Kapitel 4: Diebstahl

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Am Mittwoch trieb die Nervosität sie lange vor ihrem Wecker aus dem Bett. Es fühlte sich an, als hätte ein Schwarm Insekten sich unter ihrer Haut eingenistet und während ihre Mitbewohnerin wahrscheinlich tausendundeins glücksbringende Rituale durchgeführt hätte, ergriff Kasasagi die Flucht. Um Kamiya nicht zu wecken, zog sie sich leise an und ging dann nach draußen, in der Hoffnung, der Anblick der aufgehenden Sonne würde eine beruhigende Wirkung auf sie haben.

Sie dehnte Finger und Arme, während sie tief die kalte Morgenluft einatmete und genoss den vertrauten Widerstand, den ihre Muskeln gegen die Bewegung leisteten. Das Nachtgrau lichtete sich langsam, wurde zu Wellen aus Orange und Bergen aus Pink und für einen langen Moment vergaß Kasasagi, was vor ihr lag. Doch dann kehrte die seltsame Leere in ihren Magen zurück.

Bis zum Ende der vierten Stunde zog sie in Betracht, die ganze Sache abzublasen. Wenn sie Tendou erklärte, dass das Risiko einfach zu hoch war, würde er es vielleicht verstehen. Vielleicht war er sogar zu demselben Schluss gekommen.

Aber als die Klingel das Ende des zweiten Blocks verkündete, wurde sie plötzlich ganz ruhig. Wie von selbst trugen sie ihre Beine durch die Flure der Shiratorizawa, ihre Nervosität vollkommen vergessen. Ihre Eltern sagten immer, das Lampenfieber wäre für vor der Show und die Show hatte soeben begonnen.

Sie schaffte es, Ooishi zwischen den Klassenzimmern abzupassen und während er in ein Gespräch mit einem anderen Jungen vertieft war, ließ sie ihre Hand in seine Jackentasche gleiten und schloss die Finger fest um die Schlüssel, bevor sie sie zurückzog. Er würdigte sie keines Blickes, genau wie sie es erwartet hatte.

Trotzdem atmete sie erst hinter der nächsten Ecke auf, ließ die Schlüssel in ihrer eigenen Tasche verschwinden und warf einen Blick auf die Uhr.

11:15 Uhr. Der erste Schritt war gemacht. Sie konnte selbst kaum glauben, wie einfach es ihr gefallen war, einen Mitschüler zu bestehlen. Vielleicht war ihr moralischer Kompass noch kaputter als sie geglaubt hatte. Darüber würde sie sich allerdings später Gedanken machen müssen, nachdem das hier vorbei war.

Sie hatte es fast bis zum Ausgang des Schulgebäudes geschafft, als jemand ihren Namen rief. Obwohl es nur Kamiya war, erstarrte sie für einen Moment.

»Du hast doch jetzt frei, oder?«, fragte die Zweitklässlerin, als sie sich von ihrer Gruppe löste, um mit Kasasagi zu sprechen.

»Ja, wieso?« Sie gab sich Mühe, nicht gehetzt zu wirken, war sich allerdings nicht sicher, wie überzeugend sie war. Ihre Füße zuckten unruhig.

»Ich habe einen Aufsatz für den Nachmittagsunterricht liegen lassen. Du gibst doch mittwochs immer Nachhilfe und ich dachte, du könntest den Aufsatz vielleicht mitbringen, wenn du wieder herkommst.«

»Mach ich«, sagte Kasasagi und zwang sich zu lächeln. Sie hatte die Nachhilfe am Mittag völlig vergessen, aber darum würde sie sich später kümmern.

»Vielen Dank, du bist die Beste!«

Kamiya lächelte überschwänglich, bevor sie sich winkend zurück zu ihrer Gruppe gesellte.

Immerhin war das Gespräch kurz gewesen, dachte Kasasagi, als sie das Schulhaus verließ.

Sie brauchte einige Minuten bis zum Wohnheim, weil sie nicht rennen und unnötig Aufmerksamkeit erregen wollte, obwohl es sich anfühlte, als würden unsichtbare Hände sie immer schneller nach vorne ziehen.

Während sie die Treppen in den dritten Stock erklomm, band sie sich die Haare zurück und streifte sich Handschuhe über die klammen Finger. Obwohl ihr bisher niemand im Wohnheim begegnet war, rechnete sie damit, dass jederzeit jemand hinter der nächsten Ecke hervorspringen und sie zu Tode erschrecken würde.

Baki Baki [Tendou Satori, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt