"Avelle, hast du zufällig Geschenkpapier - Oh, 'tschuldigung, hab ich euch geweckt?" Ich schreckte hoch und stieß heftig gegen Ivanas Kopf.
"Au." Schlaftrunken rieb ich mir die Stirn. Ivana hielt sich die Hand auf die Augenbraue. "Das nehme ich auf mich." murmelte sie.
"Was ist denn hier los?" Cloé schlug die Augen auf und guckte verwirrt zu Ivana und mir.
"Schwesterherz, wie hättest du's denn gern? Weiß, gold, mit Glitzer oder eines mit diesen kitschigen Motiven?" Es brauchte nicht viel, um Ivana mit einer Auswahl an Geschenkpapier auszustatten. Die Frage, woher ich es wohl gezaubert hatte, kam mir erst später, als Ivana zufrieden aus meinem Zimmer verschwunden war.
"Das habe ich tatsächlich nicht vermisst." Müde fiel ich wieder zurück in die Kissen. Cloé brummte zustimmend, als die Tür erneut aufging und diesmal meine Mutter den Raum betrat.
"Guten Morgen, ihr zwei. Raus aus den Federn! Sogar die Sonne ist eher aufgetaucht als ihr!" lachte sie und zog die Vorhänge beiseite. Gleißend helles Licht fiel ins Zimmer und machte es unmöglich länger in Ruhe liegenzubleiben.
Es war ein hektischer Morgen, an dem jeder hin und her lief, um die letzten Vorbereitungen für den Heiligen Abend zu treffen. Es war ein seltsamer Brauch, die Geschenke bereits am Abend vor Weihnachen zu bekommen, aber Ivana freute sich und auch ich musste gestehen, dass ich mich freute. Irgendwie fühlte ich mich an Weihnachten immer noch als Kind.
Der Tag hatte kaum begonnen, da mussten wir auch schon fertig sein. Traditionell bestand Großmutter darauf in die Kirche zu gehen und um noch gute Plätze zu ergattern fuhren wir alle schon am frühen Nachmittag los.
Noch nie zuvor hatte ich eine Kirche so voll erlebt wie heute. Immer mehr Menschen kamen herein und als die Bänke geflüllt und die extra aufgestellten Stühle besetzt waren, mussten die Leute sich an die Wände stellen. Weihnachtslieder wurden gesungen, Gebete gesprochen, die Geschichte von Christi Geburt von Kindern vorgespielt. Das wohligste Gefühl bekam ich am Ende, als die Lichter in der Kirche gedimmt wurden und alle im schein der aufgestellten Kerzen 'Stille Nacht' sangen. Man merkte die festliche Stimmung bei allen. Selbst Cloé und Sue, die wohl kaum die Hälfte der Messe verstanden hatten, hatten die Weihnachtsstimmung mit aufgenommen. Selbst Großmutter wirkte weniger grimmig und auch Antonia sah ungewohnt zufrieden aus.
Die gute Stimmung zog sich den Abend über fort. Daheim hatte Tom alles hergerichtet. Der Tisch war gedeckt und Schüsseln mit dampfenden Essen standen bereit. Zum Nachtisch gab es traditionellen Plumpudding und unter den leicht verwirrten Blicken meiner deutschen Verwandten applaudierten wir, als die mit Brandy übergossene Nachspeise brennend auf den Tisch gestellt wurde.
Es gab für jeden ein Stück, in dass ein zufälliger Gegenstand eingearbeitet wurde. Ursprünglich gab es nur vier, doch es wurden weitere hinzugefügt.Ich verschluckte mich fast, als ich den Ring in meinem Stück fand. Meine Wangen begannen zu glühen und ich schob ihn hastig in meine Tasche, bevor ihn jemand sehen konnte. Es war dumm, schließlich prophezeiten diese kleinen Dinger einem ja nicht wirklich etwas! Und trotzdem schlug mein Herz ein bisschen schneller.
Die Frage, was in ich meinem Stück gefunden hatte, stellte sich zum Glück nicht, denn nach dem Essen wurde die Verbindungstür zum Wohnzimmer geöffnet und der im Kerzenlicht strahlende Baum stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Unter seinen Zweigen stapelten sich Geschenke in buntem Papier und glänzenden Schleifen. Es war eng, aber jeder hatte einen Platz unter dem Baum. Ein Brief lag oben auf meinem kleinen Turm aus Geschenken. In feiner, gewundener Schrift stand vorne auf dem Umschlag 'Ava Eleanor Luise'. Neugirig öffnete ich ihn und holte eine Einladung heraus.
"Du hast auch eine bekommen?" Ivana hielt mir ihren Umschlag hin, auf dem in gleicher Schrift 'Ivana Isabelle Joline' geschrieben stand.
