Kapitel 36

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Auf der Suche nach Cloé irrte ich orientierungslos durch die Menge. Aber sie war weder am Buffet noch bei dem Ensemble oder irgendwo sonst, wo ich sie hätte ausfinden machen können. Stattdessen stieß ich mit jemandem zusammen, den ich schon fast vergessen hatte.

"Tschuldigung!" sagte ich, als Benjamin wegen mir seinen Sekt auf dem Ärmel seines Jacketts verschüttete. Er war genervt, als er mich aber erkannte, glätteten sich seine Züge und ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen.
"Nicht so schlimm." versicherte er, murmelte leise ein paar Worte und sein Ärmel war wieder sauber. 

"Immer wieder beeindruckend." sagte ich mit einem kleinen Lächeln.

"Ach, Quatsch! Wenn die Gerüchte wahr sind und man dem Gerede der Leute Glauben schenken darf, dann sind deine Fähigkeiten bei Weitem beeindruckender als dieser kümmerliche Fleckentferner-Zaubertrick." erwiderte Benjamin und konnte den bewundernden Unterton nicht verbergen.

Natürlich wusste ich, worauf er hinaus wollte, doch dass das Gerücht umging, dass ich eine Magierin war, bereitete mir Unbehagen. Also nahm ich mir eines der Gläser von dem Tablett des vorbeigehenden Kellners und spühlte die Nachricht mit einem großen Schluck Sekt herunter. "Natürlich ist das bereits im Umlauf." stieß ich nur hervor, trank den Rest der prickelnden Flüssigkeit auf Ex und tauschte das leere Glas bei einem anderen Kellner gegen ein Neues.

"Tut mir leid, ich hätte es nicht angesprochen, hätte ich gewusst, wie unangenehm das für dich ist."

"Nein, ist schon gut." versuchte ich mich zu entschuldigen, "Es würde mich auch eigentlich gar nicht stören, nur ..." Ich ließ den Satz in der Luft hängen. Ich brauchte meine beste Freundin bei der ich mich aushäulen konnte, nicht den Verlobten meiner Cousine. Oder, Ex-Verlobten.

"Ich hab's gehört, de Fray ist hier. Das muss schwer für dich sein." Benjamin legte mir eine Hand auf die Schulter und drückte sie tröstend. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie bedrohlich sich das für dich anfühlen muss, wo du doch grade erst wieder zu Hause bist."

Naja, bedrohlich war da vielleicht nicht das richtige Wort, aber einfach war das auch nicht.

"Danke."

"Wenn du reden willst, ich bin ein guter Zuhörer - hab ich zumindest mal gehört. Schließlich waren wir ja mal fast Familie." Und da war es, ein vertrautes Lächeln eines Freundes. Er war zwar nicht Cloé aber er war jetzt grade für mich da.

Also erzählte ich ihm, dass ich Ezra eben erst getroffen hatte, erklärte, dass er mich hatte gehen lassen und ich nicht wusste, wie ich ihm jetzt gegenüber reagieren sollte. Meine verwirrenden Gefühle und seine Gefühle ließ ich dabei aber außenvor. Benjamin schien auch keine Antwort auf dieses Chaos zu haben und schaute mir nur mitfühlend in die Augen. "Na, komm her." sagte er schließlichals er das Geühl bekamm doch etwas machen zu müssen und nahm mich in die Arme. Und kurz hatte ich das Gefühl ein wenig Trost und Ruhe gefunden zu haben. Wie gesagt, das Gefühl war nicht von Dauer.

"Wie kannst du nur!" zischte eine vor Wut kochenden Antonia und riss mich von Benjamin weg. "Nur weil wir nicht mehr verlobt sind, heißt das nicht, dass du dich ihm so schahmlos an den Hals schmeißen kannst!"

"Was? I-ich mach doch gar nichts." perplex stand ich da und fragte mich, wo ich jetzt schon wieder hinein geraten war.

"Also kuschelst du nicht mit meinem Ex in aller Öffentlichkeit?" Ich könnte mich täuschen, aber ich meinte einen hysterischen Hauch in ihrer Stimme ausmachen zu können.

"Nein!"

"Du bist ein Flittchen! Suchst dir den nächstbesten Kerl nachdem du es mit diesem Magier versaut hast." Nein, ich täuschte mich nicht. Und das ging unter die Gürtellinie! Ich schnappte nach Luft und starrte sie sprachlos an. Mitlerweile hatten wir die Aufmerksamkeit der Umstehenden, die unsere kleine Szene offenbar interessanter fanden als ihre eigenen Gesprächsthemen.

