Kapitel 31

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,,Familie ist das, was bleibt, wenn alle anderen dich verlassen haben"
sagte Page und sah mich mit schiefgelegtem Kopf an, als würde sie versuchen mir tief in die Seele zu gucken.
,,Nur, dass meine echte Familie ganz andere Dinge im Sinn hat, als ein glückliches Familiendasein zu führen"
flüsterte ich und richtete meinen Blick wieder vorne zum Pult, an dem Professor Quizzle stand und eine Rede über Sternzeichen abhielt.
Das war sein Spezialgebiet.
,,Aber du hast die Maxwells und sie sind doch wie deine Familie geworden, Heather.
Du solltest dich nicht auf deine Eltern stützen.
Von denen wird nie etwas Sinnvolles kommen, was zu deinem Gunsten ist.
Vertraue einfach darauf, wo du dich am sichersten fühlst, wo dein..."
,,Mrs.Smith und Mrs.Greenborg.
Wenn sie etwas zum Unterricht beizutragen haben, dann weihen sie uns doch alle ein.
Ansonsten möchte ich nichts hören und ihre volle Aufmerksamkeit haben, verstanden?"
unterbrach der Professor, mit den Sommersprossen, Page.
,,Ja"
murmelten wir synchron.
Wir richteten unsere Blicke wieder nach vorne und lauschten dem Referat von Professor Quizzle.
,,In der Antiken zur Zeit der Benennung der Tierkreiszeichen, glaubte man aber noch, die Themen des Jahres in den jeweiligen Sternbildern erkennen zu können.
Deswegen haben 12 der 88 Sternenbilder die Namen von Tierkreiszeichen.
Bereits 2000 Jahren wurde dann von Hipparchos und Präzession entdeckt, wodurch klar wurde, dass die Sternenbilder als Anzeige der Jahreszeiten auf Dauer unbrauchbar sind"
Am Anfang war ich nicht sonderlich interessiert an dem Thema der Astrologie, aber am Ende hatte Professor Quizzle meine volle Aufmerksamkeit.
Als es klingelte, packten wie unsere Sachen zusammen, als der Astrologe noch einen Satz in den Raum warf.
,,Logik bringt doch von A nach B.
Deine Fantasie bringt dich überall hin"
Hatte er gerade wirklich Einstein zitiert?
,,Geht ihr in die Cafeteria?"
ertönte eine schnell atmende Stimme hinter uns.
Wir drehten uns um.
,,Nelio, Larson!
Warum seid ihr so aus der Puste?"
fragte ich leicht amüsiert.
,,Weil wir schnell in die Cafeteria wollen, bevor das gute Essen alles weg ist"
haspelte Nelio und lief wieder los, gefolgt von Larson, der Page noch ein lächeln zuwarf.
,,Komm, wir sollten uns auch beeilen, sonst sind die guten Sachen alle weg"
meinte Page und zog mich am Ärmel hinter sich her.
Meine Hosentasche vibrierte.
,,Warte!"
rief ich und fummelte mein Handy aus der Tasche.
<Eingehender Anruf von Jaiden>
stand auf dem Display.
,,Page, geh schon mal vor"
rief ich ihr hinterher und wedelte entschuldigend mit dem Handy in der Hand.
,,Ich lass dir was übrig"
sagte sie und folgte dem Schülerstrom, der auf den Weg in die Cafeteria war.
,,Heather!"
rief Jaiden direkt nachdem ich den Anruf entgegengenommen hatte.
,,Auch Hallo.
Bist du gar nicht im Unterricht?"
fragte ich verwirrt.
,,Doch, ich bin in der Sporthalle.
Hör zu, Heather.
Du musst jetzt genau zuhören, was ich dir sage.
Es ist wichtig.
Deine Eltern waren eben bei mir zuhause, weil sie dich suchen.
Avery konnte dich nicht erreichen, deshalb hat sie mir Bescheid gegeben.
Sie sind vermutlich auf dem Weg hierher"
ratterte er so schnell runter, dass ich Mühe hatte ihm zu folgen.
,,Und was soll ich jetzt tun?"
fragte ich nervös.
,,Komm zu mir in die Sporthalle.
Ich warte hier"
Ich legte auf und schnappte mir meine Tasche.