"Was ist das?" kauend lugte Cloé um einen Ast herum und zog mir die Karte aus der Hand. "Eine Einladung zum Weihnachtsball der Lenderson's. Woher wissen die, dass du eine Freundin zu Besuch hast?" Mit gerunzelter Stirn las sie den Text. "'Ihre Freundin darf natürlich als Begleitung mitgebracht werden.' Und warum klingt das, als sei ich ein Gegenstand?"
"Was mich viel mehr interessiert ist, woher die mich überhaupt kennen." nachdenklich starrte ich auf meinen Namen auf dem Umschlag. "Ich kenne keine Familie Lenderson."
"Die Lenderson's geben jedes Jahr einen Ball." Antonias Kopf tauchte hinter Cloé auf und genoss den Moment, mehr zu wissen als wir. "Letztes Jahr war er zu Silvester, dieses Jahr wieder zu Weihnachten. Nächstes Jahr geben Sie vermutlich wieder einen Osterball."
"Ich habe gar kein Kleid für so einen Ball." bestürzt starrte Cloé mich an. "Hätten die das nicht früher ankündigen können?"
"Da wird sich bestimmt was finden lassen, ich habe auch keins."
"Aber deine Mom hat daran gedacht dich passend einzukleiden." bedeutungsvoll zeigte sie auf einen großen, blassrosa Karton. Wir tauschen einen neugierigen Blick und ich mache ihn auf. Ein Kärtchen lag oben auf dem dünnen Papier, das den Stoff darunter schützte.
"'Trage es bei der nächsten Gelegenheit' " las ich vor und schlug das Papier beiseite. Auf der letzten Schicht lag fein säuberlich ausgebreitet eine schlichte goldene Kette. Daran hing eine kleine weiße Kugel, eingefasst in einen Blütenkelch. Mein Kopf schien diese Kette mit etwas zu verbinden, aber je stärker ich versuchte zu erfassen womit, entglitt es mir. Vorsichtig legte ich das hübsche Stück beiseite und legte weiter das Kleid frei. Seide in Altrosa und schwarze Spitze kamen zum Vorschein.
"Es ist wunderschön!" andächtig strich Cloé über den weichen Stoff.
"Ein Traum!" stimmte Ivana zu. "Von wem hast du es?"
"Es steht nicht dabei, vermutlich von Mom." Ich drehte das Kärtchen, konnte aber keinen Namen entdecken.
"Warum konnte sie mir denn nicht auch so ein schönes Kleid schenken?"
"Hast du sie nicht letztes Frühjahr noch bezirzt dir dieses hübsche Gelbe zu kaufen?"
Mürrisch verzog Ivana den Mund, wohl wissend, dass ich recht hatte. Spielerisch stupste ich ihre Nase, was sie zum Kichern brachte.
Als ich mich später bei Mom bedankte, legte sie den Kopf schief. "Welches Kleid?" fragte sie überrascht.
"Dieses Kleid." verwirrt zeigte ich auf den noch offenen Karton, doch Mom schüttelte den Kopf. "Von mir ist das nicht. Ist denn keine Karte bei?"
"Doch, schon, aber da steht nur drauf, dass ich es bei der nächsten Gelegenheit tragen soll."
"Dann zieh es morgen auf dem Ball an und wer auch immer es dir geschickt hat wird sich besimmt zu erkennen geben." Mom zwinkerte mir zu und wir vergaßen das Kleid und den mysteriösen Absender. Vielleicht gab es den Weihnachtsmann ja wirklich?
Noch bis spät in die Nacht hinein saßen wir beisammen. Ein warmes Feuer brannte im Kamin und durch die Fenster konnte man durch die Wolken einige Sterne funkeln sehen. Dort oben, zwischen den Wolken, funkelte der Polarstern und verkündete frohe Weihnachten.
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Sorry! 🙈 Das Kapitel sollte eigentlich eher kommen, aber ihr glaubt gar nicht wie schwer es ist im Herbst Weihnachten zu beschreiben!! Ich musste mir Weihnachtslieder anhören und Lebkuchen essen 😅 Jetzt komme ich aus der Weihnachtsstimmung gar nicht mehr raus... Naja, hier auf jeden Fall das nächste Kapitel.
Lest langsam, das nächste könnte ein bisschen länger dauern 😬
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L'Histoire d'Avelle
FantasyAvelle verbrachte ihr gesamtes Leben in England. Doch scheinbar ohne jeden Grund zogen sie weg, zu der vornehmen und unausstehlich arroganten Familie ihrer Mutter. Die 17-jährige hasste das Leben dort. Als sie allerdings ein Familiengeheimnis herau...