Ich folgte dem kleinen Bach immer weiter in den Wald hinein. Auf einmal blieb ich wie angewurzelt stehen.
Habe ich da nicht die leuchtend blauen Augen gesehen, die mich seit letzter Nacht verfolgten?
Ich stand wie eine Statur da, meine Augen guckten unentwegt in die blauen Augen, ein Stück weit entfernt von mir. Allerdings konnte ich kein Gesicht erkennen. 'Es' (ich hatte ja keine Ahnung, ob Frau, Mann, Kind oder sogar Tier ) stand mindestens fünf Meter von mir weg, sein Körper im Schatten der hohen, schwarzen Tannen verborgen, die dicht aneinander standen.
Ich wollte etwas sagen, wusste aber nicht was. Ich wollte einen Schritt näher gehen, konnte aber nicht. Meine Beine waren so schwer wie Felsen und ich hatte das komische Gefühl, als würde von diesem Wesen eine Art Wand ausgehen, eine Blockade, um nicht näher heran zu kommen. Aber das war lächerlich! Seit wann kann man denn unsichtbare Schutzmauern aufbauen? Andererseits ... Ich habe so eben erfahren, dass ich eine Hexe bin.
Plötzlich bekam ich Angst! Fürchterliche Angst! Ich wollte mich umdrehen, weg rennen, doch meine Beine waren immer noch zu schwer! Ich guckte mich im Wald um, wonach genau ich suchte wusste ich selbst nicht. Als ich wieder zu der Stelle sah, wo die Augen waren, waren sie verschwunden. Einfach weg! Plötzlich waren meine Beine wieder normal. Ich stolperte die ersten Schritte, rannte dann aber immer schneller neben dem kleinen Bach entlang zurück. Zweige schlugen mir ins Gesicht, immer wieder stolperte ich über Wurzeln, Steine oder am Boden liegende Äste. Ich rannte, bis das Schloss zwischen den hohen, plötzlich bedrohlich wirkenden Bäumen in mein Blickfeld trat. Die letzten Meter spurtete ich hoch, bis zu dem großen Tor, welches das Schloss vom Rest der Welt trennte. Ich schlüpfte durch die kleine Tür im Tor, die immer offen war und blieb erst, völlig atemlos, in der Eingangshalle stehen, wo ich mir meine Hände in die Hüfte stemmte, um das Seitenstechen zu mindern - was nichts brachte - und rang nach Luft.
"Ava Eleanor Louise!" Meine Großmutter kam schnellen Schrittes in die Halle "Sag mal, hat man dir kein benehmen beigebracht? Warum rennst du denn immer weg wenn etwas schwierig wird?" schrie sie mich an "Und wie siehst du überhaupt aus?" fuhr sie fort "Deine Haare sind ganz zerzaust und ... " sie kam näher und zog mit spitzen Fingern etwas aus meinen Haaren, ein Blatt. "Hast du dich in einem Busch versteckt? Geh hoch und mache dich zurecht!" so kannst du unmöglich mit uns zu Abendessen!" mit den Worten drehte sie sich um und ließ mich allein und völlig erschöpft stehen.
***
Ich sah wirklich furchtbar aus! Mein Gesicht war von den mir entgegen peitschenden Ästen völlig zerschnitten und manche Kratzer waren richtig blutig. Meine sonst immer ordentlichen Haare standen wirr in alle Richtungen ab. Ich war eine halbe Stunde damit beschäftigt, Blätter, Stöckchen und eklige Kleintiere aus meinen Haaren zu fischen. Jedoch fühlten sie sich danach immer noch nicht wirklich sauberer an, also nahm ich erstmals eine lange, sehr heiße Dusche. Anschließend konnte ich mein Kleid - mein Lieblingskleid - in Müll schmeißen, da es zerrissen und schmutzig war. Ich hatte keine Lust mich irgendwie hübsch zu machen, also ging ich in Jogginghose und einem weitem T-shirt zum essen, völlig ungeschminkt und die noch nassen Haare zu einem hohen Zopf gebunden. Mir war arsch kalt, würde mich einfach nur am liebsten in mein Bett legen und Schlafen, jedoch hatte mein Hunger gesiegt und ich kam runter zum essen. Ich erntete einen schockierten Blick meiner Großmutte, sprachloses entsetzen meiner Tante und ein empörtes Kopfschütteln von Antonia, wärend Mom, Dad und Ivana mich nur besorgt musterten.
"Was hast du gemacht?" meine besorgte Mutter kam mit der Frage meiner Oma zuvor, die auch den Mund geöffnet hatte, um irgendwas zu sagen. Ließ es aber bleiben und schloss ihn wieder.
"Ich ... ähm, Ich habe mich verlaufen und habe gedacht ne Abkürzung gefunden zu haben. Aber sie erwies sich, naja, ... " ich ließ meinen Satz unbeändet in der Luft hängen, deutete aber zur Veranschaulichung auf mein Gesichts. Ich wusste, dass man nicht lügt, aber was hätte ich denn sagen sollen? Dass ich Halluzinationen habe, in den so komische blaue Augen auftauchen und dass ich dann vor ihnen weggelaufen bin? Und nicht zu vergessen hatten die blauen Augen auch nicht magische Fähigkeiten. -jaa, sicher!
"Avelle?" bei dem klang meines Namens kam ich wieder in die Wirklichkeit zurück "Geht es dir gut?" "Scheinbar gut genug um so zum Abendessen zu erscheinen." kam mir meine Cousine mit dem Antworten zuvor. Ich hatte zwar Hunger, aber keinen Nerv für meine neuen Familienmitglieder. Ich ging zum Tisch, schnappte mir zwei Scheiben Brot, ein wenig Käse und ging heraus.
"Eleanor, dies ist der einzige Bereich im Schloss, wo gegessen wird!" rief der Drachen hinter mir her und ich konnte mich nur mit Müh und Not davon abhalten, ihr den Mittelfinger zu zeigen.
Langsam reichts! Ich hab kein Bock mehr auf diese Familie!
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L'Histoire d'Avelle
FantasyAvelle verbrachte ihr gesamtes Leben in England. Doch scheinbar ohne jeden Grund zogen sie weg, zu der vornehmen und unausstehlich arroganten Familie ihrer Mutter. Die 17-jährige hasste das Leben dort. Als sie allerdings ein Familiengeheimnis herau...