Kapitel 15

1.3K 76 8
                                    

PoV Ardy

Er gab mir unglaublich viel Halt. Ich legte meine ganze letzte Hoffnung in seine Arme.
Wir mussten nicht reden. Wir konnten auch einfach schweigen.
Nachdem wir minutenlang so dastanden, kamen mir plötzlich die Tränen. Taddls Pullover sog sie auf. Genau wie das Blut auf meiner Brust. Was würde ich ohne ihn tun.
Er trug mein Blut und meine Tränen mit sich.
Alles Schlechte nahm er von mir ab und ich fühlte mich wie ein Lasttier, dem endlich der tonnenschwere Ballast abgenommen wurde. Oder wie, als ob man sich nach tagelangem Rennen endlich setzen konnte.
Ich konnte wieder durchatmen, der Druck von meiner Lunge war verschwunden.
Es lag nichts depressives mehr in der Luft. Geteiltes Leid ist halbes Leid? Nein. Geteiltes Leid ist gar keins. Mit den richtigen Menschen an seiner Seite leidet man nicht.

Er nahm eine Hand hoch und legte sie mir in den Nacken.
"Erzähl mir, was passiert ist", flüsterte er im mein Ohr, während er mich noch fester an sich drückte.

FLASHBACK

Ich war verloren; verloren im Labyrinth meines ICHs. Ich sah keinen Sinn, etwas lief falsch. Man kann doch nicht auf die schiefe Bahn geraten, wenn man von seiner Richtung nie abweicht. Außer ein Windstoß kommt und bläst deine Segel in eine andere Richtung. Oft kann man dagegenrudern, manchmal ist es hoffnungslos.
Und es gibt Momente im Leben, da siehst du keine Chance mehr, die Segel zu wenden. Hoffnungslose Momente eben.

Ich lief und lief. Meine Hand am Geländer stützte mich, schneller in das höchste Stockwerk zu kommen.
Schneller, weiter, höher. Aus der Puste. Egal. Schneller. Noch höher. Noch eine Treppe. Keine Luft mehr. Egal. Weiter.

Ich rannte verwirrt von meinen eigenen Gedanken durch die Tür einer Lagerhalle und knallte sie hinter mir zu. Instinktiv fasste ich an das Schloss um abzusperren. Als ich die Tür berührte, knallte es. Ich erschrak. Taddl war mir gefolgt. Scheiße. Was sollte ich tun?

Ich setzte mich mit dem Rücken zur Tür auf den Boden und ordnete meine Gedanken. Ich war mir nicht einmal sicher, was genau ich hier vorhatte.
In jedem Gedankengang kam das Wort Selbstmord auf. Aber nicht als Idee oder Möglichkeit, sondern als freche, leise Stimme die sich in meinen Kopf schlich. Ich wollte an dieses Wort nicht denken. Aber es kam immer wieder. Umso weniger ich daran denken wollte, desto öfter kam es mir in den Sinn. Wollte ich das denn...

... wirklich?

Es schien eine simple Lösung zu sein. Das Leben wie ein Spiel zu sehen, bei dem ich verloren hatte. Keine Zuhause und keine Familie war ein eindeutiges Game Over, gar keine Frage.

Mein Handy unterbrach meine Gedanken und ich schob das Thema erst einmal beiseite. Ich hatte ja Zeit hier oben.
Es war eine Whatsapp Nachricht von meiner ehemaligen Lehrerin, sie wollte fragen wie es mir geht. Gut, log ich. Als ich die Nachricht abschickte, merkte ich erst, wie gelogen. Ich legte mein Handy beiseite. Ich hatte mein Handy auf Internetmodus. So konnte ich das Internet nutzen ohne angerufen zu werden. Ich hasste telefonieren. Nachricht von Taddl.
Ich öffnete sie, las sie und ging dann aus dem Chat. Er wollte eine andere Möglichkeit finden. Was sollte ich ihm sagen? Ich konnte nicht abhauen und dann einfach wieder rauskommen.

Es war ein Gefühl, als müsste ich mir jetzt auch etwas antun. Als hätte ich es vorher versprochen. Ich ging zum Fenster und öffnete es. An der ganzen Außenfassade befand sich ein Baustellengerüst. Es schien perfekt um einmal ein bisschen zu "turnen". Ich schrieb Taddl eine Nachricht, denn er hämmerte wie blöd gegen die Tür. Ich hatte mir noch nichts getan aber schrieb es ihm und wusste nicht einmal warum. Ich hatte gelogen.

