8. Donnerstag (4)

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(Tag)

„...ki. Wach auf. Viki! Das Frühstück ist fast fertig."
Ich atme langsam, tief ein und greife nach hinten, bis meine Hände das Kopfende des Bettgestells greifen können.
Dann stoße ich die Luft wieder aus und entspanne mich. „Mhhhhhh."
„Wir essen in Tunas Zimmer. Und vergiss nicht, Jarry mitzubringen.
Wann er wohl wieder hier aufgetaucht ist... egal. Er ist da, das..."
Schritte entfernen sich.
Ich schlage die Augen auf.

Goldene Lichtstreifen durchdringen die mottenzerfressenen Fenstervorhänge. Staubteilchen schweben gemächlich in ihrem Schein, wie glitzernde Partikel in einem Zaubertrank.
Ich fahre mit der Zunge über meine Zähne. Wann habe ich mich das letzte Mal gewaschen? Könnte mich gerade nicht weniger interessieren.
Ich fühle mich gut. Wirklich gut.
Ungewohnt leicht und... frei. Als hätte jemand über Nacht den Stein weggerollt, der die Öffnung meiner Höhle verschlossen und mich mein ganzes bisheriges Leben lang eingesperrt hat. Das klingt lächerlich.
Spielt auch keine Rolle. Es fühlt sich so an, das ist Fakt, mehr brauche ich nicht.
Ich lächle versonnen.

„Ich brauche dir gar keinen guten Morgen mehr zu wünschen, nicht wahr?" Ein klein wenig hat er mich erschreckt. Ich drehe mich auf die Seite.
„Nein, den habe ich schon." Meine Lippen erwidern sein Lächeln ganz allein.
Ich sollte etwas Ähnliches sagen.
„Hast du gut geschlafen?" Sein linker Mundwinkel zuckt ein Stück höher.
„Ich kann wohl nicht klagen."
Voll Übermut und Freude -verstärkt durch den Stolz, den die gelungene Konversation mir verschafft- legt mein Herz einen Schritt zu.
Ich schließe die Lider.
Sinke in den Genuss des Moments hinein.

Ein Rascheln und die veränderte Gewichtsverteilung neben mir zwingen mich kurze Zeit später jedoch dazu, meine Augen, von beinah nervtötender Neugierde gedrängt, wieder zu öffnen.
Jarry ist ein beachtliches Stück in meine Richtung gekommen.
Etwas überfordert ziehe ich meinen Kopf nach hinten, aus Angst zu schielen, wenn ich ihn ansehe.
„Möchtest du, dass ich dich jetzt noch einmal heile?" Für meine Verhältnisse klinge ich erschreckend unsicher. Das dies nur ein Symptom meines gerade abhandengekommenen Selbstbewusstseins ist, macht es nicht besser.
Ich kann mit der ganzen Situation nicht umgehen.
Mit meiner guten Laune. Mit dieser plötzlichen Freiheit.
Zu viele Möglichkeiten, Fragen und Bedürfnisse breiten sich wie eine unendliche Weltkarte vor meinem inneren Auge aus. Mich macht das unsicher. Ich bin es schließlich nicht gewohnt.
Immerhin habe ich eine Erklärung.

Seine Lippen teilen sich, bereit gleich zu antworten, als ihm wohl auffällt, dass ich nicht sagte, was er erwartet hat.
„Nein. Nein, ich denke nicht, dass das gerade eine gute Idee ist. Ich möchte etwas testen. Schließe bitte deine Augen." Unsicher kneife ich meine Lider etwas zusammen.
„Warum, was willst du testen?"
Jarrys Gesichtszüge schmelzen, bis mein Misstrauen selbst keine Existenzberechtigung mehr für sich findet. Der Argwohn perlt einfach an der weichen, makellosen Oberfläche ab.
„Bitte. Vertraue mir einfach." Wieder ist es diese Stimme. Ich vermag ihren Klang selbst nicht zu beschreiben, doch ihre Wirkung auf mich ist immer dieselbe. Sie umhüllt, füllt mich zugleich und mit ihr -wie selbstverständlich- das Gefühl, welches sie trägt.
Das kann doch nicht mehr normal sein. Ist sie für Andere genauso, wie für mich? Hat die Mysterie es absichtlich so eingerichtet, damit wir Jarry -dem Übermittler ihrer Nachrichten- gehorchen?
Ich seufze. Prinzipiell ist auch das völlig irrelevant.
Nicht fähig, es nicht zu tun, komme ich der Bitte nach.

Eine Zeit lang verändert sich gar nichts und ich beginne mich zu entspannen.
Was soll er schon machen? Selbst wenn er mir etwas tun wollen würde, käme ich wohl dagegen an.
Mit diesem Gedanken werde ich so sicher, dass ich nicht einmal zusammenzucke, als sich drei Kontakte federleicht auf meinen Arm legen.
Dann fällt ein Schatten auf meine geschlossen Lider. Stille. Nichts rührt sich.

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