"Antonia, halt die Luft an. Das war bloß eine Umarmung, da gibt es nichts hinein zu interpretieren! Und selbst wenn, es hat dich nicht mehr zu interessieren!" mischte sich endlich auch Benjamin ein.

"Du willst mich doch nur eifersüchtig machen, aber so gewinnst du mich nicht zurück."

"Antonia, das war nie unsere Absicht, du nimmst das ganze zu persönlich." versuchte ich die Lage irgendwie noch zu retten.

"Ach, Avelle, halt dich da raus." fuhr mich jetzt auch Benjamin an. "Es dreht sich mal wieder alles nur um Miss Unfehlbar. Die ganze Welt dreht sich wie immer nur um dich." Er spuckte das Wort aus, wie einen Schluck verdorbenen Apfelsaft.

Ich fühlte mich wie eine Gazelle zwischen zwei ausgehungerten Löwen. Beide fletschten die Zähne, duckten sich zum  Angriff, jederzeit bereit auf den anderen loszugehen. Nur ein falsches Wort, eine falsche Geste meinerseits und die ganze aufgestaute Wut einer unverarbeiteten Trennung würde auf mich hernieder prasseln - oder eher auf mich einschlagen.

Sanft aber bestimmt legten sich zwei Hände um meine Taille. "Lass uns tanzen." sagte Ezra halb laut und ich nickte schwach, während er mich von den Zweien wegzog. Mein Kopf hatte sich unter all den Blicken scharlachrot verfärbt und ich war froh durch Ezra wenigstens von einem Teil der Blicke abgeschirmt zu sein. Seine Hand schloss sich um Meine und drückte sie einmal kurz. In dem Moment war das alles ,was ich brauchte, um mich behütete zu fühlen.

"Ezra, lass sofort meine Tochter los! Avelle, halt dich fern von ihm!" Wenn nicht schon nach dem Streit mit Antonia die ganze Aufmerksamkeit der Leute uns gegolten hatte, so war sie uns wohl jetzt sicher. Völlig aufgebracht stürmte mein Vater auf uns zu und zog mich aus Ezras Schutz. Mom und Großmutter eilten direkt hinterher und Mom legte fest ihren Arm parteiergreifend um mich. Was auch immer hier grade vor sich ging, ich hatte das Gefühl geradewegs in eine Seifenoper geschlittert zu sein.

"Ich will dich nie wieder in der Nähe auch nur einer meiner Töchter sehen. Dass du es überhaupt wagst hier aufzukreuzen!" das neugierige Getuschel schien meinem Vater gar nicht aufzufallen, er lieferte sich ein hitziges Blickduell mit Ezra und seine Fassade kühler Gelassenheit bekam Risse mit jeder Sekunde, die Dad auf ihn herab sah.

Ich löste mich aus Moms umklammerung und legte Dad meine Hand auf die Schulter. "Dad, bitte." flüsterte ich. Hatten die anderen denn nichts Besseres zu tun, als zu gaffen? Aber es hatte auch etwas Gutes, denn ich bekam unerwartete Hilfe.

"Oh bitte, lasst uns die Streitereien beiseite legen und uns wieder amüsieren. Wir sind auf einem Ball, nicht im Theater!" Und fast hätten ihre Worte  Wirkung gezeigt und alle wieder zurück zur Normalität gebracht, hätte Mrs Lenderson nicht noch diesen kleinen Satz hinzugefügt: "Wir sind hier doch unter Freunden."

"Freunde?" stieß mein Vater hevor, "Dieser Mann ist bestimmt kein Freund! Er hat meine Jüngste entführt nur um Avelle zu erpressen bei ihm zu bleiben!" Nun war die Bombe geplatzt. Nur ein allgemeines, empörtes Luftschnappen durchschnitt die eingetroffene Stille. Ezras Fassung splitterte unter der Wucht der Demütigung und zerbrach. Kurz glitt sein Blick suchend durch den Raum und blieb schließlich bei mir hängen. Doch ich war genauso sprachlos wie der Rest der Versammelten. Ich wollte etwas sagen, ihn in Schutz nehmen, Dad sagen, er solle sich bei Ezra entschuldigen. Aber ich konnte nicht. Die Blicke voller Mitleid und Entsetzen die meiner Familie, aber vor allem Ivana und mir galten, lähmten mich. Mühsam kratzte Ezra den letzten Rest Würde zusammen, was nach Dads peinvoller Enthüllung wahrlich nicht mehr viel war, und schritt aus dem Saal.


L'Histoire d'AvelleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt