mir sicher, dass der Brief nicht für mich bestimmt war, aber Ally hatte mich schließlich dazu überredet ihm zu antworten. Er wollte die Geheimnisvolle näher kennenlernen und hatte sie auf ein Treffen eingeladen. Aber ich habe in meinem Antwortbrief abgesagt. Trotzdem hat er mir geantwortet. Als ich dann jedoch Joshua wieder über den Weg gelaufen bin, musste ich dort weg und bin nach Cullingfield geflüchtet", fuhr ich fort.
„Ganz schön viel für ein Jahr. Ich denke, es war die richtige Entscheidung für ein paar Tage wegzufahren, um hier zur Ruhe zu kommen. Du musst erstmal mit dir selbst ins Reine kommen und neue Kräfte sammeln. Und falls du etwas brauchst, bin ich da", meinte sie.
„Danke, Irma. Es tat wirklich gut, das mal loszuwerden", bedankte ich mich.
„Immer wieder gerne, Kindchen."

A Letter for ChristmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt