Die restlichen zwei Tage vergingen quälend langsam, was vielleicht daran lag, dass sich alle auf die bevorstehenden Ferien freuten. Als ich dann am Freitag nach Selbstverteidigung in den Aufenthaltsraum ging, wo meine Freunde bereits saßen, war ich zwar ziemlich fertig, aber gleichzeitig freute ich mich tierisch.
Zwei Wochen ohne Unterricht lagen jetzt vor uns. Zwei Wochen, in denen zwar die lästigen Essenszeiten blieben, allerdings versicherten meine Freunde mir, dass ein Zuspätkommen nicht ganz so dramatisch war.
„Hey Lynn", sagte Julian und rutschte auf dem Sofa ein Stück zur Seite, sodass ich mich zwischen ihm und Nic quetschen konnte. „Wie war deine letzte Stunde Selbstverteidigung?", fragte Nic grinsend. Ich zuckte mit den Schultern. „Anstrengend. Ich glaube ich habe morgen seit langem mal wieder Muskelkater", sagte ich und Nic kicherte.
„Den wirst du auch nicht so schnell los. Ich habe das Trainingsprogramm von meinem Dad gefunden. Ich glaube er hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns zu quälen", sagte er und ich seufzte. „So schlimm?" „Für mich nicht. Aber für dich mit deiner menschlichen Ausdauer und deiner Abneigung gegen Sport..." Ich boxte Nic gegen die Schulter und er lachte.
Gestern hatte Nic wirklich gefehlt. Fast den gesamten Tag war er mit seinem Dad verschwunden gewesen, um Sara bei der Verwandlung zu unterstützen. Erst zum Abendessen war er wieder aufgetaucht und sah zwar ziemlich müde aus, aber durch ihn wurde es am Tisch auch wieder gleich viel lebhafter und lauter.
Generell war beim Abendessen die Stimmung im Speisesaal wieder normal gewesen, was vielleicht daran lag, dass Sara ebenfalls im Speisesaal aufgetaucht war und sich zu ihren Freundinnen gesetzt hatte, die sie fröhlich begrüßt hatten.
„Sie war ein Reh. Man ist die im Raum herumgesprungen sag ich euch. Wirklich süß!", hatte Nic erzählt und dabei so viel Cottage Pie in sich reingeschaufelt, dass ich mich wirklich anfing zu fragen, wo er das alles hin aß.
Dana und Julian hatten tatsächlich Ärger von James bekommen, dass sie ein Gespräch belauscht hatten. Allerdings bestand die Strafe der beiden darin, dass sie am Sonntag im Garten helfen mussten. Lediglich einen Sonntag. Damit hatten sie wirklich Glück gehabt, auch wenn uns brennend interessierte, weshalb James und Summer so schlecht drauf waren. Denn das Summer wirklich keine gute Laune hatte, hatte sie bewiesen, als sie einen unangekündigten Test schrieb und nicht wie sonst im Unterricht jemanden ermutigte, sich zu beteiligen.
Nur eine gute Sache hatten die letzten 24 Stunden mir gebracht. Dana hatte Wort gehalten und seit gestern Abend konnte ich tatsächlich meine Gedanken verbergen, was wirklich ziemlich einfach war, wie ich fand. Alles was ich tun musste war, mich zu konzentrieren.
„Du musst dir deine Gedanken wie ein Haus vorstellen, zu dem du die Tür unbedingt verschlossen haben willst. Es erfordert ein bisschen Konzentration, aber es wird einfacher. Irgendwann kannst du ohne große Konzentration die Gedanken verbergen!", hatte Dana erklärt. Und tatsächlich klappte es nach einer halben Stunde schon so gut, dass ich meine Gedanken ohne großes Aufbringen von Konzentration verbergen konnte.
„Also was machen wir noch bis zum Abendessen?", fragte Abby und sah in die Runde. „Leider regnet es, also müssen wir hier drinnen irgendwas machen", antwortete Dana und seufzte. „Damien, was sagt deine Wetterkenntnis? Hört es zufällig gleich auf zu regnen?"
„Leider nein", antwortete Damien und seufzte. „Und ich würde gerne noch irgendwas mit euch machen, aber ich muss noch packen. Morgen früh holt mich mein Taxi ab", sagte er und stand vom Sessel auf.
„Ach ja... Na dann, sehen wir uns beim Abendessen", sagte Nic und lächelte. Damien verließ den Aufenthaltsraum im selben Moment, wo James hereinkam und sich suchend umblickte. Als er uns auf dem Sofa sah, kam er zu uns.
„Lynn, Summer will dich kurz sprechen", sagte er und ich runzelte die Stirn. „Okay...", sagte ich und stand auf. „Was hast du denn jetzt wieder angestellt?", grinste Nic und ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung..."
Ich folgte James in Richtung Summers Büro und fragte mich, was ich gemacht haben könnte. Den Test in Englisch hatte ich gründlich verhauen, weil ich die letzten Kapitel von Stolz und Vorurteil nicht gelesen hatte. Aber den Test hatten wir heute wiederbekommen und Summer hatte mich bereits vor Beginn des Unterrichts gefragt, woran es gelegen hatte. Also darum konnte es nicht gehen.
James klopfte an Summers Bürotür an und ging dann hinein. Ich folgte ihm und sah Summer fragend an. „Um was geht's?", fragte ich, um gleich zum Punkt zu kommen. Summer lächelte und damit war ich mir sicher, dass ich keinen Ärger bekommen würde. Hätte mir klar sein müssen, als James mich „Lynn" genannt hat. Er nennt mich nie Lynn. Also, irgendwas muss passiert sein. Oh Gott...
„Ist meiner Mutter irgendwas passiert?", fragte ich und konnte nichts gegen die Panik in meiner Stimme tun. Hatte sie einen Unfall gehabt? Lag sie im Krankenhaus? War sie tot?" Summer sah mich überrascht an. „Was? Nein! Oh Gott, nein, deiner Mutter geht es gut", sagte sie schnell und lächelte entschuldigend.
„Entschuldige, haben wir dir das Gefühl gegeben, es sei etwas passiert?" Ich zuckte mit den Schultern. „Na ja... Ich bin sonst immer Miss Parker..." Irrte ich mich und lächelte James da gerade belustigt? „Deiner Mutter geht es gut. Du kannst sie gerne gleich anrufen und sie selbst fragen", sagte Summer und lächelte.
„Nein, ich vertraue dir da", antwortete ich und entspannte mich wieder. „Also, um was geht es dann?" „Um deinen Stundenplan. Wir denken, dass es an der Zeit ist, dass du nach den Ferien zum Artenspezifischen Unterricht gehst", erklärte Summer und ich runzelte die Stirn. „Artenspezifischer Unterricht ist der Unterricht, in dem du lernst, wie du deine Fähigkeiten nutzen kannst", erklärte James ruhig.
„Okay... Aber erstens, in welchen Unterricht soll ich genau gehen und zweitens, ich habe bis auf meine Aura, noch nichts weiter geändert. Ich habe mich in noch nichts verwandelt", sagte ich zögernd und sah Summer an. „Nächste Woche Freitag ist Vollmond. Bis jetzt zeigst du noch keine Anzeichen, dass du dich verwandeln wirst, aber wir rechnen fast täglich damit", sagte Summer und ich nickte leicht.
„Also soll ich zu den Werwölfen?" Summer schüttelte den Kopf. „Nur, wenn du dich am Freitag verwandelst. Ansonsten stecken wir dich vorerst bei den Gestaltwandlern in den Kurs. Cedric hat bereits einen Trainingsplan für dich aufgestellt. Du wurdest leider 16 Jahre in Unkenntnis gelassen und musst sehr viel nachholen und sehr viel lernen. Ich empfehle dir deshalb, die Ferien auch dazu zu nutzen, in der Bibliothek so viel wie möglich zu recherchieren. Mary hat zwar gesagt, dass du bereits mehrmals dort warst, aber man kann nie genug lesen", sagte Summer.
Ich nickte wieder. „Okay... Klar", sagte ich und Summer lächelte. „Möchtest du wirklich nicht deine Mutter anrufen? Sie hat bereits mehrmals nach dir gefragt?" Ich schüttelte den Kopf.
„Ich will noch nicht mit ihr reden. Aber richte ihr aus, dass es mir gut geht. Kann ich dann gehen?" Summer nickte und ich stand auf. James öffnete mir die Tür und ich lief an ihm vorbei. Meine Freunde warteten immer noch im Aufenthaltsraum.
„Und? Was hast du angestellt?" „Nichts. Summer hat mich über meine Stundenplanänderung informiert", antwortete ich und ließ mich wieder zwischen Nic und Julian fallen. „Jetzt schon? Ich dachte, dass kommt erst nach der Verwandlung", sagte Julian überrascht. Ich zuckte mit den Schultern.
„Mehr oder weniger. Sollte ich mich Freitag als Werwolf outen, lande ich bei den Werwölfen. Wenn nicht, dann bei den Gestaltwandlern", erklärte ich. „Also ich hoffe, du kommst zu uns. Das wird dann lustig!", grinste Nic und legte den Arm um mich. „Du willst doch nur ein neues Opfer haben", sagte Abby und verdrehte die Augen. Nic grinste.
„Gar nicht... Na ja vielleicht ja..." „Also ich wette mit euch, dass es ehr Lynn ist, die Nic zum Opfer macht. Sie ist nämlich ungeheuer talentiert", sagte Dana. Ich verdrehte die Augen. „Ungeheuer talentiert darin mir Ärger einzuhandeln vielleicht..."
„Du hast dich gebessert! James nennt dich mittlerweile Lynn", sagte Abby, die ungewöhnlich still geworden ist. „Also, was machen wir jetzt noch? Nur rumsitzen und quatschen ist ziemlich langweilig", fügte sie dann hinzu und stand auf. „Schlag was vor", sagte Nic. „Irgendein Brettspiel vielleicht?" Abby ging zum Spieleschrank. „Dann irgendein Brettspiel..."
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Silverleaf Academy - Was nach der Wahrheit kommt... (2)
ParanormalBuch Zwei. „Nein Lynn... Denn du bist, genau wie wir, ein übernatürliches Wesen..." Diese Worte veränderten mein Leben schlagartig. Alles, was ich geglaubt hatte zu wissen und zu sein, war aus meinem Kopf verschwunden. Ich wusste nicht mehr, wer ic...