Ezra sprach aus, was mein Unterbewusstsein längst erkannt hatte. Doch was es bedeutete eine Magierin zu sein, wollte ich nicht wahr haben.
Wortlos drängte ich mich an Ezra vorbei und lief eilig aus dem Raum. "Wo willst du hin?" Seine Stimme war kalt und ich konnte eine gewisse Anspannung darin hören. Ich ignorierte die Frage und lief weiter. Die Treppe herunter, fokussierte die Tür am Ende des Ganges. Ich konnte die schnellen, harten Schritte deutlich hinter mir hören. Er folgte mir. "Wo willst du hin?" wiederholte er sich wütend. Ich hatte die Tür erreicht, Schloss meine Hand um den Knauf und drückte sie auf. "Raus." Antwortete ich ihm knapp. Ein Windstoß kam mir entgegen, Regentropfen trafen mir ins Gesicht, doch ich hoffte, sie würden mir einen klaren Kopf verschaffen. "Du weist, auch wenn du jetzt gehen kannst, weißt du trotzdem nicht wohin, und ich kann deine Schwester immer noch holen." Mit einem lauten Knall schlug die Tür wieder zu. Ich bezweifelte, dass das vom Wind kam. Ich schnaubte einmal laut auf. Dachte er tatsächlich, ich würde das vergessen; die Gelegenheit nutzen und fliehen? "Ich möchte nur einen klaren Kopf bekommen und für ein paar Minuten alleine sein. Auch wenn ich gerade ein wenig verwirrt bin, kann ich immer noch weit genug denken, um zu wissen, was passiert, wenn ich fliehen würde. Du kannst also unbesorgt wieder rein gehen und mich allein lassen." Schnauzte ich ihn an. Ezra sah mich leicht überrascht an, fing sich jedoch schnell wieder und ließ mit einem leichten Wink die Tür wieder aufgehen. "Dann genieße deinen Spaziergang, sei jedoch in einer Stunde spätestens wieder zurück. Sonst komme ich und suche dich."
Als hätte er nichts mehr gesagt ging ich nach draußen und schmiss die Tür hinter mir zu. Dicke, kalte Regentropfen schlugen mir ins Gesicht und durchnässten mein Kleid. Dieses war zwar langärmlig, doch ich zitterte trotzdem vor Kälte. Gegen den Wind stemmend ging ich den Weg entlang, bis zu einer Bank und ließ mich auf ihr nieder. Mein Kopf fiel in meine Hände und Tränen mischten sich zu dem Regenwasser auf meinen Wangen.
Das konnte doch alles nur ein schlechter Scherz sein. Ich, eine Magierin! Es war fast das schlimmste, was mir hätte passieren können. Von dem Gedanken, mit dreißig Jahren hier weg zu kommen konnte ich mich jetzt verabschieden. Vermutlich würde ich, wie Ezra, mit 25 aufhören zu altern. Das heißt zu alt für ihn werde ich nun nicht mehr.
Ich hatte ein unsterbliches Leben in Gefangenschaft vor mir. Es schien, als ob alles seinen Sinn verloren hätte.
Lange saß ich noch auf der Bank. Ich ließ ungehemmt alles raus. Meine lauten Schluchtser wurden vom Wind davon getragen und meine Tränen wurden vom Regen verdünnt. Ich zitterte am ganzen Leib, doch ich dachte nicht daran wieder herein zu gehen.
Meine Gedanken schweiften zu dem schwarzen Magier, der mich nun sein Leben lang hier festhalten konnte.
Das Fehlen des kalten Windes und des Regens ließ mich aufschauen und ich sah direkt in das Gesicht Ezras.
Er muss eine Art Schild um sich herum erschaffen haben, denn er war komplett trocken und schützte ja jetzt auch mich vor dem Wetter. "Warum so verzweifelt?" Seine Stimme war sanft und ein mitfühlender Ton schwang in ihr mit. "Die meisten Leute, die erfuhren, dass sie für immer aussehen wie mit 25 Jahren, haben sich gefreut." "Die Leute, die sich auf ein unsterbliches Leben freuen, haben aber auch keine Zukunft in Gefangenschaft vor sich." Ich spürte richtig, wie Ezra sich verkrampfte. "Komm mit rein. Du bist eiskalt und klitschnass. Wenn du jetzt nicht sofort ein heißes Bad nimmst hast du gar kein Leben mehr vor dir." Meinte er monoton, umfasste meinen Ellenbogen und zog mich mit ins Schloss.
Nach einem langen Bad in heißem Wasser hatte ich die Neuigkeit weitestgehend verdaut. Ohne viel Lust auf eines der langen schweren Kleider wühlte ich in Ezras Sachen, auf der Suche nach einem Pulli und einer bequemen Hose. In meinem Schrank konnte ich nichts dergleichen finden. Das Handtuch, welches ich mir umgeschlungen hatte, rutschte mir immer wieder herunter. Letztendlich ließ ich es am Boden liegen, da ich beide Hände zum kramen brauchte. Ezra hatte sich seit der letzten Stunde nicht mehr blicken lassen. In der Hoffnung schnell fündig zu werden kümmerte ich mich nicht weiter darum, dass ich nackt war.
Alles mögliche an Anziehsachen ließ sich in seinem Kleiderschrank finden. Ich stieß sogar auf einen Rock! Doch eine einfache Jogginghose und ein Pulli ließ sich nicht auftreiben. Ich stieß ein genervtes Stöhnen aus und stellte mich wieder richtig hin, stemmte die Hände in die Hüften und überlegte, was ich stattdessen anziehen konnte. "Avelle?" Mit einem klacken ging die Tür auf und Ezra steckte den Kopf zu mir ins Zimmer. Geschockt fuhr ich herum, starrte ihn einige Sekunden an und beeilte mich dann mein Handtuch aufzuheben. Als er realisierte, dass ich splitternackt war, zuckten seine Mundwinkel leicht nach oben, zog sich aber schnell wieder zurück. Das ganze war peinlich und ich wickelte mich schnell wieder in dem Handtuch ein. Als es zaghaft klopfte umklammerte ich die Stelle, wo es zusammen geknotet war extra fest. "Kann ich herein kommen?" fragte Ezra. Ich bejahte und er betrat das Zimmer.Er hatte immer noch dieses anzügliche Schmunzeln auf den Lippen "Kann ich dir helfen?" sein Gesichtsausdrück wurde verwirrt, als er seinen zerwühlten Kleiderschrank sah. "Ich suche einen Pulli und eine Jogginghose. Aber alles was ich finde sind unbequeme lange Kleider und extravagante Hosen." "Stelle dir vor, was du tragen möchtest, dann stelle dir vor, wie genau das auf dem Bett liegt." "Das funktioniert?" skeptisch beäugte ich Ezra, der einmal bestimmt mit dem Kopf nickte.Gesagt, getan. Ich rief mir meinen Creme-weißen flauschigen Pullover ins Gedächtnis und dazu die ausgewaschene und ausgebeulte Jogginghose. Mit ein bisschen Konzentration stellte ich mir das ganze auf dem großen Bett vor. Ich war positiv überrascht, als ich alles so vorfand, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Eine Magierin zu sein hat wohl doch seine Vorteile, dachte ich, schnappte mir die Sachen und verschwand damit im Bad.
DU LIEST GERADE
L'Histoire d'Avelle
FantasyAvelle verbrachte ihr gesamtes Leben in England. Doch scheinbar ohne jeden Grund zogen sie weg, zu der vornehmen und unausstehlich arroganten Familie ihrer Mutter. Die 17-jährige hasste das Leben dort. Als sie allerdings ein Familiengeheimnis herau...