Alle begannen wild durcheinander zu redensobald als Ezra aus dem Blickfeld verschwunden war und die Anspannung löste sich mit einem Schlag. Sätze wie "Es tut mir ja so leid." und "Ich hatte ja keine Ahnung!" fluteten den Raum und alle hatten plötzlich das Bedürfnis mir tröstend auf die Schulter zu klopfen oder mir aufmunternd zuzusprechen.
Es dauerte einige Sekunden bis mein Geist wieder die Kontrolle über meinen Körper erlangt hatte und sofort begann ich mich durch die Menge zu schieben, einen Weg suchend um zur Tür zu gelangen.
"Avelle, wo willst du hin?" Dads Hand schloss sich fest um mein Handgelenk und sein strenger Blick lag warnend auf mir. Ich liebte Dad. Er war der gute Cop, der Nachsichtige von meinen Eltern, aber wenn er wütend war, hörte man besser auf ihn.
"Tut mir leid, Dad, aber das hier ist einfach nicht richtig." Ich versuchte mich aus seinem Griff zu lösen, aber Dad war nicht bereit mich einfach gehen zu lassen.
"Du willst ihm doch nicht etwa hinterher? Avelle, er ist ein Monster!"
"Ezra ist doch kein Monster! Er hat einen Fehler gemacht, einen wirklich großen Fehler, aber Irren ist menschlich!" Ein wütender, kräftiger Ruck und ich hatte mich aus seinem Griff befreit.
"Avelle, bleib hier!"
"Nein, Dad, du bist zu weit gegangen. Ich muss das wieder gut machen."
"Ava Eleanor Luise!" schrie mir mein Vater noch aufgebracht hinterher, doch ich hatte eine Lücke zwischen den Leuten gefunden und meinen Vater hinter einer Wand aus Tüll und Puder zurückgelassen. Das würde ich später wieder gut machen müssen, aber im Augenblick zählte nur Ezra - und ich musste ihn erreichen bevor er durch ein Portal verschwand und zurück auf sein unauffindbares Schloss kehrte.
"Ezra?" Der Flur war leer, kein Zeichen von ihm, keine widerhallenden Schritte, also rannte ich und hoffte, dass ich ihn noch einholen konnte.
"Ezra!" rief ich und hatte es noch gerade rechtzeitig geschafft. Seine Augen schimmerten eisig blau, als er den angefangenen Zauber löste. "Es ... es tut mir so wahnsinnig leid. Ich wünschte ich könnte die letzten Minuten ungeschehen machen!" sagte ich, vom Spurt völlig außer Atem.
"Avelle, was willst du." Seine Stimme versetzte mir den ersten Stich. So kalt, in ihr war nichts als Kälte und Distanz.
"Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Das mein Vater das gesagt hat - es war grausam."
"Aber er hat doch recht!" Er war wütend, warum war er jetzt wütend auf mich?
"Es war trotzdem nicht fair. Du hast mich gehen lassen." flüsterte ich, von seinem Zorn aus der Fassung gebracht.
Ein bitteres Lachen drang aus seiner Kehle und er verdrehte die Augen bevor er mich ungehalten an den Armen packte. "Avelle, als ich deine Schwester entführt habe, habe ich etwas unverzeihliches getan. Und das nur um eine über Jahrzehnte angebaute Langeweile zu befriedigen. Es war zu Anfang doch nicht mehr als ein Spiel! Ich habe mit deiner Mutter gespielt. Und dich habe ich mit hineingezogen weil ich ein unglaublich schlechter Verlierer bin. Ich habe gegen deinen Vater verloren und mir dich als Revanche geholt. Ich bin abstoßend. Hör auf deinen Vater und halte dich fern von mir." Er wollte mich auf Abstand halten aber ich krallte meine Finger in seine Ärmel und hielt ihn bei mir.
"Aber jetzt ist es doch kein Spiel mehr für dich. Du hast mir gesagt, dass du mich liebst, bedeutet das denn gar nichts?"
