6. Dienstag (2)

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„Ha, so schnell hättest du auch nicht wiederkommen sollen."
Ich zucke mit den Schultern. „Wenn ich zurückgehe, werfen die mich hochkant raus, nicht nur im übertragenen Sinne." Er zieht die Brauen hoch und steht auf.
Hey, ich will, dass du fragst, was ich angestellt habe!
„Lass uns zu meinem Haus fahren, da haben wir Ruhe." Und er geht, ohne auf eine Antwort zu warten, los.
Warum wohnen die alle schon allein, oder zumindest nicht mehr bei ihren Eltern!? Das ist nicht fair. „Äh, warte mal, warum brauchen wir Ruhe, nur um uns zu unterhalten? Es interessiert doch kein Schwein, worüber wir reden."
„Ich möchte dir auch etwas zeigen. Glaub mir, dass sollte niemand anders sehen."
Was zum? Wovon redet der jetzt? Will ich das überhaupt wissen?
„Aber das hat schon noch was mit der Mystik zu tun, ja?" Thomas lacht, und ich bin erstaunt wie ansteckend es trotz seines dreckigen, ätzenden Klang ist.
Wohl oder übel dackle ich hinter ihm her.

„Hallo? Krieg ich heute noch eine Antwort?"

„Ja, der Bus fährt etwa zwanzig Minuten lang, dann müssen wir noch etwas laufen, und anschließend bekommst du Antworten." Der soll sich bloß nicht einbilden ich hätte es zwingend nötig mit jemandem zu sprechen.
„Ach, ich erinnere mich grade, ich muss noch die Wäsche aus der Maschine nehmen. Du weiß ja, sonst fängt sie an zu stinken. Also die Klamotten, nicht die Maschine." Thomas kippt genervt den Kopf ins Genick. „Krieg dich ein. Ich habe eine Möglichkeit gefunden, meine Mystik nach draußen zu ziehen. Aber das sollte ich nicht mitten auf der Straße vorführen, es sei denn, du willst das ich in einer Anstalt lande."
Ich schnaube. „Vielleicht hättest du ja dann endlich einen Platz gefunden, an dem du unter den Deinen bist? Davon abgesehen, warum sagst du das nicht gleich?"
„Ich konnte ja nicht wissen das du so paranoid bist."
„Was ist falsch daran nicht jedem dahergelaufenen Vollpfosten, der nebenbei aussieht und sich verhält wie ein Fall für die Klappse, zu vertrauen?" Er hebt die Hände.
„Okay, lass uns bitte später diskutieren. Ich möchte nicht, dass jeder hier denkt, wir wären ein, sich ununterbrochen fetzendes, Pärchen."
„Sehr gute Idee."
Ich schließe auf und sehe in den Himmel. Noch ist er unmittelbar über uns blau, aber von rechts nährt sich eine fette Wolkenfront, und wenn ich nicht ganz blöd bin, kommt der Wind ebenfalls von rechts.
„Wollen wir mal hoffen das der Regen uns erst in einer halben Stunde erreicht.", ich starre Thomas von der Seite an, „Und das dein Dach dicht ist." Er zuckt mit den Schultern.
„Keine Sorge, das Dach ist absolut wasserdicht. Ich würde mir an deiner Stelle mehr Gedanken um den See gleich nebenan machen." Hä?
„Läuft der Gefahr überzulaufen, oder was?" Er zieht die Brauen hoch als wäre ich selten dämlich.
„Nein, so ein See läuft eher selten Gefahr nach so ein bisschen regen ‚überzulaufen'. Ich hätte mehr daran gedacht, dich gegebenenfalls darin zu ertränken, erstrecht wenn du noch mehr Gedankenlosen, unnötigen Mist von dir gibst." Oha. So guten Kontra bekomme ich selten.
„Puhh, ich komme grade aus der Schule, wäre dir also sehr dankbar, wenn du die Belehrungen sein lassen könntest." Den anderen Teil ignoriere ich gekonnt.
„Ich will dir ja nicht zu nah treten, aber,", wow, ich hätte nicht damit gerechnet, dass das Gefecht noch weiter geht! „du warst grade mal zwei Minuten in der Schule. Da kann nicht besonders viel passiert sein, dass dein Gehirn jetzt schon überarbeitet ist. Es sei denn du bist wirklich sehr dumm, Entschuldige! Es sei denn, du hast einfach nicht sonderlich viel Ausdauer im Denken, was mir selbstverständlich sehr leid tun würde." Chapeau. Aber einen hab ich noch.
„Zunächst, es waren vier Minuten. Du kannst doch gar nicht wissen was passiert ist, weil du nicht gefragt hast. Vielleicht bin ich Genie und wir haben eine Klausur geschrieben, die ich innerhalb kürzester Zeit lösen konnte, allerdings beleidigte ich die Lehrerin danach so heftig, weil sie mir noch immer verbietet die Klasse zu überspringen, dass ich sie mich rausgeworfen haben? Und weil ich so ein Genie, und zusätzlich sehr nett, bin möchte ich dir noch einen Tipp geben.
Du brauchst dir nämlich gar keine großen Gedanken über das entsorgend der Leiche, meiner Leiche, zu machen. Du könntest dich auch einfach stellen. Solange du genug Beweise findest die dafür sprechen, dass ich geistig stark minderbemittelt bin, mich nicht mit besonderer Grausamkeit tötest und darauf verzichtest mir noch irgendetwas anderes anzutun was dafür spricht das du aus niederen Beweggründen gehandelt hast, wirst du nur wegen Totschlages angeklagt. Ach ja, und natürlich nur wenn es für dich okay ist für maximal fünfzehn Jahre ins Gefängnis zu kommen. Dort kriegt man ja Essen und ein Bett, und wenn du anständig bist, hast du sicherlich Gesellschaft und darfst zwischendurch mal nach draußen. Du darfst aber schon nach zehn Jahren einen Antrag stellen, um dann schon rauszukommen." Ich grinse siegessicher.
Thomas kneift skeptisch die Augen zusammen. „Du willst mir also sagen, dass geistig Minderbemittelte Menschen, gesetzlich gesehen, nicht ermordet, sondern nur totgeschlagen werden können und dass die Haftstrafe für Totschlag unglaublich gering ist?" Ich nicke.
„Auf der sicheren Seite stehst du auch, wenn du dein nur ein, oder eineinhalb Jahre altes Geschwisterkind umbringst. Oder irgendein anderes Kind, es muss eben nur noch so jung sein, dass es sich selbst noch nicht bewusst wahrnimmt. Denn solange es das nicht kann, kann es nicht arglos sein, das heißt du könntest es ganz unkompliziert, zum Beispiel, zu Tode schütteln. Das ist wirklich mal passiert! Der Arsch hat nur vier Jahre bekommen, dabei hat er sein eigenes, zwei Jahre altes Kind umgebracht, und zwar ziemlich sicher absichtlich. Wenn du dann auch keine der andren drei Kriterien erfüllst, die dich zum Mörder machen, diese wären: besondere Grausamkeit bei der Tat, die Tat erfolgte aus niederen Beweggründen, das am häufigsten vertretene Beispiel dafür ist Sexualtrieb, wenn der Mord begangen wurde, um ein andres Ziel zu erreichen, und eben wenn das Opfer arglos war, also sich nicht bewusst war was grade passiert, kannst du nur des Todschlages angeklagt werden." Thomas nickt langsam. „Woher weißt du das?" Ich sehe zu wie ein Auto mit mindestens siebzig, hier ist fünfzig, an uns vorbei rast. Gut, dass neben mir keine Pfütze war.
„Naja, man muss ja informiert sein!"
Er schnaubt belustigt.

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