Kapitel 15: Messer

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Kasasgi konnte ihren Herzschlag hören. Nichts als ihren verdammten Herzschlag, der ihre flache Atmung übertönte und die leisen Geräusche, die ihre Sohlen auf dem Flur hinterließen. Obwohl sie wusste, dass sie allein war, drehte sie sich alle paar Sekunden reflexartig um.

Die Kitsunemaske, die Tendou ihr gegeben hatte, machte sich als schwarzer Rahmen ihres Sichtfeldes bemerkbar und wenn sie nicht das einzige gewesen wäre, dass sie vom Erkanntwerden abhielt, hätte sie sie längst abgenommen. Ihre Haare klebten ihr im Nacken. Obwohl sie ihre Hände nicht sehen konnte, war sie sich sicher, dass sie zitterten.

Sie sagte sich, dass es zu spät für einen Rückzieher war, während sie gegen den Drang ankämpfte, sich umzudrehen und den Schwanz einzuziehen. Noch war nichts passiert. Noch konnte sie zu Tendou gehen und ihm sagen, dass sie sich nicht traute.

Aber genau wie beim letzten Mal stand sie vor Iwasakis Zimmertür, bevor einer ihrer Zweifel sie dazu bringen konnte, Kehrt zu machen. Und genau wie beim letzten Mal machte die Angst einer unverständlichen Ruhe Platz. Sie hatten den Ablauf so oft durchgesprochen, dass ihre Hände wie von selbst zu ihrer Hosentasche flogen und den Schlüssel hervorholten. Es war wieder Ooishis, nur dass dieses Mal Tendou ihn beschafft hatte.

Er behauptete zwar nach wie vor, nicht fürs Stehlen gemacht zu sein, aber offenbar war es ihm leicht gefallen, dem Betrunkenen den Schlüssel aus der Tasche zu ziehen und ihm über den Abend verteilt immer wieder mit Melatonin versetzte Getränke unterzujubeln. Tendou hatte ihr per Textnachricht geschrieben, dass es bei der Menge an Alkohol vermutlich nicht notwendig gewesen wäre, aber sie hatten von Anfang an auf Nummer sicher gehen wollen. Wenn sich Kasasagi schon nicht gerne auf andere verließ, dann noch weniger auf den Zufall.

Ihre schwarz gekleidete Gestalt verschmolz vollständig mit der Dunkelheit, die einzige Ausnahme bildete die weiße Fuchsmaske, hinter der sie ihr Gesicht verbarg. Das leise Scharren, das ertönte, als sie sacht den Schlüssel ins Schloss schob, kam ihr ohrenbetäubend vor. Selbst über das tosende Pochen ihres Herzens war es nicht zu überhören. Sie stockte, wartete, aber als auch Sekunden später nichts zu hören war außer ihrem Puls, drehte sie langsam den Schlüssel um. Das Schloss knackte. Die Klinke gab unter ihren Fingern nach und dann schwang mit einem leisen Rauschen der Luft die Tür vor ihr auf.

Sie hielt den Atem an. Stille. Niemand schrie. Sie erinnerte sich noch an die Unordnung vom letzten Mal und versuchte, den Stolperfallen so gut es ging auszuweichen. Knisternd gab ein Papier unter ihrem Schuh nach. Kasasagi grub die Zähne in die Unterlippe, um nicht die Nerven zu verlieren. Der metallische Geschmack von Blut und der Schmerz halfen ihr, nicht völlig durchzudrehen. Noch immer atmeten die beiden Jungs gleichmäßig, sie schnarchten sogar leise.

Sie schob die Hand in ihre hintere Hosentasche. Ihr Herzschlag hatte sich inzwischen in ihrem ganzen Körper ausgebreitet und Schweiß stand ihr auf der Stirn. Wenn sie es jetzt nicht tun würde, wäre sie nie dazu in der Lage. Ihre Finger in den Handschuhen fühlten sich feucht und schwach an, aber sie schaffte es dennoch, dass metallene Heft aufzuklappen.

Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie Kamiya auf dem Bett gesessen hatte, mit blutigen Handflächen und aufgerissenen Knien. Es half gegen die Angst, die Wut heraufzubeschwören. Gleichzeitig fragte sie sich, ob sie verrückt geworden war.

Wie von selbst ging ihr Körper neben dem Kopfende von Iwasakis Bett in die Knie. Er roch nach Alkohol und Schweiß und Bosheit.

Ihre Knöchel unter den Handschuhen mussten kalkweiß sein, so fest umklammerte sie den Griff, als sie das Messer an Iwasakis Hals führte. Sie drückte kaum fest genug zu, um den Widerstand zu fühlen, als ein Ruck durch seinen Körper ging.

Selbst im Halbdunkel konnte sie sehen, dass er die Augen geöffnet hatte.

»Hi«, sagte sie und versuchte, selbstbewusst zu klingen, obwohl ihre Stimme so belegt war, dass sie sie kaum wiedererkannte. »Ich habe gehört, dass du ein blödes Arschloch bist.«

Baki Baki [Tendou Satori, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt