Kapitel 5

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Mittlerweile sitzen wir auf einer alten Holzbank. Erst nach einer Ewigkeit habe ich mich wieder so weit gefasst, dass ich einen Satz sagen kann, ohne sofort zu heulen. "Tut mir leid.", flüstere ich Nick zu. Er schüttelt den Kopf und sagt: "Das muss dir gar nicht leid tun. Ich kann dich voll und ganz verstehen." Ich habe zwar immernoch Tränen in den Augen, aber ich kann mich zusammenreißen. "Mir ist das Gleiche passiert.", sagt er so leise, dass ich ihn kaum verstehen kann.
Ich schaue ihn erschrocken an. Ich würde gerne etwas sagen, doch mein Mund ist wie ausgetrocknet. "Es war vor einem Jahr... Meine Eltern haben mir gesagt, dass ich bald an einen besonderen Ort gehen würde. Damit meinten sie dieses Camp. Auf dem Weg hierher, etwa ein oder zwei Kilometer, bevor wir ankamen, wurden wir angegriffen. Diese Scheusale waren in schwarzen Rauch gehüllt und trugen Kapuzen, die ihre Gesichter verdeckten. Meine Eltern starben, bei dem Versuch mich zu verteidigen, doch ich konnte fliehen und schon wenig später kam ich hier an."
Ich sehe, dass er Tränen in den Augen hat und wie er versucht sie zurückzuhalten. Mir kommen ebenfalls die Tränen, dieses Mal allerdings aus Mitgefühl.
"Seit diesem Tag sagt mir Gero jedesmal, wenn jemand von diesen Biestern verfolgt wird, Bescheid und ich versuche diejenigen Personen zu beschützen.", erzählt er mir mit einer kratzigen Stimme.
"Hast du auch versucht, mich zu retten?", will ich von ihm wissen.
"Ja. Ich war in London und habe deine Eltern unterstützt. Aber ich konnte sie nicht retten. Das tut mir leid. Ich hätte besser sein können. Ich war unkonzentriert. Weil... ich hatte Emilia getroffen. Sie...", weiter kann er nicht sprechen. Ich nehme seine Hand und drücke sie. "Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst.", sage ich.
Er holt noch einmal tief Luft und sagt dann: "Ich habe einer Kreatur die Kapuze vom Kopf gerissen und... es war sie. Verstehst du? Es war Emilia! Sie macht da mit! Sie tötet unschuldige Leute. Kinder. Ich konnte es nicht glauben und stand da wie eine Salzsäule. Sie sah mir in die Augen und kurz dachte ich, sie wäre auf unserer Seite und dann... hat sie mich angegriffen. "
Ich starre ihn ungläubig an. "Oh mein Gott!", flüstere ich entsetzt. "Ich hatte ihr vertraut und gedacht, dass sie uns, also mir, nichts antun würde. Schließlich waren wir einmal zusammen gewesen! Doch damals ist sie einfach fortgegangen. Sie sagte, dass sie sich bei diesen Kreaturen einschleusen wolle, um sie auszuspionieren. Ich hatte schon damals das Gefühl, dass so etwas passieren wird, weil diese Kreaturen Mächte haben, die wir uns gar nicht vorstellen können. Vielleicht wurden ihre Gedanken manipuliert...", Er macht eine Pause, "Wir hatten uns gestritten, weil ich versuchte sie davon abzuhalten. Und dann ist sie einfach gegangen..."
Wir sitzen kurz schweigend nebeneinander, dann sage ich: "Aber du kannst nichts dafür! Das war nicht deine Schuld, dass meine Eltern...", flüstere ich, kann den Satz aber nicht beenden, weil mir ein Kloß im Hals steckt. Wiede herrscht Stille.
Auf einmal blickt mir Nick tief in die Augen. "Danke. Für alles! Ich habe noch mit Keinem darüber gesprochen, was damals passiert ist. Und auch das mit... ihr weiß niemand. Ich würde dich bitten, es auch jetzt nicht zu verraten, okay?", fragt er mich. "Natürlich sage ich das niemandem!"

Wir sitzen noch stundenlang Arm in Arm da. Irgendwann sehen wir, dass die Sonne direkt über uns steht und wir stehen notgedrungen auf, denn wenn wir nicht bald zum Mittagessen gehen, werden sie uns suchen. Zwar würde ich lieber hier bei Nick bleiben, aber es nützt ja nichts.
Wir laufen den kleinen Weg entlang, der zurück zum Lager führt. Schon nach wenigen Metern nimmt Nick meine Hand. "Ich bin froh, dass du da bist!", rutscht es mir da heraus. Er sieht mich an und lächelt sein wunderbares Lächeln. "Ich bin ebenfalls froh, dass wir uns getroffen haben. Du hast mich dazu gebracht, meine Sorgen auszusprechen. Und das hat, verdammt nochmal, echt gut getan!" Bei diesem Worten beugt er sich zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Wange.

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