Kapitel 22

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Man sollte ganz genau darauf achten, was man sich wünscht, denn es könnte tatsächlich in Erfüllung gehen.
Genau das musste ich mir jetzt eingestehen.
Ich wollte so sehr ein anderes Leben, in dem man mich einfach verstand.
Stattdessen habe ich noch mehr Sorgen, als vorher.
Und an all dem bin ich vermutlich nicht ganz unschuldig.
Dass erst was ich tat, war zu Matthew zu laufen.
Ich ließ alles stehen und liegen, rannte an Page, Schülern und Lehrern vorbei.
Hauptsache zu jemanden, der mir helfen würde.
Ich wusste nicht mehr genau, wie ich zu den Maxwells gelang, aber alles passierte schnell und wie in Trance.
Nein.
Ich würde niemals zulassen, dass sie jetzt auch noch Deaton behalten würden.
Als ich durch die große Eingangstür lief, fiel ich Matthew direkt in die Arme.
,,Heather! Warum bist du nicht in de..."
Er beendete seinen Satz, als er mich ansah.
,,Na nu? Hast du einen Geist gesehen?"
,,Ja, den Geist der Realität"
Mir wich jegliche Gesichtsfarbe aus dem Gesicht.
,,Okay, ganz ruhig. Komm, setz dich hin"
Matthew griff mir an den Oberarm und brachte mich in das Zimmer, indem ich schon mal war, als ich das erste Mal, bei Jaiden zu Besuch war.
Es war noch alles wie zuvor, außer dass die Rosen nicht mehr da waren.
Matthew brachte mich auf das Sofa und setzte sich neben mich.
Ich erzählte ihm alles.
Während des erzählens kam Joseph und brachte uns ein Glas Wasser.
Als ich fertig, mit erzählen war, schwieg ich eine Weile, bis ich die Tränen nicht mehr zurück halten konnte.
,,Wie macht ihr das ständig? Ihr seid alle so stark und lasst euch nie eure Angst anmerken"
,,Du bist sehr stark, Heather!"
Ich lächelte.
,,Nein. Nein, ich bin gar nicht stark. Ich bin verängstigt.
Sehr verängstigt"
Er sah mir in die Augen.
Seine Augen strahlten eine solche Wärme aus, dass es mir schlagartig besser ging.
,,Ich denke im Moment ist nichts gerade sehr einfach, kleines.
Aber du darfst nicht vergessen, dass es sowieso so gekommen wäre.
Und du bist im Moment verängstigt.
Aber ich kann dir eins sagen.
Angst liegt nie in den Dingen selbst, sondern darin, wie man sie betrachtet.
Die eigene Angst ist kein gefährlicher Gegner, der bekämpft werden muss.
Sie ist ein Teil von uns und deshalb auch durch uns kontrollierbar"
Ich schniefte meine Tränen weg und war einfach dankbar, dass er mir zugehört hatte.
Dass was mein Vater niemals tut würde.
,,Am besten du ruhst dich etwas aus"
Ich nickte und somit verließ Matthew das Zimmer, um kurz darauf, wiederzukommen um mir eine Decke zu bringen und ein paar Kissen.
Also schlief ich.
Lange.
Traumlos.
Ich wurde dadurch wach, dass mir jemand eine Haarsträhne hinters Ohr strich.
Langsam öffnete ich meine Augen und sah direkt in die wunderschönen Augen von Jaiden.
,,Gut geschlafen?"
Ich nickte leicht und griff nach seiner Hand, die er mit meinen Fingern verschränkte.
,,Wie lange sitzt du hier schon?"
fragte ich.
,,Lange genug, um dir dabei zuzusehen, wie süß du schläfst"
Jaiden beugte sich zu mir runter und gab mir einen Kuss auf den Mund.
Ich erwiderte diesen, indem ich mich aufrichtete und mich zu ihm beugte.
Er nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mir tief in die Augen.
