Kapitel 9: Scheuklappen

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Sobald sie sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe, Iwasakis Akte zu finden, konzentrierten, ging es eigentlich recht schnell. Wenn die Zeitanzeige in der oberen rechten Ecke ihres Handys nicht gewesen wäre, hätte sie nicht geglaubt, dass es bereits kurz vor 2 Uhr war. Wenn sie allerdings daran dachte, wie kraftlos sie sich inzwischen fühlte und wie sich die Abstände zwischen dem Gähnen, das alle paar Minuten in ihr aufstieg, verringerten, fiel ihr wieder ein, wie lange sie schon auf den Beinen war.

Kaum mehr fünf Stunden, bis sie aufstehen und sich für die Schule fertigmachen musste. Bei dem Gedanken musste sie schon wieder gähnen. In den letzten Minuten hatte sie häufiger den Mund aufgesperrt, die Augen zusammengekniffen und tief eingeatmet als einen klaren Gedanken gefasst.

Als sie also endlich Iwasakis persönliche Daten unter der Nase hatte, verspürte sie lediglich Erleichterung darüber, endlich schlafen zu können. Nur dass das nicht stimmte, weil sie ja im Schulgebäude festsaßen und ihr noch immer keine Möglichkeit eingefallen war, nach draußen zu gelangen. Und inzwischen hatte sie zusätzlich das Gefühl, Watte im Kopf zu haben, denn jeder Gedanke schlug sich nur langsam durch das Dickicht an Müdigkeit hinter ihren Schläfen.

»Das ist sie«, teilte sie Tendou mit, ehe sie sich daran machte, alles abzufotografieren. Sie hatte nicht einmal mehr die Energie, sich alles genauer anzusehen. Das würde bis morgen warten müssen.

»Halleluja.«

Das Quietschen des Schreibtischstuhls verriet ihr, dass er sich wieder hinein gefläzt hatte. Der Elan, den er noch bei seiner eigenen Mappe gehabt hatte, war ihm inzwischen gänzlich abhandengekommen. Ein paar Mal hatte er sich schon von ihrem Gähnen anstecken lassen und auch wenn er es nicht laut ausgesprochen hatte, war er vermutlich ebenso erschöpft wie sie. Das Adrenalin von vorhin war längst abgebaut und hatte sich inzwischen ins Gegenteil gekehrt.

Als sie die Fotos gemacht und überprüft hatte, ob sie auch leserlich waren, schickte sie sie an Tendou. Nur für den Fall, dass ihr Handy zu Bruch gehen würde oder sonst irgendetwas schief ging, das die Arbeit der letzten Stunden zunichte gemacht hätte.

Sie schwiegen, während sie alles wieder in den Ursprungszustand versetzten. Als letztes schloss Tendou den Aktenschrank ab und verstaute den Schlüssel zurück in der Bonbondose. Kasasagi reichte ihm seinen Pullover und wartete geduldig, während er ihn sich über den Kopf zog.

»Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich auf Wakatoshis Schnarchen freue«, murmelte Tendou, noch ehe sie das Lehrerzimmer verlassen hatten.

Kasasagi blieb stehen und er schaffte es gerade noch so, nicht in sie hineinzulaufen.

»Ich möchte deinen Traum wirklich nicht platzen lassen«, setzte sie an und ließ erschöpft den Kopf nach vorne auf die Brust kippen, »aber wir sitzen hier fest, bis morgen früh jemand die Türen aufschließt.«

Was sie in hellwachem Zustand furchtbar gefunden hätte, ihr jetzt aber ziemlich egal war. Sie war einfach zu müde, um sich ernsthafte Sorgen zu machen. Warum nicht einfach bis morgen warten? Ihr Gehirn hatte sich ohnehin schon in den Ruhemodus verabschiedet.

»Du willst einfach aus der Tür spazieren und hoffen, dass uns keiner sieht?«, fragte er und wandte sich ihr zu. Obwohl es dunkel war, spürte sie seinen eindringlichen Blick.

»Ich fürchte, uns bleibt nichts anderes übrig.«

»Wir haben nicht mal Schuluniformen an!«

Sie musste zugeben, dass das vieles erleichtert hätte. Es wäre viel einfacher gewesen, auf einer der Toiletten zu warten, bis sie sich unter die anderen Schüler mischen konnten. Aber als sie hergekommen waren, hatten sie noch geglaubt, das Gebäude in der Nacht auch wieder zu verlassen und vorher war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass sie hier festsitzen könnten.

Baki Baki [Tendou Satori, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt