Kapitel 25: Unwahrscheinlichkeit

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Es piepte. Es piepte schon seit Stunden, aber Kasasagi hatte bisher nicht gewagt, die Augen zu öffnen. Inzwischen hatte sie jedoch das Gefühl, den Raum auch mit geschlossenen Lidern sehen zu können. Weiße Wände, heller Linoleumboden und blinkende, medizinische Geräte zu beiden Seiten des faltbaren Krankenhausbettes, in dem sie lag. Es roch nach Antiseptika und Putzmittel. Zwischenzeitlich hatte sich der unverkennbare Geruch von Kantine und aufgewärmten Mikrowellengerichten daruntergemischt.

Wenn sie nicht gerade dem regelmäßigen Piepsen ihres Herzens lauschte, horchte sie auf die Stimmen im Flur. Die herrschende Geschäftigkeit lenkte sie von ihren eigenen Gedanken ab. Manchmal zählte sie die Schritte oder versuchte, die Anzahl der vorbeigehenden Leute abzuschätzen. Alles, um sich von Iwasaki abzulenken. Oder eher dem, was er mit ihr gemacht hatte.

Sie kehrte trotzdem immer wieder zu diesem einen Thema zurück. Wenn sie kurz davor war einzuschlafen, glaubte sie seine Stimme zu hören. »Fuchsmädchen«, sagte er und sie konnte seinen Atem an ihrem Ohr spüren, »ich bin noch nicht fertig mit dir.« Dann kniff sie die Lider fest zusammen und versuchte sich davon zu überzeugen, dass er lediglich eine Illusion war. Ein Geist. Ein Phantom, das ihr nichts mehr tun konnte.

Sie konnte trotzdem nichts gegen die tiefsitzende Angst tun, die sich jedes Mal in ihr ausbreitete, wenn die Tür geöffnet wurde. Es kam niemand ins Zimmer. Sie nahm an, dass einfach nur jemand vom Personal nach ihr sah. Ihrem rasenden Herzen war das jedoch völlig egal. Es musste längst verraten haben, dass sie inzwischen wach war. Dann, einige Sekunden später, fiel die Tür wieder ins Schloss.

Mehr als einmal erwischte sie sich dabei, wie sie glaubte, eine der vorbeigehenden Stimmen zu erkennen. Sie hörte Kamiya und Hattori, ihre Eltern, Ikumi und Tendou. Doch so sehr sie sich nach jemandem sehnte, der ihr sagte, alles werde gut, sollte sie keiner in diesem Zustand sehen. Auch mit geschlossenen Augen wusste sie, dass man ihr mindestens eine Infusion gelegt hatte, vermutlich um den Blutverlust auszugleichen. Eine Weile lang hatte sie das Tropfen gehört, aber inzwischen nahm sie es kaum mehr wahr. Selbst die geräuschvolle Messung ihres Blutdrucks hatte sich irgendwann in die Reihe von Hintergrundgeräuschen eingereiht.

Langsam aber stetig hatte sie mit der unversehrten Hand eine Bestandsaufnahme ihres Körpers gemacht. Füße und Unterschenkel konnte sie nicht erreichen, aber nachdem sie zaghaft mit den Zehen gewackelt und die Muskeln gestreckt hatte, war sie sich sicher, bis auf ein paar Schürfwunden und Blutergüsse unversehrt zu sein. Die übleren hatte man mit Cremes und Verbänden versehen, die unangenehm spannten, als sie versuchte die Beine zu heben. Ohne Hilfe würde sie nicht aus dem Bett kommen. Prompt war sie sich noch ein wenig armseliger vorgekommen. Falls Iwasaki tatsächlich kommen würde, um seine Arbeit zu beenden, würde sie sich nicht einmal wehren können.

Sie stellte sich vor, wie er in einer Zelle saß und die Wand anstarrte. Wenn es nach ihr ginge, könnte er die Wand den Rest seines Lebens anstarren.

Nachdem Kasasagi sich viel länger als nötig mit den Beinen aufgehalten hatte, konnte sie es nicht länger aufschieben. Ihr Oberkörper war nicht so glimpflich davongekommen, das wusste sie. Trotzdem zwang sie sich, mit ihren Hüften und Rippen fortzufahren. Sie waren an einigen Stellen druckempfindlich, aber neben dem Schmerzmittel, das man ihr verabreicht haben musste, war sie sich nicht sicher, ob es sich um Prellungen oder Brüche handelte.

Ihr Schlüsselbein war ebenfalls bandagiert, am Hals hatte man jedoch nur ein sehr langes Pflaster angebracht. Sie war froh darum, frei Atmen zu können. Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie noch immer spüren, wo Iwasakis Nägel in ihr Fleisch geschnitten hatten, als er sie gewürgt hatte. Zwei weitere Pflaster zierten Stirn und Kinn, doch als sie die Stellen vorsichtig abtastete, spürte sie keinen Schmerz.

Bisher waren alle diese Wunden heilbar gewesen. In ein paar Monaten wäre nichts mehr davon zu sehen. Fehlte nur noch ihr linker Arm und die versehrte Hand, an der Iwasaki die Schärfe seines Messers demonstriert hatte. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Ihr Mund war staubtrocken.

Baki Baki [Tendou Satori, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt