Kapitel 29

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Es war doch ganz klar, dass ich eine von ihnen werden würde.
Eine Maxwell, die sich um das Wohl anderer Menschen sorgt.

Mir schwirrt der Kopf und meine Gedanken kreisten, wie in einem unendlich drehenden Kettenkarussell.
Der Boden schwankte.
Ich musste meinen Kopf frei kriegen.
Also rannte ich so schnell ich konnte, ins Waffenlager der Schule, um mir einen Bogen zu holen.
Das Bogenteam wird mit Sicherheit nichts dagegen haben, wenn ich mir einen Bogen ausleihe.
Im Rausch der Wut packte ich einen schwarzen Bogen und ein paar Pfeile, die daneben an der Wand thronten.

Entscheide dich!

Immer wieder dröhnte die Stimme meines Vaters in meinem Kopf.
Ich rannte.
Ich rannte in den Wald, der Schule, wo um diese frühe Zeit niemand sein sollte.

Sie werden dich in den Tot treiben!

Ich lief schneller.
Mein Atem ging Stoßweise.
Vor mir erstreckte sich eine ganze Galerie von größen Bäumen.
Demnach zögerte ich nicht lange und zielte auf einem der Bäume, aber meine Hände zitterten zu sehr, sodass ich überhaupt nicht irgendetwas treffen würde.
Und so war es auch.
Der Pfeil schoss mit einem zischen am Baum vorbei.
Ich stieß einen lauten Schrei aus und ließ mich auf die Knie fallen.

Meine eigenen Eltern stellen mich vor die Wahl.
Meine sogenannten Eltern.
Aber war mir wirklich so klar für was ich mich entschieden würde?

Hektisch sah ich mich um, griff nach dem Bogen und spannte erneut einen Pfeil in den Bogen, um ihn auf einem der Bäume zu richten.
Wieder flog er vorbei.
,,Drehe das Teil mal seitwärts auf marokkanische Art"
Perplex sah ich mich um und als ich sah von wem die Stimme kam, ließ ich die Waffe langsam sinken.
Deaton trat langsam aus den Bäumen hervor.
,,Versuche es mal"
Ich gehorchte und drehte den Bogen waagerecht und zielte direkt auf einem Baum vor mir.
Mit Erfolg.
Der Pfeil blieb mitten im Stamm stecken.
Deaton legte mir eine Hand auf die Schulter und schenkte mir ein tiefgründiges Lächeln.
Dann nahm er mir den Bogen aus der Hand, legte ihn auf dem Waldboden, setzte sich hin und wartete darauf, dass ich mich neben ihn setzen würde.
Also tat ich es und wir lehnten uns an den Bäumen hinter uns.
Gleichzeitig stießen wir ein Seufzen aus.
Die Sonne warf eine angenehme Wärme auf uns.
Die Vögel zwitscherten und die Bienen summten eine entspannte Melodie.
Er wartete darauf, dass ich reden würde.
Mir schlich ein grinsen auf das Gesicht, als ich merkte, dass er den ganzen Tag warten würde, bis ich anfing zu reden.
Er hatte wirklich die Geduld eines Professors.
Dennoch wollte ich das nicht ausnutzen und erzählte ihm, was soeben passiert war.
Er hörte mir Aufmerksamkeit zu und als ich fertig war, sah er mich aus seinen braunen Augen an, dann drehte er sich weg und wühlte in seiner Aktentasche herum.
Verwirrt verzog ich die Augenbrauen.
Dann drehte er sich wieder um.
,,Keks?"
fragte er mich und lächelte.
Nach und nach holte er Kekse und eine Kanne Tee aus der Tasche und breitete alles vor uns, auf dem Waldboden, aus.
Nachdem wir schweigend eine Tasse Tee getrunken hatten und die Kekse aufaßen, fing er an zu reden.

,,Wir können nicht immer das wählen, was uns glücklich macht.
Aber in diesem Fall liegt es bei dir, was du tun wirst.
Aber man sollte zuerst einmal wissen, was man will- bevor man sagt, was man nichg will.
Du musst dir ganz genau ins Gewissen reden, wer dir etwas bedeutet.
Aber lass dir etwas Zeit mit der Entscheidung.
Man sollte niemals eine Entscheidung treffen, wenn man traurig oder wütend ist.
Denn Emotionen sind wahre Entscheider.
Es könnte sein, das du die Entscheidung hinterher bereust.
Aber auch falsche Entscheidungen können zum Ziel führen"

Mir lief ein Schauer über den Rücken, als er sprach.
Er hatte immer recht.
Aber mir würde es nicht leichtfallen, eine Entscheidung zu treffen.
Plötzlich kam mir ein absurder Gedanke.
Was ist, wenn ich mich für niemanden entscheiden würde?
,,Nein, Heather"
sagte Deaton, als hätte er meine Gedanken gelesen.

,,Sich nicht zu entscheiden ist garantiert die falsche Entscheidung.
Wer keine Entscheidung trifft, den treffen Entscheidungen.
Aber wenn du meine persönliche Meinung hören willst.
Eine wahre Familie, die dich wirklich liebt, würde dich nicht vor vollendeten Tatsachen stellen"

Mir wurde bewusst, für wen ich mich entscheiden würde.
Für jemanden der mich akzeptiert und nichts von mir verlangt.
Die Maxwells.

,,Die Erde ist Rund.
Es ist deine Entscheidung, ob es für dich bergauf oder bergab geht.
Aber das allerwichtigste ist, dass du keine Entscheidung treffen solltest, bei der du nicht lachen kannst"

Deaton erhob sich nach einer Weile langsam und klopfte sich die Erde von der Hase.
Er reichte mir die Hand und zog mich auf die Beine.
Dann legte er mir den Arm um die Schulter und wir gingen zurück zur Schule.
Den ganzen Weg schwiegen wir.
Manchmal braucht man niemanden zum reden, sondern jemanden zum Schweigen.
Der herzliche Professor brachte mich bis zum Klassenraum, indem ich jetzt Musikunterricht hätte und drückte mir nochmal die Schulter, bevor auch er sich auf den Weg machte.
,,Danke!"
rief ich ihm noch hinterher, war mir aber nicht sicher, ob er es gehört hatte.
Als ich den Raum betrat, sah mich schon eine erwartungsvolle Page an.
Ich atmete tief durch die Nase und setzte mich zu ihr, um ihr eine kurze Version von dem zu geben, was sie verpasst hatte.
Sie sagte fast dasselbe, was auch Deaton zu mir sagte.
,,Und?
Was wirst du jetzt tun?"
,,Jetzt haben wir Unterricht"
murmelte ich mit einem Grinsen, als unsere Lehrerin den Musiksaal betrat.
Page gab mit einen Klaps auf den Oberschenkel und schenkte mir ein Lachen, bevor sie sich nach vorne drehte, um dem Unterricht zu folgen.
Und jetzt gerade wurde mir klar, was für einen hässlichen Charakter meine Eltern eigentlich hatten.
Es ist so wie Goethe einst sagte

,,Der Charakter ruht auf der Persönlichkeit, nicht auf den Talenten"

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