Auf einmal setzte mein Bewusstsein aus. Ich war nicht ohnmächtig, aber hatte die Kontrolle verloren. Ohne nachzudenken stieg ich aus dem Fenster. Ich stand ungesichert auf der obersten Ebene des Gerüstes. Da mir eine Sicherheitsschranke die Sicht versperrte, kletterte ich über die Leiter eins nach unten.

Ich wollte weg von dieser Welt. Ich war ein Bewohner zu viel. Der eine, für den eben kein Platz mehr war. Also musste ich Platz schaffen. Ich hängte mich mit beiden Armen in ein Stahlrohr, einen halben Meter vom Gerüst weg, ein. Langsam verlagerte ich mein Gewicht nach vorne. Schließlich drückte ich mich leicht vom Brett ab und baumelte in der Luft. Meine Beine schwebten frei über dem absolut geilsten Ausblick. Oder dem Tod, wie man es nimmt.
Ich genoss diesen Moment der Freiheit.

Auf einen Schlag überfielen mich mehrere Gefühle auf einmal. Plötzlich hatte ich Angst davor zu Sterben. Ich hatte Angst vor dem Abgrund. Ich versuchte, mit dem Fuß wieder das Brett zu erreichen. Ich kam nicht hin. ICH KAM FUCKING NICHT HIN. Pure Panik durchflutete meinen Körper. Ich musste meine Arme langsam strecken, damit ich tiefer hängte um auf das Brett zurückzukommen. Gott, hatte ich dumme Ideen. Ich wollte langsam nach unten sinken, doch meine Armmuskeln waren in dem Moment so schwach, dass ich nach unten sackte. Mit einem Ruck hing ich unten. Der ganze Schwung brachte das Rohr zum Knacken. Als ich mit den Zehen das Brett bereits berührt hatte, brach das eine Ende ab und ich segelte an dem Rohr geklammert nach unten. Der Wind drückte sich energisch gegen mich.
Ich stieß mit der Kopf gegen eine Hauswand, die mich sofort stoppte. Ich wurde bewusstlos und fiel einfach. Das letzte, was ich spürte, waren harte Steine, die auf meinen Oberkörper trafen. Oder ich auf sie. Das war mir egal, ich hatte nur höllische Schmerzen. An mehr kann ich mich nicht erinnern.

Ich wachte wieder an der Stelle auf, an der ich runtergefallen war. Mein gesamter Körper brannte höllisch und mein Kopf schmerzte. Als ich meine Hand auflegen wollte, fasste ich in eine warme Flüssigkeit. Ich zog sofort meine Hand zurück. Blut. Ich kletterte sofort über das Gerüst in den Raum zurück. Ich wollte raus, erste Hilfe holen aber ich sah Taddls Schatten unten am Türspalt. So konnte ich nicht raus.
Ich schnappte mein Handy. Er war gerade online, passte ja perfekt. Ich schrieb ihm, dass er sich von der Tür fernhalten solle aber er widersprach.

Warum suchte ich eigentlich einen Menschen, der mir half, wenn einer direkt vor meiner Tür saß?

Also überlegte ich mir, ihn reinzulassen.

FLASHBACK ENDE

Ich erzählte ihm alles. Jedes Detail.
"Was willst du jetzt den Ärzten erzählen?", fragte er mich leise.
"Die Wahrheit wahrscheinlich"
"Dann landest du gleich in der Klapse."
"Vielleicht besser so", seufzte ich.
"Ach quatsch", antwortete er, "du brauchst keine Psychiater, du brauchst Liebe. Das merk ich doch."

~~~~

So Freunde, das Kapitel war ja 90% Flashback. Fand das aber ganz wichtig zu wissen. Das waren jetzt auch 1100 Wörter, oho. Ist aber immernoch die Frage offen, was Ardy jetzt vor hat. Mal sehen, mal sehen Kinder. Ihr könnt nachwievor in den Kommentaren spekulieren, eventuell inspiriert mich ja einmal eine Idee :)

One wall between us ~ Tardy FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt