Türchen Nummer 15: Frühstück

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„Ähm, ich wollte gerade frühstücken gehen", unterbrach ich das Schweigen.
„Da komme ich gerade her", lachte er.
„Ach so. Ja...", stammelte ich. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Gestern auf dem Weihnachtsmarkt war das irgendwie ein bisschen leichter gewesen. Dabei hatte er mich da doch auch überrumpelt.
„Wenn du jetzt schon zum See möchtest... also ich kann auch das Frühstück ausfallen lassen", meinte ich schließlich und hätte mich am liebsten sofort selbst geohrfeigt. Wie konnte ich so etwas nur sagen? Das wirkte doch total verzweifelt. Warum hatte ich das Treffen nur angesprochen?
„Nein, alles gut. Frühstück ist wichtig. Iss in Ruhe und wir treffen uns dann am See. Ich muss sowieso noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen", meinte er.
„Ähm, okay, klar. Dann will ich dich auch gar nicht aufhalten. Wir sehen uns später", sagte ich und versuchte mir meine Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Einerseits war ich zwar froh aus dieser peinlichen Situation rauszukommen, andererseits hätte ich gerne jetzt schon Zeit mit ihm verbracht. Was war bloß los mit mir? Ich wollte mich um keinen Preis in Liam verlieben. Und das war ich auch nicht... oder? Das durfte nicht sein. Er würde mich bestimmt auch nur wieder enttäuschen und hintergehen. Noch einmal würde ich das nicht durchstehen.

Nachdem ich mich am Buffet bedient hatte, suchte ich mir einen Tisch. Ich fand einen, der etwas abseits stand und ließ mich auf den Stuhl fallen. In meinem Kopf kreisten so viele Gedanken. Noch immer kam ich nicht ganz klar darauf, dass Liam in der selben Pension wie ich wohnte, wobei das in Cullingfield eigentlich nicht verwunderlich war. Der Ort war nicht besonders groß und es gab nur zwei Pensionen hier.
Das Vibrieren meines Handys holte mich zurück in die Realität. Ich schaute auf das Display. Ally hatte mir eine Nachricht geschrieben:
Hey Süße. Es tut mir leid, dass ich mich in den letzten Tagen gar nicht gemeldet hatte. Ich wollte mal hören, ob bei dir alles in Ordnung ist, weil ich von dir auch gar nichts mehr gehört habe. Hast du dem Briefeschreiber geantwortet? Fühl dich umarmt, Ally.
Mit einem Mal fühlte ich mich schlecht. Ich war einfach nach Cullingfield gefahren ohne Ally Bescheid zu geben. Heute Abend musste ich sie unbedingt anrufen. Außerdem wollte ich ihr auch von Liam erzählen, auch, wenn ich noch nicht wusste, was das überhaupt war.
Alles gut, Ally. Ich bin ohnehin für ein paar Tage nach Cullingfield gefahren. Ich musste unbedingt mal weg. Lass uns heute Abend telefonieren. Ich ruf dich an, Lizzy.
Heute Abend würde ich ihr alles genau erklären. Aber der Briefeschreiber... mein Weihnachtself. Irmas Worte fielen mir wieder ein: Du musst etwas erleben und aus deiner Komfortzone heraus gehen. Wie möchtest du sonst über etwas authentisch schreiben?
Sie hatte schon recht. Ich hatte nichts zu verlieren. Mit meiner Schreibblockade konnte es nicht schlimmer werden. Schnell aß ich mein Brötchen und Rührei auf. Dann ging ich nach oben in mein Zimmer und kramte einen Zettel und Stift hervor. Ich setzte mich und fing an zu schreiben:

Lieber Weihnachtself,

es tut mir leid, dass ich in meinen letzten Briefen immer so schlecht drauf war. Du kannst nichts dafür, dass Weihnachten nicht mehr das für mich ist, was es einmal war. Und du hast recht. Es gibt etwas, dass diese ganze Zeit für mich erträglicher macht: Schmalzgebäck. Es geht mir genau wie dir. Wenn ich eine Tüte gekauft habe, kann ich nicht anders, als sie zu verputzen. Süßem Gebäck kann ich gerade in der Weihnachtszeit nicht widerstehen.

Du wolltest mich besser kennenlernen und dass ich etwas wage, daher hier noch etwas: Ich schreibe sehr gerne meine eigenen Geschichten. Ich liebe es, etwas zu erschaffen und andere damit bestenfalls noch zu inspirieren. Gerade Weihnachtsgeschichten mochte ich früher sehr gerne. Viele sind zwar sehr kitschig, aber genau das mochte ich. Leider habe ich seit einem Vorfall kein einziges Wort mehr geschrieben und komme über diese Schreibblockade nicht hinweg.

Wie sieht es bei dir aus? Hast du eine Leidenschaft, in der du total aufgehst?
Ich warte auf deinen Antwortbrief.

Deine Geheimnisvolle

Ohne lange zu Zögern packte ich einige Sachen fürs Schlittschuhlaufen zusammen und machte mich dann wieder auf den Weg nach unten.
„Irma, hast du vielleicht einen Briefumschlag?", fragte ich die ältere Dame, als ich an der Rezeption stand.
Ein wissendes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus.
„Für dich doch immer, Kindchen. Warte kurz. Hier ist einer." Sie reichte mir den Umschlag und einen Stift.
„Danke." Ich erwiderte ihr Lächeln.
Dann schrieb ich „Für den Weihnachtself" auf den Briefumschlag, steckte meinen beschriebenen Zettel herein und klebte ihn zu.
„Magst du den nehmen? Ich soll ihn an der Rezeption hinterlegen", richtete ich mich wieder an Irma.
„Du sollst ihn hier hinterlegen? Natürlich, Kindchen. Ich bin schon ganz gespannt. Das ist so aufregend", meinte sie und nahm den Brief entgegen.
„Frag mich mal."
Wir unterhielten uns noch eine Weile bis ich mich schließlich auf den Weg zum Schlittschuhlaufen mit Liam machte. Ich bemerkte, wie sich wieder ein gewisses Kribbeln in mir breit machte...

A Letter for ChristmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt