Kapitel Zwanzig

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Ich saß bereits an unserem üblichen Tisch, als meine Freunde in den Speisesaal kamen. Dana ließ sich augenblicklich neben mich fallen. „Du kannst von Glück reden, dass du nicht mit Monopoly gespielt hast!", sagte sie und ich lachte leicht. „Nett", fügte ich hinzu und sie grinste kurz, ehe sie wieder ernst wurde.

„Nein, ehrlich. Nic schummelt was das Zeug hält..." „Gar nicht wahr!" Nic setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber und streckte Dana die Zunge raus. „Du kannst einfach nicht verlieren! Und wenn überhaupt, dann ist Julian der größte Schummler!" „Wollt ihr mich einweihen?", fragte ich und nippte an meinem Wasser. Abby seufzte und setzte sich neben Nic.

„Nic ist die Bank und ‚leiht' sich zwischendurch Geld. Und Julian baut Häuser und Hotels, kurz bevor wir seine Straßen drohen zu überqueren und sobald wir vorbei sind, reißt er sie wieder ab", erklärte sie und ich lachte. „Das ist nicht gegen die Regeln Abby", warf Julian ein und ließ sich rechts neben mir fallen. Abby verdrehte die Augen. 

„Ist es wohl. Steht sicher irgendwo", murmelte sie und Julian schüttelte den Kopf. „Lies dir die Regeln durch. Da steht nicht, dass ich die Häuser stehen lassen muss!" Dana sah mich vielsagend an. „Verstehst du jetzt, wieso ich gesagt habe, dass du froh sein kannst? So geht das seit einer halben Stunde", sagte sie und ich sah sie verständnisvoll an. Nic sah mich an und nahm sich etwas Wasser.

„Wo warst du eigentlich den ganzen Vormittag? Julian meinte, du wolltest in die Bibliothek, aber als ich dich vorhin fragen wollte, ob du nicht doch mitspielen willst, warst du nicht da", sagte er und sofort sahen mich meine Freunde an. „Da war ich dann wahrscheinlich bei Summer im Büro", antwortete ich vage. „Wegen deiner Mum?", fragte Julian mitfühlend. 

„Was genau wurde besprochen? Sie wirkte ziemlich aufgelöst, als sie dich gesehen hat", fügte er hinzu. „Nichts eigentlich... Das Übliche halt und... Nicht der Rede wert, ehrlich. Mir geht's gut und es ist alles geklärt, was geklärt werden musste", sagte ich und lächelte schnell. Julian runzelte die Stirn. 

„Was musste denn noch geklärt werden? Hat sie dir endlich gesagt, wieso sie dich dein Leben lang angelogen hat?" Ich seufzte und sah ihn an. „Ich will echt nicht darüber reden. Nicht jetzt, okay?" Eigentlich hatte er noch etwas sagen wollte, aber Nic unterbrach ihn. „Hast du dann Lust, noch bei Monopoly mit einzusteigen? Vielleicht hört Julian ja dann auf zu schummeln!" „Du schummelst doch die ganze Zeit, indem du dir Geld aus der Bank nimmst!" Und die Diskussion begann von vorne.

Tatsächlich ging ich nach dem Mittagessen mit meinen Freunden zusammen in den Aufenthaltsraum. Und während die vier ihr Spiel weiter spielten, sah ich zu und gab mehr oder weniger hilfreiche Tipps. Und ich hatte die Aufgabe der Bank übernommen, um Nic am Schummeln zu hindern. Wir hatten tatsächlich ziemlich viel Spaß und ich bewunderte es immer wieder, dass sich meine Freunde anzicken konnten, ohne sich wirklich zu streiten. 

Am Ende gewann Julian mit seiner zugegeben, schlauen und ziemlich unfairen Strategie haushoch und wurde es nicht müde, es den anderen unter die Nase zu reiben. Auch dann nicht, als Dana ihm so heftig in die Seite boxte, dass er kurz keine Luft bekam. „Gewinnen tut halt manchmal weh", sagte er danach nur und wehrte ihren nächsten Schlag rechtzeitig ab. Wir anderen lachten und ließen die zwei das unter sich klären.

„Wie lange bleibt deine Mum eigentlich?", fragte Abby und ich zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich reist sie heute schon ab. Ist mir auch egal", antwortete ihr gleichgültig. „Ich finde, du solltest dich mit ihr aussprechen. Sie ist immerhin deine Mutter", warf Dana ein und sah mich mitfühlend an. 

„Klar, sie hat Mist gebaut. Aber trotzdem ist sie deine Mum und sie wird schon ihre Gründe gehabt haben. Wahrscheinlich keine besonders Guten, aber... Sie liebt dich und sie ist halt..." „Können wir bitte über etwas anderes reden, als über meine verkorkste Beziehung mit Susan?", fragte ich genervt und sah meine Freunde an. 

„Geht das? Ich will nicht über sie reden oder darüber, was ihre Gründe waren. Ich will auch nicht über mich reden oder darüber, wieso, weshalb und warum ich ihr nicht verzeihen kann. Wäre das in Ordnung? Ich frage euch doch auch nicht über eure Familien und Familienprobleme aus. Ich will einfach nur mit euch Zeit verbringen, über irgendwelche dummen Dingen sprechen und Spaß haben. Ist das zu viel verlangt? Muss es sich immer um mich drehen?"

Ich hatte gar nicht bemerkt, wie ich aufgesprungen- und immer lauter geworden war. So laut, dass mich alle, die im Aufenthaltsraum waren, anstarrten. Doch das war mir gerade egal. Ich hatte es wirklich satt, dass sich neunzig Prozent all unserer Gespräche um mich drehten. Es gab noch so viele andere Themen, die wir besprechen konnten. Wieso hatten meine Freunde diesen scheiß Drang, über mich zu reden. Gerade heute, wo ich ihnen nichts sagen konnte, ohne auf die Gefahr hin zu laufen, bei einer Lüge ertappt zu werden.

„Wir wollen dir nur helfen", sagte Julian beschwichtigend. „Ihr helft mir aber nicht!", fauchte ich ihn an. „Im Gegenteil, ihr macht es viel schlimmer, weil ich so ständig über Dinge nachdenken muss, über die ich nicht nachdenken will! Und hör verdammt nochmal damit auf, ständig zu versuchen mich zu beruhigen!" Wütend schlug ich Julians Hand weg und er hob sofort entschuldigend die Hände. 

„Okay, keine Gespräche mehr über dich und deine Mum", sagte Abby und lächelte versöhnlich. „Wie wäre es, wenn wir ein bisschen raus gehen und Croquet spielen gehen?", schlug Nic vor. Er sah mich fragend an und langsam nickte ich. „Tut mir leid...", murmelte ich, als ich mich wieder komplett beruhigt habe. Meine Freunde standen auf. 

„Schon okay", lächelte Dana und boxte mir leicht gegen die Schulter. „Ich liebe es, wenn du so aufbrausend wirst", fügte sie hinzu und ich grinste leicht. „Na los", murmelte Julian und ging bereits vor. Ich sah ihm nach und hatte augenblicklich ein schlechtes Gewissen. „Er kommt darüber hinweg", sagte Dana ruhig. „Er ist es nicht gewöhnt in die Schranken gewiesen zu werden!" Sie lachte und ich folgte meinen Freunden.

Wir waren fast an der Eingangstür, als wir aufgehalten wurde. „Lynn, hast du kurz eine Minuten?", fragte Cedric und ich nickte. „Geht ihr schon vor? Ich bin sofort da", sagte ich und folgte Cedric in Richtung Speisesaal, der jetzt völlig leer war. Nur aus der Küche hörte man das übliche Geklapper von Geschirr, welches abgewaschen und weggestellt wurde. Cedric schloss die Tür zum Eingangsbereich und ich sah ihn abwartend an.

„Heute Abend, nach dem Essen wirst du Symptome haben", sagte er leise. Ich runzelte die Stirn. „Und das weißt du, weil...?" „Ich dir das gerade gesagt habe. Du wirst die Symptome vortäuschen, damit die anderen denken, dass du dich verwandelt hast. Anders können wir sonst nicht erklären, wieso du plötzlich das kannst, was andere Gestaltwandler können", erklärte Cedric und ich nickte. 

„Okay, da ist nur ein Problem", sagte ich und sah ihn an. „Wie soll ich glaubhaft versichern, dass ich Symptome habe, wenn Dana und Julian genau wissen, dass ich lüge? Beziehungsweise alle Vampire genau wissen, dass ich lüge?" Cedric nickte und zog etwas aus seiner Jackettasche. Ein kleines, gläsernes Fläschchen in dem eine durchsichtige Flüssigkeit drin war.

„Was ist das?", fragte ich zögernd. „Von Cassiopeia. Ein Mittel gegen Krämpfe jeglicher Art, welches nur bei übernatürlichen Wesen wirkt. Wenn du es allerdings einnimmst, obwohl es dir gut geht und dir nichts fehlt, dann verursacht es genau das. Krämpfe jeglicher Art", erklärte er und ich sah ihn fassungslos an. 

„Ich soll das trinken, damit ich Krämpfe bekomme, damit wir dann allen glaubhaft erklären können, ich hätte mich verwandelt?" Cedric nickte. „Die Krämpfe halten nur maximal zehn Minuten an. Wir schaffen dich in den Keller, dorthin wo sich alle Gestaltwandler das erste Mal verwandeln, ich helfe dir, damit du dich in irgendwas verwandeln kannst und schon wird niemand es als Lüge erkennen, wenn du sagst, dass du dich das erste Mal verwandelt hast!" 

Zögernd nahm ich das Fläschchen entgegen und ließ es in die Tasche meines Blazers gleiten. „Ist ansonsten alles in Ordnung?" Die Frage verwirrte mich und deshalb sah ich Cedric nur ausdruckslos an.

„Ich weiß, wir verlangen ziemlich viel von dir. Du kannst deinen Freunden nichts erzählen, obwohl du wahrscheinlich genau das machen möchtest", sprach Cedric weiter. „Du hast heute ziemlich viel durchgemacht und das tut mir ehrlich leid!" Ich seufzte. „Mir geht's... keine Ahnung. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich mich gerade fühle oder fühlen sollte. Ich bin einfach... müde", sagte ich seufzend und Cedric nickte verständnisvoll. 

„Wir können später noch darüber reden. Jetzt solltest du zu deinen Freunden gehen, bevor sie noch einen Suchtrupp losschicken", sagte er und lächelte. Ich schnaubte belustigt. „Bis dann", sagte ich und verließ den Speisesaal.

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