Samstagnacht trafen sie sich auf einem Dach inmitten des leeren Finanzviertels, in dem Kasasagi sich so gerne herumtrieb. Es kam ihr nur fair vor, dass sie den Übergabeort aussuchen durfte, schließlich war sie das Risiko eingegangen, die Box zu besorgen. Kamiya verbrachte das Wochenende bei ihrer Großmutter und bemerkte daher nicht, wie Kasasagi sich am späten Abend warm anzog und ihr gemeinsames Zimmer verließ. Sie holte die Rätselbox aus ihrem Versteck, verstaute sie in ihrem Rucksack und dann machte sie sich auf den Weg.
Zu Fuß brauchte man von der Schule aus eine knappe halbe Stunde, aber Kasasagi hatte Zeit und sie genoss die frische Abendluft, die ihre müden Glieder weckte.
Sie war extra zu früh aufgebrochen, um noch eine Weile allein auf dem Dach sitzen und die Beine baumeln lassen zu können. In den letzten Tagen hatten die Worte sich in ihren Fingern angestaut und drängten darauf, auf Papier gebracht zu werden. In Gedanken hatte sie schon ein wenig an einem neuen Gedicht gearbeitet, das mit den Worten ‚wohl oder übelkeiterregend'' begann.
Das beunruhigende Gewicht der Rätselbox schlug ihr mit jedem Schritt gegen die Wirbelsäule und obwohl der rationale Teil ihres Gehirns wusste, dass es besser war, so wenig wie möglich über die Sache zu wissen, brannte der emotionale darauf, die Box zu öffnen. Einfach nur, um zu wissen, ob sie es konnte. Und vielleicht auch, weil Tendou sie mit seiner Geheimniskrämerei neugierig gemacht hatte.
Was hatte Iwasaki ihm gestohlen und warum hatte Tendou nicht die Schulleitung, sondern eine mittelklassige Diebin eingeschaltet, um es zurückzubekommen?
Und wieso war es ihm so wichtig gewesen, dass Iwasaki nicht wusste, dass Tendou zurückgestohlen hatte, was rechtmäßig ihm gehörte? Schließlich würde Tendou wohl kaum so blöd sein, es sich einfach wieder klauen zu lassen.
Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr brannte Kasasagi auf Antworten. Und wenn sie die haben wollte, musste sie die Rätselbox öffnen, bevor Tendou auftauchen würde. Er hatte bisher eindeutig klargemacht, dass er ihr nicht einfach erzählen würde, was sich darin befand. Und sobald er die Box an sich genommen hätte, würde sie keine Gelegenheit mehr dazu bekommen.
Sobald sie die Feuerleiter erklommen hatte, setzte sie sich im Schneidersitz in die Mitte des Flachdachs und begann, die Box zum ersten Mal genauer zu betrachten. Ihre Finger waren vom Aufstieg beinahe genauso kalt wie die metallene Kiste. Sie kletterte immer ohne Handschuhe. Der Gedanke, die Sprossen nicht richtig spüren zu können, während sie das einzige waren, das sie davon abhielt in die Tiefe zu stürzen, war einschüchternd.
So gut es im Mondlicht ging, musterte sie die Rätselbox. Bisher hatte sie keine Gelegenheit gehabt, sich die Box aufmerksam anzusehen. Sie hatte die Grundform eines Würfels, doch durch hervorstehende Zylinder, Plättchen und ins Metall eingelassene Vertiefungen wirkte sie eher unförmig.
Die meisten Knöpfe und Hebel schienen unbeweglich und diejenigen, die sich bewegen ließen, hatten keinen Effekt. Auf einer Seite gab es ein Schlüsselloch, das in einen hervorstehenden Quader eingelassen war, aber selbst mithilfe ihrer Taschenlampe konnte sie nicht hineinsehen. Sie hoffte, dass es nur zur Zierde war und keinen echten Zweck erfüllte – falls Tendou sie dazu bringen wollte, noch einmal in Iwasakis Zimmer einzubrechen und nach dem Schlüssel zu suchen, würde sie ihn vom Dach schubsen.
Allerdings würde sie dann letztendlich doch noch ihr Stipendium verlieren und wahrscheinlich den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen – ohne Tendou, was die ganze Sache wieder verlockend machte. Sie schüttelte den Kopf und vertiefte sich wieder darin, die Box zu begutachten.
Von außen war es zwar schwer zu beurteilen, aber sie konnte im Inneren nicht allzu viel Platz bieten. Was auch immer also darin war, musste kaum größer als ihre geballte Faust sein. Als sie probehalber mit den Knöcheln dagegenklopfte, klang sie nicht einmal hohl.
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Baki Baki [Tendou Satori, Haikyuu!]
Fanfiction»Wenn es etwas gab, das Kasasagi in ihren dunkelsten Nächten wachhielt, dann die Aussicht, sich vor jemand anderem als sich selbst für ihr Handeln verantworten zu müssen. Und jetzt gab es jemanden und er trug ausgerechnet die Schuluniform der Shirat...