„Nicht Summers Büro?", fragte ich, als ich Cedric nach draußen folgte und wir in Richtung Pavillon gingen. „Da kommst du noch früh genug hin. Ich will dir Zeit geben, damit du dich beruhigen kannst", erklärte er und ich schnaubte. „Ich bin ruhig!" Cedric sah mich vielsagend an und ich verschränkte die Arme vor der Brust.
„Willst du mir sagen, um was genau es da gerade ging?" Ich antwortete nicht, sondern ließ mich auf eine der beiden Bänke fallen und wich seinem Blick aus. „Dieses Mal wirst du mit deinem Schweigen nicht davon kommen Lynn. Du hast gerade wirklich großen Mist gebaut. Noch größeren Mist, als letztens in der Bibliothek!" Ich schnaubte. „Ich hab Abby nicht einmal berührt", murmelte ich und wich noch immer Cedrics Blick aus.
„Zum Glück, wolltest du hoffentlich noch sagen", sagte er und ich spürte seinen prüfenden Blick auf mir ruhen. „Ist dir bewusst, dass du sie ernsthaft verletzen hättest können? Wenn Nic nicht direkt neben euch gestanden hätte, dann hättest du Abby sehr schwer verletzen, wenn nicht sogar töten können!" Ich schluckte.
„Lynn was ist los? Es war bis vor kurzem noch alles in Ordnung und im nächsten Moment gehst du deiner besten Freundin beinahe an die Gurgel!" Ich zuckte mit den Schultern, denn ich wusste selbst nicht, was in mich gefahren war. Ich war genervt gewesen und dann wütend. Und was Abby dann über meine Mutter gesagt hatte...
„Die ganze Situation ist scheiße", murmelte ich. „Ich muss meine Freunde anlügen, ihnen Dinge verheimlichen und soll gleichzeitig so tun, als sei alles in Ordnung. Aber nichts ist in Ordnung. Egal wie oft ich darüber rede oder in Ruhe darüber nachdenke, es wird nicht besser oder klarer für mich. Mein ganzes Leben ist eine Lüge. Eine große, dicke Lüge. Und immer, wenn ich denke, dass ich jetzt die ganze Wahrheit kenne, dass ich jetzt endlich Ruhe finden kann, dann kommt von irgendwoher jemand und deckt weitere Lügen auf, die man mir mein ganzes Leben lang erzählt hat. Und alles was ich meinen Freunden sagen kann ist, dass ich nicht darüber reden will. Dabei will ich ihnen so gerne sagen, was gerade los ist. Aber ich darf es nicht!"
Cedric sah mich verständnisvoll an und setzte sich neben mich. „Das was du jetzt gerade durchmachen musst, dass sollte niemand durchmachen müssen. Aber es ist nur zu deinem Schutz. Ich weiß, dass du deinen Freunden wirklich gerne alles erzählen möchtest und irgendwann wirst du das auch tun können. Aber im Moment ist es das Beste und Sicherste für alle, wenn sie so wenig wie möglich wissen", sagte er und ich sah ihn an.
„Und wie lange muss ich dieses Versteckspiel noch spielen? Tut mir leid, aber... ich bezweifle, dass die Regierung in den nächsten paar Tagen plötzlich entscheidet, dass Grenzgänger legal sind und eine eigenständige Art", sagte ich und Cedric seufzte.
„Wahrscheinlich nicht... Dazu wissen wir zu wenig über sie. Und das, was wir wissen reicht aus, um sie als gefährlich einzustufen. Eine Art, die alles kann was die einzelnen Arten können, ohne die jeweilige Schwäche...", sagte er und einen Moment herrschte Stille.
„Und wenn sich genügend Grenzgänger bei der Regierung melden und sich verifizieren lassen? Bei den Gestaltwandlern war es doch damals auch möglich, dass sie als eigenständige Art akzeptiert wurden", überlegte ich. Cedric wiegte den Kopf hin und her und ich wartete auf seine Antwort.
„Es wäre möglich, sie als eigenständige Art zu verifizieren. Heutzutage ist es sogar einfacher, als damals. Nur werden Grenzgänger seit Jahrhunderten verfolgt, gefangen und getötet. Und damit die Regierung genügend Informationen über sie sammeln kann, also ihre Stärken, ihre Schwächen, das allgemeine Verhalten... Es müssten sich mindestens fünfzig Grenzgänger melden und sich bereit erklären, diese Test mitzumachen", sagte er und ich nickte.
„Und dann gibt es da noch einen Haken. Die Vampire machen den größten Anteil der übernatürlichen Bevölkerung aus. Sie sehen sich selbst als die stärkste Art an und im Prinzip haben sie auch den stärksten Sitz in der Regierung, was ihnen damals ermöglicht hat, dass ihre Schwäche keine wirkliche Schwäche ist. Sie brauchen Blut, um zu überleben, können aber auch mehrere Tage ohne auskommen. Dadurch werden sie nur gefährlicher, was keine wirkliche Schwäche darstellt", fügte er hinzu.
„Also selbst wenn sich genügend Grenzgänger bereiterklären würden, könnte die Vampirfraktion ihr Veto einlegen und zack: mindestens fünfzig Grenzgänger weniger auf der Welt", sagte ich bitter.
Wieder herrschte Schweigen und gerade als mir ein wirklich wichtiger Gedanke kam, stand Cedric auf. „Du musste jetzt zu Summer", sagte er und ich folgte seinem Blick. James stand auf der Wiese und sah in unsere Richtung. Ich seufzte.
„Sei ehrlich, wie groß wird der Ärger sein?", fragte ich und sah ihn an. „Nun ja, es ist Vollmond und Summer war wirklich sauer. Du hast eine Mitschülerin angegriffen und dich außerdem deiner Direktorin widersetzt, wenn auch nur für wenige Sekunden", sagte er und ich schluckte. „Kann ich auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren?" Er grinste und wir gingen gemeinsam zurück zur Schule.
Summer war noch nicht in ihrem Büro, als ich dort ankam. Zögernd setzte ich mich und wartete einfach, bis sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich in den Raum kam und die Tür lautstark hinter sich schloss. Meine Direktorin setzte sich hinter ihren Schreibtisch und sah mich an. Ihre Augen glitzerten noch leicht gelblich, was mir nur noch deutlicher machte, dass sie sauer war. Ich wollte schon etwas sagen, aber sie unterbrach mich sofort.
„Ich will keine Erklärung oder Ausrede. Ich will auch nicht hören, dass es dir leid tut und es nicht noch einmal vorkommen wird. Ich weiß, dass du gerade eine Menge durchmachst und du es gerade wirklich nicht leicht hast. Aber das ist kein Grund, um gegen die Schulordnung zu verstoßen. Und dann auch noch auf diese Weise! Ist dir eigentlich bewusst, dass du Abby hättest töten können? Oder zumindest sehr stark verletzen hättest können? So schnell, wie euere kleine Auseinandersetzung eskaliert ist, können wir von Glück reden, dass Nic genau neben euch stand. Und auch ihn hättest du ernsthaft verletzen können! Nun stell dir doch bitte einmal vor was gewesen wäre, wenn nicht gerade Ferien wären. Was denkst du, sollen wir den ganzen menschlichen Schülern sagen, wenn sie hier gewesen wären?" Sie sah mich an und mit jedem Wort war sie lauter geworden und ich auf meinem Stuhl immer kleiner.
„Dieses Mal hast du den Bogen zu weit gespannt, Lynn!" Ich schluckte und nickte leicht. „Ich...", fing ich an, aber Summer unterbrach mich sofort wieder. „Bei deinen ganzen Regelverstößen, die du dir bis jetzt geleistet hast, lässt du mir leider keine andere Wahl. Nächste Woche Samstag werden wir darüber entscheiden, ob du hier weiter zur Schule gehen darfst!" Ich sah sie entgeistert an, unfähig etwas zu sagen.
„Aber..." „Solange stelle ich dich unter Hausarrest. Du darfst nicht zum Training gehen und morgen auch nicht bei der Wild Night mitmachen. Das Essen wird dir auf dein Zimmer gebracht und du bekommst bestimmte Zeiten, in denen du auf die Toilette gehen und duschen kannst! Wenn du gegen deinen Hausarrest verstößt, dein Zimmer ohne Erlaubnis oder triftigen Grund verlässt und mit jemand anderen, als mit einem Lehrer redest, dann wirst du sofort abreisen. Haben wir uns verstanden?"
Summer sah mich kalt an und ich nickte. „Ich möchte die Antwort hören!" Ich schluckte. „Ja, ich habe verstanden", sagte ich und wich ihrem kalten Blick aus. „Will wird dich jetzt zu deinem Zimmer begleiten. Auf deinem Schreibtisch wirst du einen Plan vorfinden, auf dem du deine Toiletten- und Duschzeiten nachlesen kannst. Zu dieser Zeit wird immer jemand darauf achten, dass du mit niemanden redest!"
Ich nickte und stand auf, als ich hinter mir die Tür hörte. Will nickte Summer kurz zu und ich ging an ihm vorbei und wartete, bis er die Tür wieder schloss und mich nach oben begleitete.
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Silverleaf Academy - Was nach der Wahrheit kommt... (2)
ParanormalBuch Zwei. „Nein Lynn... Denn du bist, genau wie wir, ein übernatürliches Wesen..." Diese Worte veränderten mein Leben schlagartig. Alles, was ich geglaubt hatte zu wissen und zu sein, war aus meinem Kopf verschwunden. Ich wusste nicht mehr, wer ic...