PoV Ardy
"Taddl, man, shit!", schrie ich, als ich die Treppe hinunterstürmte und auf ihn zulief. Warum war hier denn keiner? Sonst rennen hier doch immer Ärzte rum. Ich kniete mich neben ihn auf den Boden. Sein Herz schlug normal, aber sein Atem war extrem flach. Ich rief um Hilfe. Sofort sprang eine Tür auf und eine junge Dame kam aus einem Zimmer gerannt. Während sie den halb bewusstlosen Taddl aufsetzte, stellte sie mir einige Fragen, die ich alle wahrheitsgemäß beantwortete.
Langsam kam er wieder zu sich und atme einige Male tief ein und aus.PoV Taddl
Das erste, das ich wahrnahm, war eine Schwester, die mit der flachen Hand leicht gegen meine Backen schlug, um mein Bewusstsein zu testen. Ich starrte in die Leere. Ich war ganz da, aber meine Augen blieben an einem Punkt im Nichts hängen.
Ich überwand mich, Ardy anzusehen. Ich sah sehr schlecht, aber wusste nicht warum. Wahrscheinlich lag es noch an meiner Benommenheit. Es war schön, Ardys lachende grüne Augen zu sehen."Oh man, Bruder, jag' mir nicht nochmal so 'nen Schrecken ein!", flüsterte er, während er mit den Armen auf mein Bett gestützt in der Hocke saß. Ich grinste. "Was grinst denn du?", lachte er. "Ich find's süß wie du dir Sorgen machst."
Bah. Hatte ich gerade süß gesagt? Was ist denn los mit mir.Er lächelte verlegen, doch ich guckte nur schief. Die Krankenschwester empfohl mir, mich erst einmal auszuruhen. Ich stand auf und lief schweigend mit Ardy in den 4. Stock. Ohne ein Wort zu wechseln, liefen wir beide die Treppe hinauf, anstatt den Aufzug zu nehmen.
Ich hatte mich nachdem er vorhin abgehauen ist mit Doktor Ericht unterhalten. Ich wusste jetzt das Geheimnis um Ardys Eltern. Ich wusste auch, warum sie ihm nichts erzählten. Er hat das Recht, es zu erfahren, dachte ich mir, aber wie sollte ich es ihm sagen?
Gedankenverloren stand ich aufeinmal vor meinem Zimmer. "Gut dann...", wollte sich Ardy verabschieden.
"Warte-", unterbrach ich ihn, "darf ich noch kurz mit zu dir?"
"Ähm, ja klar. Wenn du möchtest", meinte er schulterzuckend.Wir setzten uns beide auf sein Bett und er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand.
Ich baumelte mit den Füßen, weil das Bett sehr hoch war. Das habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr tun können. Es war so schön, die Füße einfach hängen zu lassen."Ich hab' was rausgefunden", anders wusste ich nicht dieses Gespräch anzufangen.
"Wasn?", fragte er gelangweilt. Er schien wohl zu glauben, dass es sich um neues Essen oder so handelte. Oder eine Technik um Schluckauf loszuwerden. Aber nein, das war es nicht.
"Über deine Eltern meine ich", fuhr ich fort. Seine Augen vergrößerten sich schlagartig. "WAS? Was hast du herausgefunden? Was weißt du? Erzähl!"
Er sah mir gespannt bei jeder Bewegung und Geste zu, die ich machte."Also, wie soll ich anfangen..."
"Sag es grade raus", meinte er.
"Also... Du hattest mal Eltern. Also nein, sie sind nicht tot, um Gottes Willen, aber..."
Ach du Scheiße. Ich war richtig mies in solchen Sachen. Er starrte mich ungläubig an. "W-wie, ich hatte... mal Eltern?", stotterte er.
"Ok, von Anfang an", begann ich erneut.
"Du hast in Berlin gewohnt, oder bist da geboren, keine Ahnung. Beides wahrscheinlich."
"Ich b-bin Berliner?", unterbrach er mich.
"Muss nicht sein, kannst auch nur da gewohnt haben. Auf jeden Fall seid ihr, also du und deine Eltern, mit dem Auto von Zuhause, also Berlin, nach Köln gefahren. Und das war eine Woche bevor du hier aufgewacht bist."
Von ihm kam keine Reaktion mehr, also erzählte ich einfach weiter.
"Ja, da war geiles Wetter an dem Tag, und dein Dad ist auf der Autobahn ein bisschen gerast. Was dann passiert ist, weiß ich nicht so genau, irgendwie seid ihr mit einem LKW kollidiert. Deinen Eltern ging es soweit gut, aber weil der hintere Teil ihres Wagens fast zerdrückt wurde, warst du in großer Gefahr und hast nur noch geschrien. Du musstest sofort ins Krankenhaus. Äußerliche, offene Wunden hattest du komischerweise keine, aber irgendwas psychisches und dein Rücken war geschädigt. Den haben sie gleich wieder hinbekommen, aber musst halt noch zur Beobachtung dableiben. Dann sind deine Eltern nach Albanien ausgewandert. Also da kommt dein Dad her, ne?"
Ich machte eine kurze Atempause. Er nickte nur, während er ins Nichts starrte.
"Warum sind sie weg?", flüsterte er. Ihm stiegen Tränen in die Augen.
"Soweit ich weiß... haben sie gesagt, dass sie nur ein gesundes Kind wollen... und sind dann weg. Tut mir so leid. So unendlich".Er begann laut zu schluchzen und zwei Tränen liefen ihm über die Wangen und tropften auf seine Hose. Er stand sofort auf und wollte rausrennen, doch ich hielt ihm am Arm fest. Er versuchte sich loszureißen, aber ich drehte ihn zu mir, stand auf und umarmte ihn einfach. Er erwiderte die Umarmung sofort und drückte mich fest an sich. Ich spürte, wie seine Tränen meine Schulter nässten, aber das machte mir nichts aus. Er brauchte das gerade. Er brauchte jemanden, der ihn festhielt und ihn nicht gehen ließ wie alle anderen. Ich spürte seinen unregelmäßigen Atem auf meiner Schulter. Wir standen lange so da. Minuten, Stunden, Tage, Monate, Jahre.
Das alles war unglaublich kitschig, aber es war mir egal. Ich genoss den Moment. Die Situation war vielleicht nicht sehr schön, aber die Umarmung war es. Ich fühlte mich auf eigenartige Weise so verbunden zu ihm. Mein Bauch kribbelte, als wäre ich verliebt. Aber das war ich nicht, davon war ich überzeugt. Ich habe doch bis jetzt nur Mädchen geliebt.
PoV Ardy
Es war so schön, jemanden zu haben, an dessen Schulter ich mich ausweinen konnte. Es war viel besser, als mich wieder alleine in die Kirche zu verkriechen und dort zu heulen. Alleine in meinem schwarzen Loch zu versinken. Seine Arme um mich gaben mir so unglaublich viel Geborgenheit. Wie bei einem Bruder oder seinem Ehepartner. Ach komm Ardy, Ehepartner? Er ist'n Junge. Aber eigentlich war das gar nicht schlimm. Ich hatte noch nie über so etwas nachgedacht. Ich war noch nie wirklich verliebt. Ich hatte immer das richtige Mädchen gesucht, aber vielleichte suchte ich auch gar kein Mädchen?
Eintausend verschiedene Gedanken strömten durch meinen Kopf. Zum ersten Mal in meinem Leben zweifelte ich meine Sexualität an. Aber darum ging es doch jetzt gar nicht. Ich überlegte auch, wo ich denn jetzt wohnen sollte. Ich hatte keine feste Bleibe. Wo sollte ich nach meinem Krankenhausaufenthalt hin? Zum ersten Mal bekam ich richtig Panik. Ich hatte ja weder eine Bleibe, noch Geld oder ein paar Klamotten. Ich hatte Nichts.
Aber im Moment wollte ich mich nicht mit diesen Gedanken rumschlagen.
Ich wollte den Moment genießen.
Ich drückte Taddl noch fester an mich und schloss die Augen. Ich stellte mir meine vielen Gedanken wie rosa Punkte vor, die beim Einatmen in meine Lunge wanderten und sich beim Ausatmen aus meinem Körper hinaus im Raum verteilten. Weg von mir. Ich tat das einige Male. Ich fühlte mich viel besser. Ich versuchte, diese ganzen Sorgen auf wann anders zu verschieben und einen freien Kopf zu bekommen.Und es gelang mir.
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Holla, die Waldfee, 1175 Wörter :D
Das Kapitel hat irgendwie extrem Spaß gemacht zu schreiben.
Gefällt euch das, wenn sich während dem Kapitel die PoV ändert?