Ich griff in seine Haare und zog ihn zu mir ran, so dass wir auf das Sofa fielen und er auf mir lag.
Erneut küsste er mich.
Ganz zärtlich.
Noch nie hatte ich so ein atemberaubendes Gefühl erlebt, wie jetzt.
Noch nie hatte mich jemand so sehr begehrt.
Jaidens rechte Hand wanderte runter zu meiner Taille, wo sie liegen blieb.
Er sah mir in die Augen und wanderte mit der Hand noch ein Stückchen weiter runter.
Als er an der Stelle, wo noch immer ein Pflaster, von dem Kampf mit La Rocca war, ankam, hielt er inne und ließ langsam von mir ab.
Enttäuscht sah ich ihn an und fragte "Warum hörst du auf?"
,,Es wäre dein erstes Mal.
Ich will, dass es etwas besonderes ist und du hinterher nichts bereust.
Und jetzt, wo du total aufgelöst bist, denke ich nicht, dass es der richtige Zeitpunkt wäre"
,,Aber es wäre perfekt"
Er sah mich an und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
,,Komm, wir gehen ein Stückchen spazieren"
Jaiden zog mich an den Armen, nach oben und führte mich nach draußen.
Wir liefen eine Weile schweigend nebeneinander her.
Er führte mich durch den riesigen Garten, über die Wiese und anschließend über einen Kiesweg.
Man merkte, dass der Frühling kam.
Denn überall fingen an, die ersten Blumen ihre Knospen zu bilden und verteilten einen fröhlichen süßen Duft.
Als wir erneut auf einer Blumeninsel ankamen, zog er mich an sich und gewährte mir den kompletten Blick auf dass, was vor mir lag.
Eine wunderschöne Wiese, die versteckt lag, inmitten von Rosengestrüpp.
An einem riesigen Baum hingen Lilien runter.
Unter dem Baum war eine Bank, auf der wir uns setzten.
Ich hatte den Kopf an Jaidens Schulter gelegt und lauschte dem zwitschern der kleinen Vögelchen.
,,Was ist eigentlich mit dir und deinen Eltern?"
fragte er ganz leise.
Ich wusste nicht wieso, aber ich wollte ihm das erzählen, doch ich wusste es selbst ja nicht so genau.
,,Ich weiß es auch nicht so genau.
Sie hatten schon immer viel zu tun, mit der Kanzlei und die Arbeit war ihnen schon immer wichtiger, als ich es jemals sein würde.
Angefangen hat es als ich 12 Jahre alt war. Was da genau passiert ist, dass sie sich so von mir abgewendet haben, dass weiß ich auch nicht.
Sie schickten mich dann aufs Internat und bis heute ist es so geblieben, wie du es erlebt hast"
Er zog mich sanft zu sich ran.
,,Ich wünsche niemandem etwas schlechtes, aber ich hoffe, dass deine Eltern sich mal selber begegnen. Die würden sich ganz schön erschrecken"
Ich schwieg daraufhin.
,,Ich würde dich niemals im Stich lassen. Niemals.
Du gehörst zu uns.
Zu mir"
Er drehte meinen Kopf so, dass ich ihn ansehen musste.
Mit dem Zeigefinger hob er mein Kinn an und zwang mich so, ihn noch mehr anzusehen.
,,Lass die Hoffnung siegen über die Angst"
flüsterte er.
,,Außerdem ist Hoffnung kostenlos"
witzelte er und legte den Arm um mich herum, so dass wir jetzt beide wieder auf die bunte Blumenwiese sahen, die vor uns lag.
Jaiden hatte recht.
Ich würde die Angst nicht die Kontrolle über mich geben.
Ich würde sie kontrollieren.
Wenn du nicht kontrollieren kannst, was geschieht, fordere dich selbst heraus, die Art und Weise zu kontrollieren, wie du auf das Geschehene reagierst.
Dort ist die Kraft.

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