Der Vollmond schien rund und hell in mein Zimmer und ich sah traurig nach draußen in Richtung Wald. Hin und wieder glaubte ich etwas zu sehen, was sich zwischen den Bäumen bewegte, aber immer, wenn ich genauer hinsah, war die Bewegung fort. Ich hatte mein Fenster leicht geöffnet und hört das Rascheln der Blätter und einmal hatte ich sogar das Heulen eines Wolfes gehört.
Ganz kurz war ich versucht gewesen aus dem Fenster zu klettern und zu Abby rüber zu gehen. Ich hatte ein wirklich schlechtes Gewissen und wollte mich einfach nur bei meiner besten Freundin entschuldigen. Doch die Angst, dass Summer oder irgendjemand anderes mich erwischte, hinderte mich an meinem Vorhaben, weshalb ich mich nur noch damit beglückte, aus dem Fenster zu sehen und die Tränen wegzublinzeln die sich ab und zu den Weg aus meinen Augen bannen wollten.
Ich hatte kein Recht dazu, hier zu sitzen und zu heulen. Ich war selbst schuld an meiner Situation. Und das Schlimmste an allem war, dass ich mittlerweile nicht einmal mehr selbst wusste, was der Auslöser gewesen war. Beziehungsweise, was mich in der Situation überhaupt so wütend gemacht hatte.
Ich war unfair Julian gegenüber gewesen. Ich hatte Dana angeschnauzt und zu guter Letzt hatte ich Abby beinahe angegriffen. Wenn Nic nicht dazwischen gegangen wäre... Ich schluckte, denn tief in meinem inneren wusste ich, dass ich es durchgezogen hätte. Ich hätte Abby nicht einfach umgeworfen und wäre dann – in meiner Wolfsgestalt – ganz locker fluffig aus dem Speisesaal spaziert und hätte mich später in aller Form bei ihr entschuldigt und meine Strafe abgeholt. Nein.
In dem Moment, wo ich Abbys erschrockenes Gesicht vor mir gesehen hatte, die weit aufgerissenen, haselnussbraunen Augen, in dem Moment hatte ich ein Bild in meinem Kopf. Ein Bild von einem Wolf, der in den Hals eines jungen Mädchen biss und sie in nur wenigen Sekunden tötete.
Und dieses Bild bekam ich einfach nicht aus dem Kopf, was der eigentliche Grund war, weshalb ich noch wach war. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, sah ich genau dieses Bild vor mir. Ist die eigentlich bewusst, dass du Abby hättest töten können?
Ich ging vom Fenster weg und rollte mich auf meinem Bett zusammen. Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und vergrub mein Gesicht im Kissen, während ich meine Decke fest umklammert hielt.
Ich verdiene es, rausgeworfen zu werden. Ich schluchzte laut und ließ es einfach zu. Vielleicht würde es mir besser gehen, wenn ich mich ordentlich ausheulte. Morgen wird die Welt ganz anders aussehen als jetzt.
Ich werde weiterhin unter Hausarrest stehen, unfähig mich bei Julian, Dana, Nic und vor allem bei Abby zu entschuldigen. Und wenn am Samstag entschieden wird, dass ich gehen muss, werde ich mich auch nicht entschuldigen können. Ich werde gehen, ohne dass ich meinen Freunden sagen kann, wie leid mir das alles tut.
Ich schluchzte und wollte einfach nur die Zeit zurück drehen, um das alles ungeschehen zu machen. Ich hätte nie das Gespräch zwischen Susan und den Lehrern belauschen dürfen. Ich hätte abwarten sollen, bis sie mich holen kommen und mir alles in Ruhe erklärten. Ich hätte...
Ich hätte mich viel früher mit Susan auseinander setzen müssen. Ihr viel früher zuhören und sie zur Rede stellen müssen! Abby hatte Recht. Seit Tag eins heulte ich rum, dass sie mich hier her gebracht hatte. Dass sie mich angelogen und mir Dinge verheimlich hatte. Aber anstatt das zu klären, ihr zuzuhören, als sie es mir erklären wollte, hatte ich sie ignoriert. Ich hatte die Gespräche abgeblockt, habe so getan, als wäre sie nicht existent. Nicht meine Adoptivmutter war das Problem gewesen: ich bin das Problem!
Ich atmete tief durch und spürte, wie mich eine Ruhe überkam. Langsam setzte ich mich in meinem Bett auf und der Kloß in meinem Hals verschwand.
Ich bin das Problem. Susan hat versucht mich zu beschützen, weil sie es meinen richtigen Eltern versprochen hat. Sie hat mich großgezogen, mich versorgt und war da, wann immer ich sie brauchte. Und ich habe ihr gedankt, indem ich mit falschen Freunden Party machen gegangen bin, gegen sie und die Liebe ihres Lebens rebelliert habe und so viele Regeln und Gesetze wie möglich gebrochen habe. Dabei hat sie mich all die Jahre beschützt und nur getan, um was sie meine leiblichen Eltern gebeten haben, damit ich in Sicherheit aufwachsen kann.
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Silverleaf Academy - Was nach der Wahrheit kommt... (2)
ParanormalBuch Zwei. „Nein Lynn... Denn du bist, genau wie wir, ein übernatürliches Wesen..." Diese Worte veränderten mein Leben schlagartig. Alles, was ich geglaubt hatte zu wissen und zu sein, war aus meinem Kopf verschwunden. Ich wusste nicht mehr, wer ic...