8. Donnerstag (6)

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Wie beim allerersten Aufeinandertreffen drehen sich alle Köpfe zunächst zu mir. Nur die Reaktionen danach sind völlig verschieden.
Franzel sieht schnell wieder zu Boden und macht sich klein, während Clara trotzig den Hals reckt und mich finster anstarrt. Matt nimmt seine Unterhaltung -falls man es bei einem derart abwesenden Gesprächspartner so nennen kann- mit Isa wieder auf, und Thomas sieht mich einfach nur weiter an.
Liu zerrupft mit unnötig viel Aggression sein Toast und stiert aus säuerlich zusammengekniffenen Augen auf einen Flecken in der Mitte ihres obligatorischen Kreises.
Tunas Kopf kommt irgendwo ganz links in mein Blickfeld.

Ein Lächeln erscheint unsicher und um sein Gleichgewicht kämpfend auf meinen ungeübten Lippen.
Meine allumfassende Verwirrung gibt ihm schnell den Rest.
Wo ist mein Hass? Mein Genervt sein?
Die Stimmung ist seltsam entspannt. Für unsere Verhältnisse zumindest.
Vielleicht sind wir alle noch zu müde? Vielleicht ist es Resignation?
Ich fühle mich jedenfalls noch immer beflügelt von Jarrys Worten, dem, das seine Nähe in mir auslöste und dem Wissen, was heute auf mich zukommen wird.
Dinge zu suchen, die an unsere drei „Decken" -wie Isa es nannte- angelehnt sind, klingt nicht allzu ätzend.

„Wo ist Jarik?"
Tunas Stimme klingt gepresst und auch ihr Gesicht schafft es nicht, neutral zu bleiben. Ist es Hoffnung oder Unsicherheit? Angst oder Glaube?
„Geht es ihm gut?" Oh, ungeduldig ist sie definitiv.
Ich hätte nicht gedacht, dass sie dazu fähig ist. Neugierde ist eine menschliche Eigenschaft, ich bin allerdings immer noch davon überzeugt sie sei aus Stein gemeißelt.
Andererseits... wenn Thomas ins Spiel kommt, gerät sie auch immer etwas ins Bröseln. Mh... ich werde schon noch dahinter kommen.
Ich sehe sie ein wenig von unten herauf an und lege den Kopf schief. Wie weit es wohl noch gehen kann?
Die Fassade zerbricht in tausend Teile und zum Vorschein kommen verzweifelt zusammen gezogene Brauen, flehende Augen und ein erwartungsvoll geöffneter Mund.
Wow, also alles auf einmal! Na, so ein bisschen Gentechnisches muss sie und Jarry schließlich verbinden, nicht wahr?

„Er meinte, er käme gleich rüber. Es geht ihm den Umständen entsprechend."
„Welche Umstände!? Viki, lass die Scheiße und rede einfach!"
Dahin ist sie, die entspannte Stimmung.
Ich knurre Matt hemmungslos an, wie ein Straßenköter, dem man erst ein Steak vor die Nase hält, um es dann mit einem fiesen Grinsen wieder weg zu ziehen. Bis gerade eben war ich noch gut drauf!
Der spontan hochgeschossene Vergleich macht mich noch wütender.
Es gibt keinen Grund, Tiere zu quälen! Bei Menschen sieht das meiner Ansicht nach anders aus, aber keine Tiere. Die tun niemals etwas Falsches, sie hätten es niemals verdient. Nein, keine Argumente von Nöten, einfach NEIN!
„Halte du besser deine törichte Schnauze! Da.", ich zeige auf die Ecke ganz hinten links, „Platz!"
Matts Nase kräuselt sich.
Da richten sich alle Blicke auf etwas hinter mir.

„Ich wünsche euch einen guten Morgen."
Tuna schließt ihre Augen, atmet tief durch und lässt sich in den Schneidersitz zurück fallen, aus dem sie sich bei meinem Eintreten zuvor wohl mit bemerkenswert hoher Geschwindigkeit erhoben haben muss. Ihre Beine waren die ganze Zeit gekreuzt, während sie stand. Oh wie süß, sie muss wirklich angespannt gewesen sein.
Währenddessen nähern sich mir Schritte von hinten.
Es macht klick in meinem Hirn. Ich erstarre. Ich habe es schon wieder versaut.
Nein, nein, nein! Wie ist das passiert, ich habe doch nur... ich... Scheiße! Ich war einfach ich, ich habe einfach reagiert!
„Sag mir, was hast du angestellt."
Meine warnenden, giftigen Blicke können das heftige Zucken, das Jarrys leise nur Millimeter neben meinem Ohr erklingende Worte auslösten nicht ungeschehen machen.

Die knappen, situationserfassenden Blicke von vorhin wandeln sich in ein Starren. Bösartig, reißerisch.
Ich verkrampfe meine Schultern und versuche nicht zu fauchen wie eine in die Enge getriebene Katze. Der zweite schlechte Tiervergleich. Ich mache mich auf immer mehr Ebenen lächerlich.
Aber wie kann er es wagen?! Was ist Jarry durch den Kopf gegangen, dass er meint es wäre eine gute Idee mich so bloß zu stellen?!
Das bisschen Reue, das ich noch immer empfinde, schließlich habe ich wirklich einen Fehler gemacht, hindert mich daran herumzuwirbeln und ihm die Frage an den Kopf zu knallen.
Antworten tue ich ihm allerdings auch nicht.

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