7. Mittwoch (11)

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Lachend werfe ich mich an der Kante auf die Knie und beuge mich vor.
Ich bin so neugierig, was ist wohl da unten!? Und natürlich, der ursprüngliche Grund für meinen kleinen Schubser, wie schnell geht die Heilung denn genau vonstatten? Wie aufregend!

Leider bekomme ich vorerst nicht mehr Informationen als ein lautes von den kahlen Wänden widerhallendes Poltern, dicht gefolgt von einem gequälten Stöhnen.
Aber anhand der ausgesprochen kurzen Zeitspanne zwischen seinem Absturz und dem Aufprall kann ich immerhin feststellen, dass der Schacht nicht allzu tief ist.
„Kannst du schon wieder aufstehen?", frage ich gespannt.
Die Antwort ist ein verzweifeltes Röcheln.
Na gut.
Eins... zwei... drei...

„Und jetzt?", frohlocke ich erneut.
„Mhhpf."
„Was soll das denn heißen. Du musst schon richtig sprechen. Oder mach einfach das Licht an deinem Handy an. Ja, mach die Taschenlampe an, ich will sehen, wie es da unten aussieht!" Mein zunächst durch die Unzufriedenheit über seine nutzlose Antwort hervorgerufenes Stirnrunzeln wird innerhalb von Sekunden von einem vorfreudigen Grinsen abgelöst.
Es raschelt vielversprechend. Uuuund...?
„Leiste mir hier unten doch ein wenig Gesellschaft und beantworte dir die Frage selbst, du verfluchtes, wahnsinniges... Vieh!"
Och, sei doch jetzt nicht so, du hast doch schon gezeigt, dass du nicht dumm bist!
„Komm schon, wirklich jetzt? Was glaubst du denn, warum ich dich vorgeschickt habe? Ich will da nicht runter, ich muss ja auch nicht. Es wäre überflüssig. Ein unnötiges Risiko, verstehst du?"
„Du... du bist ein Roboter! Ein verdammter Android oder so was, weißt du überhaupt, was du da redest?!" Genervt verdrehe ich die Augen.
Jetzt hat er gleich eine Panikattacke. Das kann ich nicht gebrauchen, warum ist er nur so schwach? Ihm geht es doch gut!
„Mach deine verdammte Lampe an! Du kannst was erleben, wenn ich unten bin, reiß dich besser zusammen!"

Ein Licht leuchtet im nächsten Moment auf und erhellt die Deckenkante eines Ganges unter dem Boden, auf dem ich mich befinde.
„Na bitte, war das je..."
„Schhh! Ich höre etwas.", wütend presse ich die Lippen aufeinander, wie kann er es wagen, mir den Mund zu verbieten!
„Da schreit jemand um Hilfe. Ein Mann, denke ich."

Von einem Moment auf den anderen ist nichts mehr von der erfüllenden, kühlen Überheblichkeit übrig, die mich gerade noch umhüllte und mir erlaubte, mich einzig und allein auf meinen Willen zu konzentrieren.
Der Schutz, den mir dieser Egoismus verschaffte, ist ebenso dahin.
Ohne zu zögern oder gar eine Sekunde lang nachzudenken, drehe ich mich herum, lasse mich über die Kante gleiten und klammere mich, bevor ich falle, mit den Händen an zwei Gitterstummeln fest.
Ohne einen Blick über die Schulter zu werfen, lasse ich einfach los.

Ich falle zu lange, da stimmt etwas nicht! Mein Herz hämmert von jetzt auf gleich los und eisige Panik krallt sich an meinem Rücken fest.
Beim Aufprall schießt mir ein beißender Schmerz von der Ferse hoch ins Fußgelenk, doch ich wirble einfach schnell zu Matt herum.
Nichts hilft besser gegen so etwas als stumpfe Ignoranz.

Er hat den Lichtstrahl auf den Boden gerichtet und so kann ich nur Schemen des unteren Teiles seines Gesichts erkennen.
Ich habe keine Geduld, halte einfach den Atem an, statt zu warten, bis er sich von allein regelt und es endlich vollkommen leise ist.
Ist mein Herz noch zu laut? Lenkt mich dieses ätzende Pochen zu seh...
Ich reiße entsetzt die Augen auf, als ich plötzlich, am Rande meines Wahrnehmungsvermögens, einen heiseren Ruf höre. Das Wort an sich lässt sich nicht herausfiltern, doch es hat zwei Silben, dass erkenne ich sicher.
Ist es Jarry? Ich weiß, wie sein Schreien klingt!
Aber es ist so schwer zu sagen, ich habe keine Ahnung!
Spielt keine Rolle, solange die Möglichkeit existiert, muss ich etwas tun!

Kopflos renne ich in das Dunkel des Ganges.
Krame mit zitternden, schweißnassen Fingern mein Handy aus der Hosentasche und mache, noch immer rennend, die Taschenlampe an.
Mit jedem Schritt, den ich tiefer in den Gang hinein stolpere, jagt mein Herz schneller.
Die Sorgen und Ängste, Gedanken und Vorstellungen hinter mir drohen mich zu überrennen.
Drum renne ich schneller.
Ich muss den Rufenden erreichen, bevor die Angst sich in meinem Genick festbeißt und mich zum Anhalten zwingt. Mich lähmt, mir meinen Willen aussaugt, mit ihren dreckigen, gierigen Lippen.
Da, eine Abzweigung! Links oder rechts?
Ich bleibe stehen und versuche mich auf mein Gehör zu konzentrieren.

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