Kapitel 1: Abgründe

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Achtung: Dieses Buch behandelt Erwachseneninhalte. Dazu gehören Gewalt, sexuelle Themen und Kraftausdrücke.

Um innerhalb der Geschichte nichts vorwegzunehmen, werde ich diese Warnung nur dieses Mal und in der Inhaltsangabe aussprechen.

Während der Geschichte wird es immer mal wieder Gedichte geben, welche ich vertont habe. Ihr findet sie auf meinem Soundcloud-Profil 'Miss Mythical'. Hört gerne rein!

Und jetzt, Manege frei!

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Als sie Tendous Blick zum ersten Mal auffing, hatte sie gerade ein fremdes Portemonnaie in der einen und Geld, das ihr nicht gehörte, in der anderen Hand. Es war einer dieser Momente, in denen Augenkontakt ihr den Boden unter den Füßen wegzog.

Sein Gesicht wurde zur Hälfte in rotes, zur anderen Hälfte in blaues Licht getaucht. Für einen Moment glaubte sie, die Polizei wäre bereits hier. Trotzdem war sie wie erstarrt. Die Welt um sie herum schien genau wie sie den Atem anzuhalten.

In ihren dunkelsten Nächten war es genau diese Vorstellung gewesen, die sie wachgehalten hatte. Nicht das schlechte Gewissen, sondern die Aussicht, erwischt zu werden. Die Aussicht, sich vor jemandem für ihr Handeln verantworten zu müssen.

Und jetzt gab es jemanden und er trug ausgerechnet die Schuluniform der Shiratorizawa.

Ein Herzschlag holte sie zurück in die Realität. Ihr eigener, stellte sie einen Moment später fest.

So plötzlich, wie die Welt angehalten hatte, begann sie, sich wieder zu drehen.

Sie ließ die Geldbörse fallen, drehte sich um und quetschte sich durch die Menschenmenge, die sie wie der gierige Schlund eines Monsters verschluckte. Feuerwerkskörper tauchten die Zuschauer in flackernde Lichter. Sie verschwammen zu einer gesichtslosen Menge, die das Gesicht dem Himmel zugewandt hatte. Alle schauten sie nach oben.

Nur dieser Junge nicht.

Dieser dumme, dumme Junge.

Nur das in Wirklichkeit sie die Dumme war.

Sie wechselte die Richtung, sprang über eine niedrige Mauer und tauchte dann in einer Gruppe hochgewachsener Männer ab. Sich unter den Augen so vieler Zuschauer zu verstecken, widersprach jeglichem ihrer Instinkte, aber sie zwang sich, ruhig zu atmen.

Während sie ihre Jacke auf links drehte und das Geld verschwinden ließ, behielt sie so unauffällig wie möglich ihre Umgebung im Auge. Sie hatte sich nicht gemerkt, wie der Junge aussah, dazu war auch gar keine Zeit gewesen, sie wusste lediglich, dass er groß war. Selbst über drei Kopfreihen hinweg hatte er sie noch beim Stehlen beobachten können und selbst wenn die Dunkelheit sie gedeckt hatte, war ihr ertappter Gesichtsausdruck eindeutig gewesen.

In den drei Monaten, in denen sie nun schon Fußgänger um ihr Bargeld erleichterte, war sie noch nie erwischt worden. Zweimal war sie sehr nah dran gewesen, aber sie hatte sich immer wie ein Aal aus jeder brenzligen Situation gewunden. Schon als Kind war sie gut darin gewesen, eine Ablenkung zu ihrem Vorteil zu nutzen, nur das ihr damals nie echte Konsequenzen gedroht hatten, falls sie doch einmal erwischt wurde.

Sie war vorsichtig. Nahm immer nur Bargeld und steckte die Brieftaschen wenn möglich meistens sofort wieder ihren rechtmäßigen Besitzern zu. Und sie stahl nur, wenn sie sich absolut sicher war, nicht erwischt zu werden. Aber ein Absolut gab es beim Stehlen natürlich nicht. Irgendwann gab es immer jemanden unter den Zuschauern, der zu genau hinsah.

Es war nur Pech, dass es sich dabei um einen Mitschüler handelte.

Sie zählte die Sekunden, bis sie bei zwei Minuten angekommen war und das Feuerwerk zu Ende ging. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, genug Zeit, um sich auszumalen, wie sie ihren Wochenendjob und ihr Stipendium verlor und zurück zu ihren Eltern ziehen musste. Angespannt folgte sie der Gruppe ein Stück, bevor sie ausscherte und sich dann langsam in Richtung der ersten Häuser bewegte.

Baki Baki [Tendou Satori, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt