Türchen Nummer 8: Schock

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Am nächsten Morgen wachte ich mit dem Gedanken an den Brief auf. Stöhnend vergrub ich mein Gesicht in den Kissen. Warum machte ich mir darum einen Kopf? Wahrscheinlich würde er so enttäuscht sein, dass nicht mal eine Antwort kommen würde. Der Brief war doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mal für mich bestimmt gewesen. Gewissermaßen ersparte ich ihm also eine noch größere Enttäuschung und mir einen peinlichen Auftritt im Café.

Obwohl ich die Gedanken an die ganze Sache aus meinem Kopf vertreiben wollte, ließen sie mich einfach nicht in Ruhe. Meine Schreibblockade war ebenfalls noch da. Aber was hatte ich erwartet? Dass sie sich nach diesem einen Brief in Luft auflösen würde? So einfach war das nicht. Nachdem ich nicht wirklich zur Ruhe kam, beschloss ich mir einen Film anzuschauen. Netflix schlug mir lauter Weihnachtsfilme- und -serien vor, auf die ich alles andere als Lust hatte. Doch dann stieß ich auf „Kevin allein Zuhause" und konnte nicht widerstehen. Den Film hatte ich als Kind so häufig geschaut und tatsächlich schaffte er es mich daran zu erinnern, warum ich Weihnachten früher so toll fand. Aber sobald der Film endete, wurde ich in die bittere Realität zurück geholt. Wenn ich es Joshua nur so hätte heimzahlen können, wie Kevin es mit dem Verbrechern getan hatte...

Wieder schweiften meine Gedanken zu dem Briefeschreiber. Ich schaute auf die Uhr. Mittlerweile war es schon 15 Uhr. Jetzt hätte eigentlich das Treffen stattfinden sollen. Ein leichtes, schlechtes Gewissen meldete sich zu Wort, doch ich versuchte es zu ignorieren. Mich traf keine Schuld. Außerdem hatte ich ihm rechtzeitig gesagt, dass ich nicht kommen würde. Er würde also nicht vergebens warten. Dennoch fragte ich mich, ob er eine Antwort verfasst hatte. Ob ich vielleicht mal bei der Bank nachschauen sollte? Nach einer Weile des Auf- und Ablaufens in meiner Wohnung, beschloss ich wieder zum Weihnachtsmarkt zu gehen. Bestimmt würde ich keine Antwort finden, aber dann wüsste ich das wenigstens und meine Gedanken würden nicht die ganze Zeit darum kreisen.

Ich zog mir meine Wintersachen an, schnappte mir meine Handtasche und war schon auf dem Weg. Es war schon komisch, dass mich diese ganze Sache so sehr interessierte. Eigentlich hatte ich erwartet, dass ich diesen einen Brief Ally zuliebe schreibe und das Thema damit durch wäre. Aber meine Neugierde hatte einen anderen Plan. Vielleicht war das sogar ganz gut. So verließ ich öfter wieder meine Wohnung und es gab wieder etwas, dass mich interessierte - auch, oder gerade weil, ich damit nicht gerechnet hatte.

Nahe des Weihnachtsmarktes, schlug ich direkt den Weg zur Bank am östlichen Eingang ein. Dort angekommen, setzte ich mich und tastete unauffällig unter die Sitzfläche, ob dort etwas klebte -doch vergebens. Ich seufzte. Es war keine Antwort da. Meine pessimistische Seite hatte also doch recht behalten... Enttäuscht stand ich von der Bank auf und schlenderte gedankenverloren über den Weihnachtsmarkt. Eigentlich hatte ich vor gehabt direkt zurück zu meiner Wohnung zu gehen, aber die Enttäuschung und Gedanken an einen möglichen Antwortbrief hatten mich so fest im Griff, dass ich einfach drauf los ging ohne zu überlegen, wohin ich wollte. Ich versuchte mir klar zu machen, dass die Reaktion des Weihnachtselfs normal war, weil ich das Treffen abgesagt hatte. Obwohl ich immer noch der Meinung war, dass der Brief nicht für mich gedacht war, war es schön gewesen wenigstens die Illusion zu machen, dass es da jemanden gab, der einen mochte und näher kennenlernen wollte. Ich sollte mir nicht zu viele Gedanken darum machen und die Angelegenheit einfach vergessen. Doch aus irgendeinem Grund, war das leichter gesagt, als getan.

Plötzlich hörte ich ein Gekicher, dass mich aus meinen Gedanken riss. Ich blickte auf und erstarrte. Nur wenige Meter weiter stand eine mir bekannte Blondine, die von meinem Exfreund an gewissen Stellen angefasst und immer wieder geküsst wurde. Ihr schien das auch noch zu gefallen. Wie konnte man so in der Öffentlichkeit rum machen? Alle alten Gefühle, die immer in mir hoch kamen, wenn ich Joshua sah, kamen hoch und brachten mich dazu in eine Schockstarre zu verfallen. Mit einem Mal blickte er auf und sah mir direkt in die Augen. Er grinste einmal und widmete sich dann wieder seinem Blondchen. Sein Grinsen ließ mich erwachen. Ich machte auf dem Absatz kehrt, den Tränen nahe und lief los. Egal wohin, Hauptsache weg hier. Kurz vor dem östlichen Eingang, geriet ich plötzlich ins Straucheln, stolperte und packte mich direkt vor der Bank ab.

Ich brauchte einige Sekunden, bis ich es schaffte mich aufzusetzen. Die Tränen rannten mir übers Gesicht. Während ich vorsichtig aufstand, erblickte ich aus dem Augenwinkel etwas Weißes. Ich zog mich an der Bank hoch und setzte mich. Dann tastete ich unter die Sitzfläche. Und tatsächlich ertasteten meine Finger diesmal einen Umschlag. Er hatte mir doch geantwortet!

A Letter for ChristmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt