Sie hatte das Gefühl, in einem Alptraum festzustecken. Als würde sie vor etwas weglaufen, ohne sich je auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu bewegen, oder fallen, fallen und weiter fallen. In einen bodenlosen Abgrund. Noch bevor sich der dunkle Schleier, der ihre Gedanken umgab, lichten konnte, wusste sie, dass alles verdreht und falsch war. Und dass sie Angst hatte. Sie konnte noch nicht einmal sagen wovor, so dicht war der Nebel und für einen langen Moment wünschte sie sich die Bewusstlosigkeit zurück. Der Dunkelheit gegenüberzutreten wäre so viel einfacher gewesen.
Sie spürte den rauen Asphalt unter ihrer Wange, das schmerzhafte Pochen ihrer Schulter und das Brennen ihrer Knie. Mit den Schmerzen kehrte auch die Erinnerung zurück.
Iwasaki. Er war gekommen, um sie zu holen.
Sie wollte Schreien, brachte aber nur ein Wimmern zustande und selbst das wurde sofort von dem feuchten Stofffetzen geschluckt, den er ihr in den Mund gestopft haben musste. Über das Hämmern ihres Herzens konnte sie kaum ihre eigenen Gedanken hören. Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Es könnten Stunden vergangen sein, seit sie den Laden verlassen hatte. Wie lange würde es dauern, bis sie jemand vermisste? Einen Tag? Zwei? Aber würde sich Kamiya tatsächlich wundern, nachdem sie in den letzten Monaten herumgeschlichen war wie eine Katze?
Es würde niemand kommen, realisierte sie. Und selbst wenn, wie sollte man sie finden? Kasasagi traute sich nicht einmal die Augen aufzumachen, um herauszufinden, wo Iwasaki sie hingebracht hatte. Wie sollte sie dann ohne Hilfe aus diesem Alptraum entkommen?
Obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte, zwang sie sich, ruhig weiter zu atmen und die Augen geschlossen zu halten. Sie konnte Iwasaki weder sehen noch hören. Aber sie wusste einfach, dass er neben ihr stand und nur darauf wartete, dass sie erwachte. Und dann? Was würde er mit ihr anstellen?
Ihr Kopf war zu träge, um eine Antwort auf diese Frage zu finden. Vielleicht auch zu feige.
»Du brauchst dich nicht zu verstellen«, säuselte eine Stimme viel zu dicht an ihrem Ohr. Die Luft kräuselte sich auf ihrer Haut und die Haare in ihrem Nacken stellten sich auf. Sie konnte nicht verhindern, dass sie zusammenzuckte. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten, Iwasaki einfach ausgesperrt und für einige verzweifelte Sekunden lang so getan, als gäbe es keinen Grund, Angst zu haben.
»Wir können doch ganz offen miteinander sein, oder nicht?«, fragte er leise. Sie wünschte, er wäre laut. Sie wünschte, er würde sie anschreien. Vielleicht würde ihn dann jemand hören, irgendjemand, der sie aus diesem Alptraum befreien würde. Aber er schrie nicht und es kam niemand. Sie hatte nicht damit gerechnet und trotzdem konnte sie nichts gegen die Enttäuschung tun, die bleischwer in ihren Magen sank.
Ihr blieb allerdings nicht viel Zeit, in Selbstmitleid zu baden. Kühles, scharfes Metall glitt über ihren Hals und hinterließ eine brennende Spur direkt unter ihrer Kehle. Erschrocken keuchte sie auf. Warmes Blut tropfte auf den Asphalt. »Du kennst doch schon all meine Geheimnisse, nicht wahr, Fuchsmädchen? Man sollte meinen, das wäre Warnung genug gewesen.« Iwasakis Finger glitten beinahe zärtlich über ihre Wange und ihr Magen revoltierte.
Sie riss die Augen auf – trat und schlug nach ihm, aber ihre Muskeln waren kalt und taub und ihr Körper gehorchte ihr nicht. Die Messerklinge glitt über ihren Handrücken, als sie versuchte, sie ihm aus der Hand zu schlagen. Sie sah Sterne. Bevor sie sich das Tuch aus dem Mund ziehen konnte, mit dem er sie geknebelt hatte, war sie schon wieder bewegungsunfähig. Binnen eines Herzschlags hatte er sie überwältigt.
Er kauerte über ihr, so dicht, dass sie seinen Atem spüren konnte und drückte ihre Handgelenke zu Boden. Sein leises Lachen trieb ihr Tränen in die Augen. Sie wandte hastig den Kopf ab und die Bewegung ließ die Wunde an ihrem Hals weiter aufklaffen. Der Schnitt war dafür nicht tief genug gewesen, aber sie hatte trotzdem das Gefühl, dass sie an ihrem eigenen Blut erstickte. Würgend versuchte sie, den Knebel auszuspucken.
DU LIEST GERADE
Baki Baki [Tendou Satori, Haikyuu!]
Fanfiction»Wenn es etwas gab, das Kasasagi in ihren dunkelsten Nächten wachhielt, dann die Aussicht, sich vor jemand anderem als sich selbst für ihr Handeln verantworten zu müssen. Und jetzt gab es jemanden und er trug ausgerechnet die Schuluniform der Shirat...