Bis zur Sporthalle bräuchte ich mindestens 10 Minuten.
Zu Page 3 Minuten.
Ich rannte in die Cafeteria und stieß direkt in den Schülerstrom hinein.
Larson winkte mir, vom Tisch aus, zu.
,,Page.
Wo ist Page?"
wollte ich wissen, als ich sie nicht finden konnte.
,,Sie ist dich suchen gegangen"
meinte Nelio mit vollem Mund.
Hektisch drehte ich mich um und rannte kurz darauf aus der Cafeteria, raus aus dem Schulhof.
Dann nahm ich den Waldweg, weil ich wusste, er würde mich schneller zur Sporthalle bringen.
So schnell mich meine Beine tragen konnten, sprang ich über Stock und Stein.
Als ich die Steintreppe erreichte, wusste ich, dass ich gleich da bin.
Ich konnte schon die Lichter des Sportplatzes sehen, als ich ein Auti entdeckte.
Ein schwarzer Van.
Meine Eltern.
Ich blieb erschrocken stehen und hörte Jaiden meinen Namen rufen, aber auch mein Vater hatte mich bereits im Visier.
Also machte ich eine halbe Drehung und rannte den Weg zurück, den ich gekommen war.
Mitten im Wald blieb ich stehen und suchte Schutz hinter einem gigantischen Baum.
Dort verharrte ich eine Weile und versuchte meinen Atem zu beruhigen.
Logik bringt dich von A nach B.
Deine Fantasie bringt dich überall hin.
Ich sah den Weg direkt vor mir, den ich gleich gehen würde.
Entschlossen erhob ich und wollte gerade das letzte Stückchen zum Internat gehen, als mich jemand zu sich heranzog.
,,Heather!"
rief meine Mutter, zwischen den Bäumen hindurch.
Mein Vater hatte mich mit einem starken Griff am Arm gepackt und zog mich mit sich.
,,Dad, du tust mir weh!"
jaulte ich, als er seinen Griff noch verstärkte.
,,Dann hättest du dir vorher überlegen sollen, wo deine Prioritäten liegen.
Du kommst mit nachhause und wirst dort unterrichtet.
Wir wollen in dem Gewissen leben, dass dich niemand von deinen Leistungen abhält, oder einen schlechten Einfluss auf dich hat"
Ich wusste, wenn ich jetzt in dieses Auto steige, dann ist es nicht mehr so wahrscheinlich, dass ich zurückkommen würde.
Also versuchte ich mich loszureißen, aber mein Vater drückte noch mehr zu, so dass mir die Luft wegblieb.
Natürlich könnte ich mich jetzt frei kämpfen, aber es war schließlich immer noch mein Vater.
Und den kann ich nicht einfach verletzen.
Aber eine innere Stimme in mir rief, kämpf dich frei!
,,Jaiden hat keinen schlechten Einfluss auf mich.
Im Gegenteil.
Ihr müsst mir doch wenigstens zuhören, wenn ihr mich einfach mitnehmt"
,,Du bist noch keine 18.
Also hast du gefälligst auf uns zu hören"
,,Ich werde keinen Schritt in diese beschissene Kanzlei setzen"
schrie ich jetzt.
Scheinbar hatte auch mein Vater den Höhepunkt erreicht, denn er holte mit der Hand aus, die daraufhin laut schallend mein Gesicht traf.
Dann zog er mich hinter sich her und schubste mich auf die Rückbank.
Laut knallend fiel die Autotür zu.
Ich rüttelte am Griff, der aber verriegelt war.
Als der Van losfuhr, konnte ich Jaiden sehen, wie er auf die Straße rannte und dem Van hinterher sah.
,,Liebling, wir wollen nur das Beste für dich"
wandte sich meine Mutter an mich.
Als sie mich ansah, sah mir eine wildfremde Frau in die Augen.
Sie hatte eine aufgeplatzte Lippe, ein blaues Auge und diese warwn Blutunterlaufen.
Ich sah aus dem Fenster, wo gerade das Internat an mir vorbeizog.
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und Tränen liefen mir übers Gesicht.
Wer anderen die Freiheit verweigert, verdient sie nicht für sich selbst.

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