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"Du willst mich quälen" keuchte ich, als Jasper mich vom Rand beobachtete.

Es fühlte sich an, als wäre ich einen Marathon gelaufen, dabei soll ich nur die Verbindung zu meinem Wolf aufbauen. Doch es war wie ein innerer Kampf. Mein Wolf wollte nicht an die Oberfläche. Wollte sich nicht vor Jasper zeigen. Und ich wusste nicht warum.
Schämte er sich? Doch warum?

Gleichzeitig fiel mir auf, ich wusste selbst nicht mal mehr genau wie mein Wolf aussah.

"Du darfst dich nicht so unter Druck setzen und nicht so viel drüber nachdenken" sprach Jasper, worauf ich am liebsten gelacht hätte.

Mich nicht unter Druck setzen? Was machte er denn dann mit mir?

Ich wollte mich mal wieder verwandeln können. Wieder den Waldboden unter meinen Pfoten spüren. Den Wind in meinem Fell. Allein schon die sehr Ferne Erinnerung daran sorgte für eine Gänsehaut auf meiner Haut.

"Irgendwas blockiert meinen Wolf, er will sich dir nicht zeigen" antwortete ich ihm, worauf er die Augenbrauen zusammen zog. "Ich lüge nicht" verteidigte ich mich, als er mich skeptisch ansah.

Jasper schwieg. Seine Blick wich in die Ferne, als würde er scharf über etwas nachdenken. Auch wirkte es so, als hätten meine Wörter ihn irgendwie verletzt.

Es fühlte sich an, als würden Stunden vergehen. Auch wenn es sich nur um Minuten handelte. Je länger ich ihn ansah, desto mehr spürte ich eine Art Kribbeln, welches ich nicht deuten konnte.

Langsam kam Jasper auf mich zu, während er mit seinen Händen durch seine Haare strich. Knapp einen Meter vor mir blieb er stehen.

Seine dunklen Augen hatten mich fest in Blick, doch ihr Ausdruck war anders als gedacht. Er schaute mich mitfühlend an. Sein Blick hatte irgendwas sanftes und gleichzeitig beruhigendes an sich.

Mal wieder fragte ich mich was gerade in seinem Kopf vorging, welche Gedankengänge er hatte.

"Du kannst mir vertrauen, Jules."

Die Art wie er meinen Namen aussprach ließ meine Knie schwach werden.

Das sollte nicht sein.

Es war nicht richtig.

Er unterschrieb sein Todesurteil.

Wieso interessierte es ihn nicht?

"Ich werde nicht zulassen, dass er dir was tun wird. Ich werde nicht zulassen, dass er eine weitere Narbe auf deiner Haut hinterlassen wird."

Ehe ich mich versah stand er direkt vor mir. Ich musste schlucken. Wann ist der Abstand zwischen uns so gering gewesen?

Ein Gefühl von Sicherheit durchzog meinen Körper.

"Du weißt nicht was ich alles für dich tun würde" seine Hand strich über meine Wange, während seine Augen mein Gesicht musterten.

Diese Nähe trieb mich in den Wahnsinn.

"Ich vertraue dir, Jules. Jetzt vertrau du mir."

Ohja, ich vertraute Jasper.

Ich war verloren in den grün seiner Augen. Erst als er wieder einen Schritt zurück ging verstand ich. Ich war dabei mich zu verwandeln.

Eine Welle von Schmerz durchfuhr meinen Körper. Ich spürte noch das aufschlagen meiner Knie auf den Boden. Ein letztes Mal sah ich zu Jasper hoch, doch vor mir stand nun ein wunderschöner hellgrauer Wolf. Das Brechen von Knochen erfüllte den Trainingsplatz und holte mich wieder zurück in meinen Körper.

Ehe ich mich versah sah ich auf meine Proten, auf mein Fell. Ein rötliches Braun. Ich spürte an meinem rechten Hinterbein einen kalten Luftzug. Anscheinend fehlte mir doch ein Stück Fell und übrig war eine große verheilte Narbe.

Auch kamen die Erinnerungen wieder hoch.  Er hatte mich auch in meiner Wolfsform verletzt.

Ein Schrauben lenkte meine Aufmerksamkeit auf den grauen Wolf vor mir. Er musterte mich neugierig. In seinen Augen erkannte ich sowas, wie Freude und Stolz.

Ich hatte es geschafft. Ich habe mich verwandelt. Dank Jasper. Ich weiß nicht wo ich ohne ihn oder auch Carter jetzt wäre.

Ich spürte, wie eine ungewohnte Kraft meinen Körper durchzog. Meine Sinne waren geschärft.

Mit einer Kopfbewegung deutete er mir auf den Wald hinter uns. Doch ich war schon los gerannt.

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"Hast du das gesehen?" Fragte ich aufgeregt Jasper. Mein Lächeln war so breit, dass meine Wangen schon längst weh taten. "Hast du mich gesehen? Wie lange habe ich mich nicht mehr so lebendig gefühlt?"

Es schien, als könnte mich nichts mehr stoppen. Mein Körper wurde von einer wohltuenden Hitze durchzogen. Ich war lebendig, ich bin gerade in meiner Wolfsform durch den Wald gelaufen. Jasper direkt hinter mir.

Es war ein unbeschreibliches Gefühl.

Ehe ich mich versah fiel ich schon Jasper um den Hals.

"Danke, ich kann es nicht oft genug sagen" murmelte ich gegen seine Haut.

Doch statt meine Umarmung zu erwidern räusperte sich Jasper und mied meinen Blickkontakt.

Erst jetzt fiel mir auf, dass Jasper mir ein Tshirt entgegen hielt. Denn ich war nackt.

Ich stand komplett nackt vor Jasper.

Kein Problem, gar kein Problem.

Wie konnte ich vergessen, dass man nach der Verwandlung nackt ist?

Ich weiß, dass Wölfe kein Problem mit Nacktheit haben. Jeder hat irgendwann mal sein Rudel nackt gesehen, aber jetzt gerade? Hier mit Jasper? Irgendwas war anders.

Schnell nahm ich das Tshirt aus Jaspers Hand und zog es mir über. Sofort umhüllte mich sein Geruch. Es war eins seiner Tshirts, er musste mehrere hier liegen haben.

Aus dem Augenwinkel konnte ich etwas röte in Jaspers Gesicht erkennen. Ich bezweifelte aber, dass die gegen meine ankam.

Gott, ich bin Jasper nackt um den Hals gefallen.

Wie konnte ich so aufdringlich sein?

"Danke auch dafür" murmelte ich verlegen und zeigte auf das Tshirt. "Und tut mir leid, wegen dem hier" fügte ich hinzu und zeigte zwischen uns.

Jasper lächelte schwach, ehe er mich musterte.

"Nichts wofür du dich entschuldigen musst."

Warte, was?

"Du solltest mal dein Gesicht sehen" lachte er, ehe er mir mit einem nicken deutete zurück zum Rudel zu gehen.

Unfähig irgendwas zu sagen lachte ich nur knapp. Hat Jasper gerade mit mir geflirtet?

Nein.

"Ich sollte wieder zurück in mein Zimmer gehen, ich muss duschen. Erst dachte ich der Geruch würde von dir ausgehen, aber-" bevor ich zu ende sprechen konnte fiel mir Jasper schon ins Wort.

"Wo denkst du gehst du jetzt hin?" Fragte er mir, worauf ich fragend die Augenbrauen zusammen zog. "Du hast dein Zimmer bei mir."

Erleichterung machte sich breit. Denn irgendwie beruhigte mich der Gedanke an Jasper ein Zimmer weiter. Auch wenn es die Albträume nicht fernhielt.

Run AwayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt