Obwohl der rationale Teil ihres Hirns wusste, dass es die Tür zum Fundus sein musste, die von einem Windhauch zugeworfen worden war, schoss Adrenalin durch sie hindurch. Trotzdem rührte sie sich nicht. Stattdessen starrte sie im Dunkeln Tendou an, der zurückstarrte, als wäre sie ein Scheinwerfer und er das Reh. Sie waren beide das Reh.
Wie angewurzelt standen sie mitten im Gang und regten sich nicht, als würde die Zeit zum Stillstand kommen, wenn sie nur lange genug so taten, als hätte sie schon angehalten.
Ganz langsam atmete Kasasagi aus. Dann machte sie einen Schritt, zwei Schritte, bis sie bei Tendou war. So leise sie konnte hob sie den Arm und deutete auf den Gang, der in Richtung der Kunsträume führte. Falls noch jemand außer ihnen hier war, konnten sie nicht einfach mitten im Flur stehen bleiben. Man würde sie sofort sehen.
Als Tendou sich nicht rührte, schloss sie die Finger um sein Handgelenk. Sie konnte beinahe komplett drum herumgreifen. Für jemanden seiner Größe war es überraschend schmal. War es verrückt, dass sie trotz ihrer Lage an so etwas Unbedeutendes dachte? Gleichzeitig erdete sie der Gedanke allerdings – es war ein Detail von tausenden (er hatte warme Haut, weiche Haut, roch nach Pfefferminze und Herbst), an dem sich ihr Gehirn für einen Moment aufhängen und so tun konnte, als wäre alles normal.
Widerstandslos ließ sich Tendou von ihr in den dunklen Flur führen. Sie drückten sich nebeneinander gegen die Wand, den Blick starr in die Richtung gerichtet, aus der sie gekommen waren. Nichts als Schwärze, bis auf den sanften grünen Schimmer der Notausgangsbeleuchtung und den fahlen Lichtschein, der durch ein breites Fenster am Ende des Ganges hereinfiel. Außer dem lauten Schlagen ihres Herzens war es mucksmäuschenstill. Natürlich war es still, schalt sie sich in Gedanken, sie waren die einzigen hier. Aber das Knallen hatte einen Zweifel gesät und jetzt, wo er Wurzeln geschlagen hatte, kam sie mit keinem Mantra mehr dagegen an.
Eine gefühlte Ewigkeit standen sie da und lauschten auf Geräusche, die nicht kommen wollten. Kaum merklich verlangsamte sich ihr Herzschlag und das seltsame Gefühl in ihrer Magengegend klang ab wie ein schwächer werdendes Echo.
Erst dann wurde ihr bewusst, dass Tendous Ellenbogen sich unangenehm in ihren Oberarm bohrte und dass sie immer noch sein Handgelenk umklammerte. Langsam drehte sie den Kopf zu ihm.
»Wir müssen zurück«, hauchte sie beinahe tonlos. Um nachzusehen, ob es ihre Tür gewesen war, die sie ins Schloss fallen hatten hören und falls nicht, um zu verschwinden.
Wortlos löste er den Griff ihrer Finger und drückte zur Bestätigung ihre Hand, ehe er sie losließ.
»Zieh die Schuhe aus«, kommandierte sie. Jetzt, wo die Angst sie nicht mehr lähmte, übernahm der pragmatische Teil ihres Hirns. Auf Socken schlich es sich besser und Kasasagi war nicht bereit, in dieser Hinsicht noch irgendetwas dem Zufall zu überlassen.
Es dauerte einen Moment, bis sie so leise wie möglich aus ihren Schuhen gestiegen waren und sie jeweils mit einer Hand hochhoben. Zur Not würden sie damit vielleicht auch nach jemandem werfen können, wobei dann vermutlich auch noch Körperverletzung der Liste ihrer Delikte hinzugefügt werden würde. Sie versuchte nicht daran zu denken.
Zurück fühlte sich der Weg viel länger an. Es schien eine halbe Ewigkeit zu vergehen, bis sie vor der geschlossenen Tür des Fundus zum Stehen kamen. Sie entspannte sich ein wenig. Das war zwar nicht gut, weil das Fenster ihr einziger Weg nach draußen gewesen war, aber sie würden sicher einen anderen finden. Es bedeutete auch, dass sie allein im Haus waren. Wenn der Lärm außer ihnen beiden niemanden aufgeschreckt hatte, ließ das nur den Schluss zu, dass niemand hier war. Oder zumindest niemand, der hier sein durfte.
»Ich bin nicht gemacht für dieses Leben«, murmelte Tendou und griff sich an die Brust. »Ich hatte fast einen Herzinfarkt wegen einer Tür.«
Er lehnte sich gegen die Wand und ging ein Stück in die Knie, während er tief durchatmete.
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Baki Baki [Tendou Satori, Haikyuu!]
Fanfiction»Wenn es etwas gab, das Kasasagi in ihren dunkelsten Nächten wachhielt, dann die Aussicht, sich vor jemand anderem als sich selbst für ihr Handeln verantworten zu müssen. Und jetzt gab es jemanden und er trug ausgerechnet die Schuluniform der Shirat...