Kapitel 22: Feuer

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Frisch geduscht und in ein Handtuch gewickelt trat sie aus dem Bad und warf instinktiv einen Blick in Richtung Schreibtischstuhl. Er war leer. Sie war sich nicht sicher, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Vielleicht ein bisschen von beidem.

Stattdessen hockte Tendou auf ihrem Bett und ließ die Beine über das niedrige Geländer baumeln. Als er sie bemerkte, setzte er sich hastig auf und fuhr sich durch die zerzausten Haare.

»Du bist dran«, sagte sie und deutete auf die Badezimmertür.

Er sprang zu ihr hinunter und grinste keck. »Wenn du mich geweckt hättest, hätten wir zusammen duschen und Wasser sparen können.«

Sie seufzte in gespielter Enttäuschung: »Und danach hätte ich dich direkt in der Wanne ertränken können.«

Er zuckte mit den Schultern: »Immerhin erst danach. Ich wäre glücklich gestorben.«

Bevor sie etwas Schlaues erwidern konnte, hatte er sie wieder hochgehoben. Sie war sich nicht sicher, woher er so früh am Morgen die Kraft nahm, aber er hielt sie ohne sichtliche Anstrengung. Als er sie küssen wollte, kostete es sie all ihre Beherrschung, um sich zurückzulehnen und ihm auszuweichen.

»Die Dusche ruft nach dir«, erinnerte sie ihn und tätschelte seine Schulter. Sanft setzte er sie wieder ab, allerdings nicht ohne schmollend die Unterlippe vorzuschieben. Schließlich verdrehte sie unter seinem Hundeblick die Augen und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Wange. »Ich warte«, raunte sie dicht an seinem Ohr, bevor sie sich von ihm zurückzog und Abstand zwischen sie brachte.

Wenn sie nicht einen Moment gebraucht hätte, um ihre Gedanken zu ordnen, wäre sie seinem fiebrigen Blick schon viel eher erlegen. Die Dusche hatte ihr gutgetan, allerdings kein bisschen Erleuchtung gebracht. Ich mag dich. Das konnte ja alles Mögliche heißen. Als sie aufgewacht war – immer noch in Tendous Armen – hätte sie ihn beinahe geweckt, um ihn einfach zu fragen. Aber schon einen Wachmoment später hatte der Mut sie verlassen und sie hatte sich stattdessen unter die Dusche geflüchtet.

Während Tendou im Bad verschwand, trat Kasasagi ans Fenster. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber die Ränder des Horizonts färbten sich bereits orange. Einige einsame Wolken jagten über den Himmel. Nachdenklich sah sie ihnen nach, bis sie aus ihrem Blickfeld verschwanden. Könnte Tendou eine andere Freundin so küssen, wie er sie küsste? Oder sie so ansehen? Oder sie trösten und streicheln? Vielleicht, dachte sie.

Als sie ihm in der Nacht gestanden hatte, dass sie ihn ebenfalls mochte, hatte er ganz leise: »Ich weiß«, gesagt. Es hatte sie gleichermaßen gefreut und verstört. Wie konnte er sich ihrer Zuneigung so sicher sein, während sie das Gefühl hatte, völlig im Dunkeln zu stehen?

Bis Tendou zurück war, hatte sie es nicht mal geschafft, eine Hose anzuziehen. Stattdessen stand sie in einem alten, dunklen Pullover und Unterhose vor ihrem Schrank, während sie mit leerem Blick nach einer Leggins suchte.

»Worüber denkst du schon wieder nach?«, fragte Tendou, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. Als sie sich zu ihm umdrehte, verscheuchte sie die Gedanken so gut sie konnte. Seine Haare standen selbst in nassem Zustand in alle Richtungen ab und sie hätte zu gerne die Hände darin vergraben. Mit einer Hand hielt er locker das Handtuch zusammen, dass er sich um die Hüfte gewickelt hatte.

»Semantik«, sagte sie abgelenkt. Und als er sie daraufhin nur weiter fragend anschaute, räusperte sie sich. »Willst du dir nichts anziehen?« Dieses Mal hatte sie sogar daran gedacht, ihn an Wechselklamotten zu erinnern. Allerdings machte er keine Anstalten, sie zu benutzen.

Er legte sich die freie Hand auf die nackte Brust, genau über seinem Herz und lächelte herausfordernd: »Wieso? Hast du Angst, der Versuchung zu erlegen?«

Baki Baki [Tendou Satori, Haikyuu!]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt