6. Dienstag (6)

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Das     Abflachen der Gedankenschübe, als es endlich eintritt, ist  zunächst    nur  minimal, doch ich schließe sogleich vor Erleichterung  die Augen  und    lasse den angehaltenen Atmen langsam entweichen. Das  genügt mir,   jetzt   kann ich es wieder mit eisernem Griff umfangen.

Etwas   legt  sich   auf mein Knie. Sekunden später sickert die Kälte von  Jarrys  Hand  zu   meiner Haut hindurch und ich bekomme eine Gänsehaut.
Ich öffne Augen und Mund, um zu einer Erklärung anzusetzen, doch als ich den Ausdruck auf seinem Gesicht sehe, halte ich inne.
Darin      liegt eine so vollkommene Gewissheit darüber, was ich gerade eben    noch   empfunden habe, die Kämpfe die ich mit den kleinen, garstigen    Dämonen   geführt habe, keine Erklärung hätte mehr Klarheit bringen    können.

Kann   er meine Gedanken lesen? Mir wird übel. Mein Magen    droht sich   umzustülpen. Das ist meine größte Angst. Wenn jemand in    meinen Kopf   gucken könnte, würde ich mein Leben auf der Stelle    beenden. Oder das   dieser Person.
Ich bringe kein Wort heraus. Die    Anspannung steigert   sich ins Unermessliche, meine Kehle weitet sich,    um meinem Mageninhalt   Platz zu machen sobald ich die Zähne nicht  mehr   so fest   aufeinanderbeiße, das ich mich soeben noch nicht zum  Würgen   reize.

„Ich   kann deine Gedanken nicht sehen." Ich  keuche auf   und klappe in mich   zusammen. Reibe mir mit den Händen  über das Gesicht   und verharre gleich   in der gekrümmten Position,  abgeschirmt durch   meine schweißnassen   Finger, die ich mir auf die  Augen presse, dass ich   nur noch grelle   Explosionen sehe.
Jarry murmelt etwas.

Ich spähe zwischen meinen Finger hindurch. „Was?"
Sein      Blick fährt langsam über mein Gesicht und schließt sich dann   behutsam    um meinen. Es ist unmöglich noch etwas außer seiner   Gegenwart    wahrzunehmen.

„Ich sehe so viel mehr. So viel   tiefer, meine    Dämonin. Das kannst du dir nicht vorstellen, wenn du es   nicht selbst    erfahren hast.", er wispert die Wort so leise, doch  sie  erreichen mich    mit vernichtender Klarheit und Kraft.

Ich   erstarre vollkommen, mache    alles dicht. ‚Ich sehe dich.', hat diese Frau   in Avatar zu dem    Protagonisten gesagt. Er hat es nicht einen   Momentlang in negativem    Licht gesehen. Er war zu blöd, es zu   verstehen.

Ich renne, ich    fliehe, immer tiefer ich mich selbst   hinein. Das laute Rasseln und    Krachen der runterratternden und auf   den Boden niederschlagenden    Rolltore in meinem Inneren verfolgt  mich.  Sogar davor fliehe ich. Ich    kann die Hetzjagd auf mich selbst  nicht  beenden.
Kann mir keinen kleinen, dunklen Raum vorstellen, in dem ich sicher bin. Denn das, wovon die Gefahr ausgeht, bin ich selbst.
Ich und meine Vergangenheit.
Meine Entscheidungen. Meine Gefühle. Meine Gedanken. Meine Taten. Jeder Teil von mir, alles was mich ausmacht.

Nicht      Jarry. Nicht Jarry mit seinem urteilslosem Verständnis. Nicht das      Wissen darüber, dass er mich kennt. Ob er im Detail weiß, was ich  getan     habe ist egal.
Er kennt mich, mich als ich es tat.

Das     reicht  völlig, um die Soldaten meines Selbsthasses auf ewig gegen  meine    Mauern  anrennen zu lassen. Ich höre sie stampfend marschieren,  sie    schlagen  ihre Schwerter gegen die Schilde, Empathielosigkeit  hämmert    auf das  Gefühl von purer Überlegenheit, Stärke und Macht.  Ihre Hörner    klingen  wie Schreie. Schreie, deren Auslöser einzig und  allein ich war.
Sie greifen mich mit meinen eigenen Waffen an, dem das mich stark gemacht hat.
Ich führe einen grausamen Krieg mit dem, was ich anderen antat, gegen mich selbst.
Ich      reiße meine Narben auf, um mich selbst mit den Infekten zu   zersetzen,    die noch immer unter meiner Haut auf ihre Chance lauern.

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