Ezra schaute mich an als hätte ich ein glühendes Eisen an seine Brust gesetzt. "Warum musst du mich so quälen?"
Meine Lippen zitterten und meine Muskeln verloren an Spannung. Meine Finger verloren ihren Halt und schlaff fielen meine Arme zurück neben meinen Körper. "Also bedeutet es nichts?"
Sein Griff wurde sanfter und plötzlich war da diese wunderschöne Zartheit in seinem Blick. "Nein, im Gegenteil, das bedeutet alles. Ich liebe dich viel zu sehr, als dass ich von dir verlangen könnte mich zu mögen."
"Aber dafür ist es doch schon längst zu spät." Es war nicht mehr als ein Wispern, wie Blätter, die in einer sanften Abendbrise zittern.
Abrupt ließ er mich los und wich einen Schritt zurück. Aufgebracht schnaubte er und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. "Nein, ist es nicht. Geh zurück zu deiner Familie, Avelle. Ich will dich nicht bei mir haben. Geh!"
Fassungslos taumelte ich nach hinten, Tränen rannen mir heiß von den Wangen und färbten die wunderschöne Seide dunkel. "Warum tust du das? I-ich bin kein Spiel von dir. Du hast mir vorgelesen, mir von dir erzählt, mich geküsst ... Ezra, ich liebe di -"
Harsch nahm er mein Gesicht in die Hände und zwang mich ihn stumm anzusehen. In seinen Augen war nichts zu sehen, kein Zorn, keine Kälte, keine Zärtlichkeit. Sie waren so tief, so leer. "Es hat funktioniert, nicht wahr? Ich habe es geschafft dir den Kopf zu verdrehen, dir deine Sinne zu vernebeln. Ich habe deinen Willen gebrochen und dich mir gefügig gemacht. Gib es zu," raunte er und kam mir immer näher. Entschieden drängte er mich zurück bis mein Rücken gegen die Wand stieß. Sein Atem benetze meine Lippen und für eine Sekunde hörte mein Herz auf zu schlagen. Ich sah nur ihn, seine leeren, durchdringend blauen Augen, die dunkle Strähne, die ihm ins Gesicht fiel. Ich spürte seine Hände an meinen Wangen. Fest und warm hielten sie mich in seinem Bann. Flüchtig berührte ich seine Brust. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen, seine Haut fühlte sich so heiß unter dem glatten, kühlen Stoff an. Ich war mir so sicher er würde mich küssen. Und ich habe mich so sehr danach gesehnt.
"Keine Träne würde dir über deine Wange fließen, würde ich dich diese Nacht nehmen. Du gehörst voll und ganz mir."
Voll und ganz.
Und dann, als hätte ein Hypnotiseur mit seinen Fingern geschnippst, wachte ich plötzlich wie aus einem Traum auf und ich fiel direkt in einen Alptraum. Noch nie hatte Ezra eine solche Macht über mich - und noch nie hatte ich es so genossen. Ich hatte angst vor ihm, angst vor mir selbst. Und noch immer war da diese selbstzerstörerische Seite, die ihn küssen und sich für immer in seinen Augen verlieren wollte. Hinter mir presste sich die Steinwand kalt und schmerzhaft in meinen Rücken und pansich versuche ich Ezra von mir zu stoßen.
Er ließ mich los und wandte sich von mir ab. "Geh nach Hause, Avelle. Das Spiel ist vorbei."
Er verschwand und ich sackte kraftlos an der Wand zusammen, bitterlich schluchtzend.
DU LIEST GERADE
L'Histoire d'Avelle
FantasyAvelle verbrachte ihr gesamtes Leben in England. Doch scheinbar ohne jeden Grund zogen sie weg, zu der vornehmen und unausstehlich arroganten Familie ihrer Mutter. Die 17-jährige hasste das Leben dort. Als sie allerdings ein Familiengeheimnis herau...