Kapitel 33

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Der Flughafen war alles andere als groß und doch brauchten wir beträchtlich lange, um den Ausgang zu finden, aus dem Cloé und Sue kommen würden. Aber wir waren sogar noch zu früh und mussten noch einige Minuten warten.

Und dann kamen die ersten Personen. In Jogginghose und Fell an den Jacken, zogen sie ihre großen Koffer hinter sich her. Aber Cloé und Sue ließen auf sich warten. Bis sie, ganz zum Schluss, heraus kamen. Beide müde und frierend. Keine hatte eine richtige Jacke für Minusgrade und Schnee - wozu auch im warmen Süden Englands?

Impulsiv, wie wir nun mal waren, riefen Cloé und ich uns laut bei den Namen, rannten aufeinander zu und fielen uns in die Arme. Dass wir im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit waren störte weder sie noch mich. Ich war einfach nur überglücklich meine Freundin nach so langer Zeit wieder bei mir zu haben.

Dann, als der Moment überschwappender Sentimentalitäten vorüber war und die Passanten sich wieder abgewandt hatten, hielt Cloé mich eine Armlänge von sich weg und musterte mich von oben bis unten, bevor sie, halb scherzend halb ernst, meinte: "Du bist so ... erwachsen geworden. Und deine Haare!" rief sie aus, " sie sind so lang - und so gesund! Wie machst du das?" Mit übertrieben aufgerissenen Augen nahm sie eine Strähne zwischen ihre flinken Finger und suchte die Spitzen nach Spliss ab.

Ich hätte gern etwas darauf erwidert, konnte aber nur lachen. Sie hatte sich kein Stück verändert. Sie war noch immer genauso schön, hatte noch immer diese frechen Züge und in ihren Augen blitzte ab und an der gewohnte Schalk.

Sie war diejenige, die auf die dümmsten, gefährlichsten und lustigsten Ideen kam - und dafür liebte ich sie.

Sue war vom Gemüt her eher wie Ivana; ruhig, lieb und bei allem sehr bedacht.

Im Auto herrschte höfliche Konversation zwischen unseren Freundinnen und Mum, die sich - weniger höflich und mehr interessiert  - nach allem möglichen erkundigte. Wie der Flug war, wie es ihren Familien ginge, was sie jetzt über Weihnachten machten, wie das Wetter in England war, welche neuen Lehrer sie nach dem Sommer bekommen hatten, was aus dem Projekt geworden war, das Sues Mutter als Umweltforscherin hatte in die Wege leiten wollen und so weiter und so fort.

"Schatz," sagte sie irgendwann zu mir, als ich versuchte Cloé in ein Gespräch zu verwickeln, "Du kannst heute Nachmittag noch genug mit ihr reden. Lass mich jetzt meine Fragen stellen und dann störe ich euch beide nicht mehr."

Ich gab also auf und nach einer gefühlten Ewigkeit, und tausend weiterer Fragen meiner Mum, kamen wir an. Bei dem Anblick des tief verschneiten Schloss' wurden Cloés und Sues Augen ganz groß und als wir die Auffahrt hochfuhren starrte Cloé mich fassungslos an.

"Du hast mir nie erzählt, dass du in einem Schloss wohnst!" meinte sie vorwurfsvoll.

"Ich fand nicht, dass es eine große Rolle spiele."

"Keine große Rolle? Verdammt, Avelle. Es ist ein Schloss. Du wohnst in einem Schloss!" meinte Cloé und fuchtelte zu allem Überfluss noch wild mit ihren Arme. Ich wurde rot. Um ehrlich zu sein, spielte es tatsächlich eine große Rolle - aber eher im negativen, als im positiven Sinne. Es war mir peinlich, irgendwo im Schwarzwald in einem Märchenschloss zu wohnen. Es war, als sei ich eine Prinzessin. Und das auszusprechen fühlte sich so wichtigtuerisch, so eingebildet an.


Wir nahmen uns alle etwas vom Gepäck und betraten durch einen der Hintereingänge den schmalen Flur, der von der Küche aus ins Esszimmer führte. Doch wir verließen ihn schon ein paar Türen eher um in unsere Zimmer zu kommen.

"Es ist wunderschön hier." Staunend lief Cloé hinter mir her, den Blick immer auf andere Dinge geheftet. Gestecke aus Tannenzweigen mit kleinen kitschigen Geigen und roten Kugeln hangen in den Fenstern und Kerzen zierten die Tischchen an den Wänden. Der Weihnachtsschmuck gab dem Ganzen eine sehr heimische Atmosphäre. Ungewollt fragte ich mich, ob sie wohl in Ezras Schloss den gleichen Effekt gehabt hätten.

L'Histoire d'AvelleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt