Türchen Nummer 13: An die Geheimnisvolle

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Mit offenem Mund betrachtete ich den Brief. Wie konnte das sein? Woher wusste er, wo ich war? Es gab wohl nur eine Möglichkeit das herauszufinden: Ich musste den Brief lesen. Aber wollte ich das wirklich? Aufgeregt wendete ich ihn in meinen Händen hin und her.
„Möchtest du ihn gar nicht lesen?", fragte Irma verwundert.
„Ich weiß nicht. Eigentlich dachte ich, dass die ganze Sache vorbei ist und ich nie wieder etwas von ihm hören würde", antwortete ich unschlüssig.

„Es scheint ganz so, als würdest du jemandem nicht aus dem Kopf gehen", erwiderte sie augenzwinkernd.
Dann betraten ein paar Gäste die Pension und ich machte mich auf den Weg in mein Zimmer. Den ganzen Abend saß ich auf meinem Bett und überlegte ich, ob ich den Brief lesen sollte. Ich hatte Angst davor, was dort drin stehen würde. Würde er mich dafür verurteilen, dass ich einfach abgehauen war? Vor meinem Exfreund, meinen Problemen, vor einfach allem. Andererseits hatte ich das Gefühl ihm Unrecht getan zu haben. Vielleicht würde mir das die Gelegenheit bieten es wieder gut zu machen. Vorsichtig öffnete ich den Umschlag und zog den gefalteten Brief heraus.

Liebe Geheimnisvolle,

Ich weiß nicht, ob dich dieser Brief überhaupt erreichen wird, aber ich hoffe es. Da Cullingfield nicht so groß ist, habe ich vielleicht Glück.
Du meintest, man kann niemandem etwas zurück geben, ohne zu wissen, warum es verloren gegangen ist. Das mag sein, aber du scheinst gar nicht zu versuchen es zurückzubekommen. Es wirkt eher so, als wenn du davor weg läufst und dich versteckst. So hätte ich dich nicht eingeschätzt. Sei mutig und wage etwas. Nenn mir nur einen Grund, warum diese Zeit vielleicht doch nicht so schrecklich ist, wie du denkst. Ich kann dir nicht versprechen den Zauber zurückzubringen, aber ich werde es versuchen und mein Bestes geben.
Weißt du, warum ich Weihnachten mag? Ich mag die Freundlichkeit, Schnee, die ganzen leckeren Plätzchen und vor allem Schmalzgebäck - egal, ob mit Puderzucker; Nutella oder etwas anderem Süßen. Sobald ich eine Tüte gekauft habe, kann ich mich nicht zurückhalten alles aufzuessen.

Jetzt bist du dran: Was macht diese Zeit für dich nicht ganz so schrecklich?

Falls du diesen Brief tatsächlich lesen solltest und antwortest, kannst du deinen Brief an der Rezeption hinterlegen.

Dein Weihnachtself

Wieder starrte ich mit offenem Mund auf das Papier. Ich versteckte mich vor meinen Problemen und würde davor weg laufen? Was bildete er sich eigentlich ein?! Der Typ kannte mich überhaupt nicht. Ich wusste zwar, dass er Recht hatte, aber das hätte ich niemals offen zugegeben. Warum konnte er nicht einfach aufhören ständig auf dieses Weihnachts-Thema zu kommen? Warum musste er immer wieder damit anfangen?

Trotzdem war ich von seiner Hartnäckigkeit irgendwie beeindruckt. Er ließ nicht so einfach locker. Und er liebt Schmalzgebäck genauso sehr wie ich! Das war definitiv ein Pluspunkt. Das machte meine Entscheidung, ob ich ihm antworten sollte allerdings nicht einfacher, im Gegenteil. Es sprach einiges dafür und genauso viel dagegen.

Ich schob den Brief zurück in den Umschlag. Dabei bemerkte ich, dass keine Briefmarke auf dem Umschlag klebte. Hieß das etwa... ? Ich schüttelte den Kopf. Dafür gab es bestimmt eine andere Erklärung, als die, die mir gerade durch den Kopf geschossen war. Es war unmöglich, dass er hier war. Schnell legte ich den Umschlag samt Brief in die Schublade meines Nachttisches. Ich wollte jetzt nicht mehr daran denken.

Morgen hätte ich noch genug Zeit dafür bis mir plötzlich einfiel, dass das nicht so ganz stimmte. Ich war doch zum Schlittschuhlaufen mit Liam verabredet. Das hatte ich durch die ganze Sache mit dem Brief total vergessen. Aufregung breitete sich in mir aus. Schlittschuhlaufen war wirklich nichts meins. Aber aus irgendeinem Grund wollte ich Liam unbedingt wiedersehen. Es gefiel mir nicht, was er in mir auslöste. Bei Joshua war das ähnlich gewesen. Ich musste vorsichtig sein und aufpassen, was ich von mir preisgebe. Und dennoch konnte ich das freudige Kribbeln, das ich immer deutlicher spürte, nicht unterdrücken.

A Letter for ChristmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt